Bereits Ende 2007 haben die Karlsruher Richter ein Stoppschild für die Arbeitsgemeinschaften aus Arbeitsagenturen und Kommunen (Argen) zur Betreuung Langzeitarbeitsloser aufgestellt. Das
Bundesverfassungsgericht sah sich gezwungen, die Reißleine zu ziehen: Die Job-Center wurden als verfassungswidrige Mischverwaltung kritisiert.
Die derzeitigen Kinderzuschüsse werden als intransparent, nicht bedarfsgerecht und damit
verfassungswidrig gerügt. Die Karlsruher Richter verlangen in beiden Fällen eine gesetzliche Neuregelung bis zum 31. Dezember 2010.
Bei den Job-Centern geht es um erheblich mehr als um die Organisation der Betreuung Langzeitarbeitsloser und ihrer Familien: Es geht um Hoffnungslosigkeit oder Zukunft sowie Ausgrenzung
oder Integration für sieben Millionen Menschen in Deutschland. Das sind beinahe zehn Prozent der Bevölkerung und bald ein Viertel der Erwerbstätigen; etwa 60 000 Beschäftigte von Arbeitsagenturen
und Kommunen verwalten ein Jahresbudget von inzwischen 48 Milliarden Euro -Tendenz steigend. Und es geht um das Schicksal von 2,2 Millionen Kindern und Jugendlichen in Hartz-IV-Familien.
Auf die bestehende Zusammenarbeit aufbauen
Notwendig wäre jetzt, die mühselig zusammengewachsenen organisatorischen und personellen Strukturen in den Job-Centern nicht wieder auseinanderzureißen, sondern auf ihrer Zusammenarbeit
aufzubauen. Dies ist in dem Gesetzesvorschlag der SPD zur Einrichtung der Zentren für Arbeit und Grundsicherung (ZAG) vorgesehen. So können die unterschiedlichen Organisations- und
Personalstrukturen zusammengeführt werden. