Hausarbeiten machen statt Ausweitung zu diskutieren
Für rund 300 Millionen Euro will sich der Bundesnachrichtendienst modernisieren. So sollen künftig soziale Medien in Echtzeit mitgestreamt werden, um etwa einen zweiten arabischen Frühling schneller zu erkennen. Wie effektiv das ist und warum wir für den Erhalt einer demokratischen Gesellschaft zunächst anderes diskutieren sollten, erklärt SPD-Netzexperte Lars Klingbeil im Interview.
Herr Klingbeil, inwieweit können die Ausforschung von Kommunikation in sozialen Netzwerken helfen ein realistisches Stimmungsbild eines Landes zu zeichnen?
Ich gehe davon aus, dass öffentliche Kommunikation in den sozialen Netzwerken bereits heute ausgewertet wird und selbstverständlich kann dies möglicherweise dazu dienen, ein realistisches Stimmungsbild zu erfahren. Angesichts der Enthüllungen des vergangenen Jahres aus den Snowden-Files halte ich eine Debatte über eine Ausweitung der staatlichen Überwachungsmöglichkeiten aber für falsch.
Vielmehr besteht auch bei den deutschen Geheimdiensten grundlegender Handlungsbedarf – es muss, auch in Deutschland, um eine bessere Kontrolle der nachrichtendienstlichen Tätigkeit gehen und es muss klare rechtliche Begrenzungen zum Schutz der Grundrechte geben. Solange wir diese Hausarbeiten nicht gemacht haben, sollten wir nicht über eine Ausweitung der Überwachungsmöglichkeiten diskutieren.
Hat das Wissen überwacht zu werden nicht auch Auswirkungen auf die Kommunikation innerhalb der Netzwerke ?
Ja. Es ist bekannt, dass Kommunikation sich verändert – die berühmte Schere im Kopf -, wenn man immer und jederzeit damit rechnen muss, überwacht zu werden. Deswegen brauchen wir auch in der digitalen Welt das Recht auf die Privatsphäre und die unbeobachtete Kommunikation.
Der BND begründet die Modernisierung mit der Notwendigkeit mit befreundeten Nachrichtendiensten mitzuhalten. Besteht dadurch nicht die Gefahr eines digitalen Wettrüstens auf Kosten des Datenschutzes?
Die Enthüllungen des letzten Jahres dürfen gerade nicht dazu führen, dass es nun zu einem Wettrüsten kommt. Wir können nicht auf der einen Seite die Praxis der amerikanischen und britischen Nachrichtendienste und die flächendeckende Ausspähung als maßlos und grundrechtswidrig kritisieren und gleichzeitig einfordern, dass unsere Dienste das gleiche Instrumentarium bekommen sollen, um im Wettbewerb der Dienste mithalten zu können.
Wie kann man diesen Aufrüstungswettbewerb verhindern?
Wir brauchen in Europa und mit den USA einen Dialog über die Grenzen der nachrichtendienstlichen Ausspähung und wir brauchen rechtlich verbindliche Regelungen, dass eine Ausspähung in EU-Mitgliedsstaaten und von Partnerländern unterbleibt. Darüber hinaus müssen wir die bestehenden Abkommen wie Safe-Harbor oder SWIFT grundlegend überarbeiten und wir brauchen endlich ein Datenschutzabkommen zwischen der EU und den USA, was seinem Namen gerecht wird. Wir brauchen klare internationale Vereinbarungen und Abkommen zum Schutz der Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger.
Auch müssen wir die Rechtsgrundlagen unserer Nachrichtendienste dahingehend prüfen, ob diese die Grundrechte hinreichend wahren. Nach Auskunft namhafter Rechtswissenschaftler sind die Überwachungsmöglichkeiten unseres Auslandsgeheimdienstes mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht in Einklang zu bringen. Hier müssen wir dringend zu Klarstellungen kommen und entsprechende Grenzen einziehen.
Welche Grenzen fordert die SPD?
Es darf keine anlasslose und flächendeckende Ausspähung geben und die Grundrechte müssen auch in der digitalen Welt gewahrt werden. Nicht alles, was technisch möglich ist, kann und darf in einer offenen, demokratischen und pluralistischen Gesellschaft auch umgesetzt werden. Und genau darum geht es: um den Erhalt der offenen, freien und demokratischen digitalen Gesellschaft. Die klare Grenze für die Arbeit unserer Dienste sind unsere deutschen und europäischen Grundrechte. Diese Grenzen müssen wir nun konkretisieren.