Seit zwei Jahren verfolgt die rumänische Regierung einen drastischen Sparkurs. Löhne und Gehälter wurden gekürzt, Sozialleistungen und Stellen gestrichen. Mit dem Versuch, das Gesundheitssystem zu privatisieren, scheint sie vorerst gescheitert: Opposition und Gewerkschaften rufen zu Dauerdemonstrationen auf.
Über 10.000 Menschen sammelten sich am Dienstagabend in Bukarest und in vielen anderen Großstädten, um gegen Staatspräsident Traian Basescu und gegen die drastischen Sparmaßnahmen der rumänischen Regierung zu demonstrieren. Es war der fünfte Protestabend und die spontanen, unangemeldeten Versammlungen zogen trotz Kälte mehr Teilnehmer als am Wochenende. „Wir fordern den sofortigen Rücktritt des Präsidenten und seiner Regierung, sie haben das Land in die Katastrophe geführt“, lässt die 60-jährige Gabriela Vernat den Dampf ab.
„Ich habe 35 Jahre als Lehrerin gearbeitet, jetzt muss ich mich für meine niedrige Rente schämen und kann nicht mal die Heizungsrechnungen zahlen. Das ist eine furchtbare Erniedrigung“, empört sie sich, als die ersten Schneeflocken auf den Universitätsplatz fallen.
„Nieder mit Basescu“, rufen Menschen aller Altersgruppen und Sozialklassen. Gegen 21 Uhr schließen sich 100 Studenten der bunten Menge an. „Wir protestieren gegen die Korruption der Politiker und gegen die krassen sozialen Ungleichheiten“, erklärt der 21-jährige Catalin, der seinen Nachnamen nicht verraten will. Zwischen dem Vereinigungs- und dem Universitätsplatz lieferten sich bereits am Samstag- und Sonntagabend einige Protestler regelrechte Auseinandersetzungen mit den Gendarmen, es flogen Steine und Molotow-Cocktails.
Laut Angaben der rumänischen Ordnungspolizei, hierzulande Gendarmerie genannt, wurden in der Nacht zu Montag knapp 250 Menschen festgenommen, gestern waren es nur noch ein paar Dutzende. Auslöser für die Protestaktionen war ein vorerst gescheiterter Versuch der Regierung, das Gesundheitssystem des Landes grundliegend zu reformieren. Die ursprünglichen Pläne sahen die komplette Privatisierung der staatlichen Krankenkasse und eine weitgehende Neustrukturierung des Krankenhausnetzes vor. Doch Staatspräsident Traian Basescu und seine Mitterechtspartei PDL mussten Ende voriger Woche auf Druck der Proteste das Projekt aufgeben.
Neben Opposition und Gewerkschaften zeigten auch viele Experten und Ministerialbeamten große Skepsis gegenüber der Reform. Zankapfel war vor allem die Privatisierung des als effizient geltenden Notfallsystems SMURD. Unterstaatssekretär Raed Arafat, ein angesehener Arzt palästinensischer Herkunft, der das System konzipiert hatte, ist vorige Woche aus Protest gegen die geplante Reform zurückgetreten. Präsident Basescus ursprüngliche Plan, das Gesetz im Parlament durchzupeitschen, scheiterte an der systematischen Opposition von Ärzten, Beamten und Bevölkerung.
„Dieses Projekt hätte ein US-amerikanisches Gesundheitssystem geschafft, Rumänien wäre damit zu einer Ausnahme in Europa geworden“, kommentiert der Politologe Daniel Barbu von der Bukarester Universität. Gestern Abend überzeugte Präsident Basescu Unterstaatssekretär Raed Arafat, in sein Amt zurückzukehren. Doch die Proteste dauern an: Die unpopuläre Gesundheitsreform gilt für die meisten Protestler als wichtiger, aber auf keinen Fall als einziger Grund für ihre Wut. Seit zwei Jahren verfolgt die rumänische Regierung einen drastischen Sparkurs. Sämtliche Löhne und Gehälter wurden um 25 Prozent gekürzt, zahlreiche Sozialleistungen und über 100.000 Stellen gestrichen, die Mehrwertsteuer auf 24 Prozent erhöht.
Trotz massiver Opposition beauftragte Ministerpräsident Emil Boc das Gesundheitsministerium mit der Vorbereitung eines alternativen Reformprojekts, das das Notfallsystem schonen soll. Doch weitgehende Privatisierungen sind nach wie vor auf der Agenda. „Die Sparmaßnahmen waren und bleiben notwendig. Was heute in Europa passiert, zeigt, dass wir recht hatten“, erklärte Boc in einer Pressekonferenz am Montag. Am Mittwochnachmittag sammelten sich erneut die Protestler auf dem Universitätsplatz in Bukarest. Für die ganze Woche riefen Opposition und Gewerkschaften zu regelmäßigen Abenddemos auf, für Donnerstag ist eine große Kundgebung geplant.
„Die einzige realistische Option dieser Regierung bleibt der Rücktritt. Wir fordern vorzeitige Wahlen“, erklärte Victor Ponta, Präsident der Sozialdemokratischen Partei PSD, nach einem ergebnislosen Treffen mit dem Regierungschef am Mittwochnachmittag. Als wichtigste Oppositionspartei kritisieren die Sozialdemokraten seit zwei Jahren den drastischen Sparkurs der Regierung und argumentieren, dass Staatspräsident Basescu den internationalen Krisenkontext ausnutzt, um seine eigene neoliberale Agenda durchzusetzen."