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Hass auf Telegram: Was die SPD dagegen tun will

Nach Mordaufrufen über den Messanger „Telegram“ nimmt der Druck auf die Politik zu, zu handeln. SPD-Digitalpolitiker Jens Zimmermann sagt, welche Maßnahmen helfen könnten, wo Probleme liegen und warum eine Klarnamenpflicht keine gute Idee ist.
von Kai Doering · 16. Dezember 2021
Umstrittener Messanger Telegram: kein rechtsfreier Raum aber ein Problem der Rechtsdurchsetzung
Umstrittener Messanger Telegram: kein rechtsfreier Raum aber ein Problem der Rechtsdurchsetzung

Expert*innen warnen schon lange, dass Extremist*innen auf „Telegram“ Hass und Hetze verbreiten und zum Teil sogar Straftaten organisieren. Die Innenministerkonferenz hat kürzlich von „rechtsfreien Räumen“ gesprochen. Wurde das Problem von der Politik zu lange ignoriert?

Nein, es ist kein rechtsfreier Raum aber es ist ein Problem der Rechtsdurchsetzung. Und nein, es wurde nicht ignoriert, denn es wurden insbesondere mit der Weiterentwicklung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) die notwendigen Rechtsgrundlagen geschaffen. Auf europäischer Ebene werden mit dem Digital Services Act derzeit zudem auch europäisch einheitliche Regelungen erarbeitet. Starke europäische Regelungen werden uns nicht zuletzt über die Marktmacht Europas helfen, geltendes Recht besser durchzusetzen.

Eigentlich muss „Telegram“ bei strafrechtlich relevanten Nachrichten, die dort gepostet werden, tätig werden. So sieht es das Netzwerkdurchsetzungsgesetz vor. Warum geschieht das nicht?

Die Frage muss etwas differenzierter beantwortet werden: Messangerdienste in der Funktionalität der Individualkommunikation, die europarechtlich und verfassungsrechtlich besonderen Schutz genießt, unterliegen dem Telekommunikationsrecht. Diese sind hier aber auch nicht das Problem, auch nicht deren Verschlüsselung. Die Probleme sind in den offenen Kanälen mit bis zu 200.000 Abonnenten, die von ihrer Funktionalität her eher dem Feed eines sozialen Netzwerks gleichen. In diesen Kanälen werden einerseits – in der Regel unter Klarnamen – Straftaten begangen und es wird zu Straftaten aufgerufen. Andererseits bilden sie Echokammern, in denen weit unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit Menschen radikalisiert werden.

Diese offenen Kanäle unterliegen dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz und für diese müsste Telegram ein Beschwerdemanagement aufbauen, Meldeverfahren etablieren, einen Zustellbevollmächtigen benennen sowie offensichtliche Rechtsverletzungen binnen 24 Stunden und komplizierte Fragen spätestens binnen einer Woche entfernen. Ab dem 1. Februar 2022 müssen strafrechtlich relevante Inhalte zudem an das Bundeskriminalamt gemeldet werden. All dies findet bei Telegram nicht statt und die Zustellbescheide der Aufsichtsbehörde werden seitens des Unternehmens ignoriert.

Würde eine Klarnamenpflicht denn helfen, Hass und Hetze einzudämmen?

Die großen Kanäle auf Telegram sind meist offen, unverschlüsselt und es wir unter Klarnamen agiert. Aber auch dann, wenn es eine Identifizierung eines pseudonymen Täters braucht, ist die Klarnamenpflicht keine gute Idee. Eine solche Klarnamens- oder Identifizierungspflicht lehnen wir entschieden ab. Sie würde wenig erreichen, um das Netz vor verbaler Gewalt zu schützen, zugleich aber gravierende Nachteile bringen, die freie Meinungsäußerung aller beschränken und möglicherweise sogar mehr Gewalt verursachen. Vor allem aber würde eine Klarnamenspflicht all diejenigen zum Schweigen bringen, die auf eine anonyme oder pseudonyme Kommunikation angewiesen sind – etwa beim Engagement gegen Rechtsextremismus. Wir brauchen aber genau das Gegenteil: ein Klima im Netz, das alle Menschen ermutigt auch Gegenrede zu wagen.

Was könnten stattdessen helfen?

Aus meiner Sicht wäre die Login-Falle ein zielgerichtetes Instrument der Strafverfolgung, um Straftaten aufzuklären und zugleich die Debatte zur Einführung einer problematischen Klarnamen- oder Identifizierungspflicht überflüssig machen. Im Kern handelt es sich um die so genannte Last-Login-IP, die bereits heute als ein wichtiges Instrument zur Strafverfolgung genutzt wird und welches in einem rechtlich vorgegebenen Rahmen standardisiert werden soll. Nach der Feststellung eines Anfangsverdachts, etwa eines anonymen Posts durch die Strafverfolgungsbehörden, wird beim nächsten Login des betreffenden Nutzers die IP-Adresse automatisiert über standardisierte Schnittstellen an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben, die dann mittels der Bestandsdatenauskunft den oder die Verursacher ermitteln können. Hierzu bedarf es weniger Klarstellungen in den Vorgaben zur Bestandsdatenauskunft. Die neue Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag daher darauf verständig, dass wir eine Identifizierungspflicht ablehnen und mit der Login-Falle grundrechtsschonende, freiheitsorientierte und dennoch gleichsam wirksame Instrumente schaffen wollen, um die Identifizierung der Täterinnen und Täter zu erreichen. Ich gehe davon aus, dass wir dieses Vorhaben zeitnah umsetzen können.

