Heftige Kritik aus SPD und Kulturszene an #allesdichtmachen
— Norbert Walter-Borjans (@NowaboFM) April 23, 2021
Es ist das Thema in den sozialen Medien: Unter dem Hashtag #allesdichtmachen und auf einer gleichnamigen Internetseite haben rund 50 Schauspieler*innen Videos veröffentlicht, in denen sie ironisch den Umgang mit der Corona-Pandemie in Deutschland kritisieren. „Schließen Sie ausnahmslos jede menschliche Wirkungsstätte und jeden Handelsplatz“, fordert etwa Ulrich Tukur. „Sind wir erst am Leibe und nicht nur an der Seele verhungert und allesamt mausetot, entziehen wir auch dem Virus und seiner hinterhältigen Mutanten-Bagage die Lebensgrundlage.“
„Dank Corona habe ich gelernt, zu schweigen“, sagt Schauspieler-Kollegin Nadja Uhl. Sie lese ihren Kindern nun jeden Abend ihr „neues Lieblingsmärchen“ vor: des Kaisers neue Kleider. „Wir lieben dieses Märchen, weil sich alle so einig sind und schweigen.“ In dieselbe Kerbe schlägt Jan-Josef Liefers, der sich bei den Medien „bedankt“, die „dafür sorgen, dass kein unnötiger, kritischer Disput uns ablenken kann von der Zustimmung zu den sinnvollen und immer angemessenen Maßnahmen unserer Regierung“.
Hinter der Aktion steht Medienberichten zufolge der Unternehmer Bernd K. Wunder, der sich im vergangenen Jahr mehrfach sehr kritisch zu den Corona-Maßnahmen geäußert hatte. Befürworter*innen eines Teil-Lockdowns nannte er demnach im Mai 2020 „Mundschutzknappen“. Mit Blick auf monatelange Schließungen von Schulen und Kindergärten schrieb Wunder im August 2020: „Jeder der sich an dieser Panikmache beteiligt, ist daran schuld. Der Ausdruck Coronazi ist somit absolut gerechtfertigt.“
Weidel gratuliert „zu dieser tollen Aktion“
Zustimmung erhielten die Schauspieler*innen umgehend aus dem rechten Lager. „Sieh da, die Komfortzone wird brüchig“, schrieb der Verschwörungsideologe Ken Jebsen am Donnerstagabend und teilte verschiedene Videos in seinen Kanälen. Attila Hildmann, der bei Querdenker-Demonstrationen mehrfach verhaftet wurde, verbreite das Liefers-Video in seinem Telegram-Kanal mit dem Hinweis „Schauspieler Jan-Josef Liefers satirisch zu der Lügenpandemie“. Ex-Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen bejubelte die Aktion auf Twitter als „großartig“, die Vorsitzende der AfD-Fraktion Bundestag, Alice Weidel, gratulierte „zu dieser tollen Aktion“.
Doch auch der Widerspruch ließ nicht lange auf sich warten. Viele Schauspieler-Kolleg*innen äußerten sich kritisch zu den Videos. „Ken Jebsen hätte es nicht schöner sagen können“, kommentierte Schauspieler Christian Ulmen unter dem Video von Jan-Josef Liefers. Deutlicher wurde Ulmens Tatort-Kollegin Nora Tschirner. „Jetzt doch mal raus wagen und n büschn kokeln, weil man sich sonst um die eigene Gefühlsverwaltung kümmern müsste? Joah, kann man machen. Kann halt sein, dass man sich in ein büschn schämen wird in nen paar Jahren (Wochen?) Unfuckingfassbar“, schrieb sie.
Elyas M'barek wandte sich auf Instagram direkt an Volker Bruch, der ebenfalls ein Video veröffentlich hatte: „Was unterstellst du denn da unserer Regierung? Kann ich null nachvollziehen“, schrieb M'barek. „Mit Zynismus ist doch keinem geholfen.“
„Die Aktion ist Mist.“
Auch aus der SPD meldeten sich viele Stimmen zu Wort. „#Allesdichtmachen unterscheidet sich nicht von den Leuten, die in ihrem Keller irgendwas erfinden und Quatsch in dubiose Telegram-Gruppen setzen“, schrieb der Vorsitzende der NRW-SPD, Thomas Kutschaty, auf Twitter. „Die Aktion der Schauspieler*Innen ist Mist, nicht in Ordnung. Denn der aufopferungsvolle Kampf um Leben in Krankenhäusern ist real.“
Als „zynisch & schäbig“ bezeichnete der Bundestagsabgeordnete Helge Lindh aus Wuppertal die Videos:
Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Serpil Midyatli versuchte es dagegen mit einem Vergleich. „Die Kommunikation zu #allesdichtmachen erinnert mich an die zur #SuperLeague: Beide Projekte sind komplett von der Realität abgekoppelt“, schrieb sie auf Twitter und kritisierte: „Wie kann man so wenig Fingerspitzengefühl haben?“ Der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Landtag von Schleswig-Holstein, Ralf Stegner, twitterte:
Katja Mast, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, forderte:
Und Björn Böhning, Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium, wies „aus aktuellem Anlass“ darauf hin: „Der mit Branche, Unfallversicherung und Arbeitsschützern entwickelte Arbeitsschutzstandard für Filmproduktionen führt seit einem Jahr dazu, dass Deutschland eines der wenigen Länder weltweit ist, in dem Filme (sicher) produziert werden können.“
Ohne direkt auf die Aktion Bezug zu nehmen, twitterte Carsten Brosda, Hamburger Kultursenator und Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie, am Freitagmorgen eine Zeile aus dem Lied „Ja, Man Darf (Demokratie)“ von Danny Dziuk.
SPD-Chef Norbert Walter-Borjans schuf dagegen einen neuen Hashtag:
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.