„Telegram“ wird weltweit genutzt. Das Unternehmen hat seinen Sitz in Dubai. Was kann da mit nationalen Gesetzen überhaupt ausgerichtet werden?

Insbesondere letzteres ist ein Problem, das wir im nicht nur im digitalen Raum haben. Es tritt dort vermehrt auf, aber auch im analogen, wenn Unternehmen im EU-Ausland sitzen, können diese sich leichter der Rechtsdurchsetzung entziehen. Und dies können Deutschland und Europa so nicht akzeptieren. Telegram sitzt in Dubai und wir haben es mit internationalen Zusammenhängen zu tun. Daher müssen nun nach der Zustellung der Bescheide weitere Eskalationsstufen erfolgen. Aus meiner Sicht wären die nächsten Schritte, den diplomatischen Austausch mit den Vereinigten Arabischen Emiraten zu suchen, sich auf eine europäische gemeinsame Linie zu verständigen und das Thema im Rahmen des G7-Vorsitzes anzusprechen. Parallel dazu müssen wir auf Google und auf Apple zuzugehen, damit diese gegenüber Telegram auf die strikte Einhaltung der Regelungen für die Nutzung der App Stores bestehen. Dazu zählt insbesondere auch die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zur Strafverfolgung.

Was könnten sonst noch Schritte sein?

Denkbar wäre darüber hinaus, auf europäischer Ebene – etwa im Rahmen des Digital Service Acts – eine gesetzliche Grundlage dafür zu schaffen, dass Apps in App Stores nicht mehr verfügbar gemacht werden dürfen, wenn sie europäisches Recht ignorieren. Solche Maßnahmen sollten allerdings sehr genau geprüft werden und wirklich nur die ultima ratio sein. Denn sie haben einerseits erhebliche Kollateralschäden, da sie auch die private Kommunikation der weit überwiegenden Nutzer*innen treffen würden, die einfach nur ganz normal einen Messenger benutzen wollen. Zudem würde dies nur verhindern, dass die App neu heruntergeladen werden kann und dass Updates bereitgestellt werden. Alle, die heute Telegram auf dem Handy haben oder eine Desktop-App benutzen, könnten es weiter nutzen. Die Wirkung wäre daher begrenzt. Die gesetzliche Möglichkeit könnte allerdings den Druck auf die Betreiber erhöhen, sich an geltendes Recht zu halten.

Könnte „Telegram“ in Deutschland im Extremfall sogar verboten werden?

Auch vermeintlich einfache Lösungen, die schnell gefordert werden, sind bei genauer Betrachtung keine: Pauschale Verbortsforderungen, Netzsperren oder Geoblocking sind keine Lösung, da diese weder technisch ausreichend funktionieren noch durchsetzbar sind und auch nicht verhältnismäßig wären. Zu bedenken ist ebenfalls auch, dass Telegram in vielen autoritären Staaten der wichtigste Kommunikationskanal der Opposition ist.

Was kann stattdessen auf Grundlage der bereits bestehenden Gesetze getan werden?

Die rechtlichen Grundlagen wurden bereits geschaffen, es muss aber das geltende Recht durchgesetzt werden und Telegram muss klargemacht werden, dass es mehr als ein Imageproblem bekommt, wenn es europäisches Recht weiter ignoriert. Hinzu kommt die klassische Polizeiarbeit: Die meisten Straftaten finden in offenen Kanälen und unter Nennung der Identität statt. Die Polizeien müssen die „Streife im Netz“ verstärken, Täter ermitteln und Straftaten konsequent ahnden. Das das geht zeigen aktuell die Aktionen der Strafverfolgungsbehörden in Sachsen, die endlich konsequent gegen Gewalt- und Mordaufrufe vorgehen.

Darüber hinaus müssen wir viel gezielter gegen die Radikalisierung von Menschen in den Echokammern vorgehen, die unterhalb der Strafbarkeit passieren. Denn neben den strafbaren Aufrufen zum Beispiel zum Mord in einem Kanal, besteht auch das Problem, dass in der realen Welt Gewalt verübt wird, zu der nicht explizit aufgerufen wurde, die sich aber aus einer Dauerbeschallung von Verschwörungserzählungen und sprachlicher Verrohung in den Kanälen speist. Wer täglich mehrfach „Lügenpresse“ im Kanal liest, der geht bei der nächsten Demo eher auf Journalisten los. Hier brauchen wir langfristige Konzepte politischer Bildung, Bildung über die Wirkweisen medialer Strategien der Hetzer oder woran man gute von weniger guten Quellen unterscheiden kann. In den Schulen aber auch in der Erwachsenenbildung. Und wir brauchen Gegenrede. Politik muss entsprechende organisierte Initiativen hierfür unterstützen.

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Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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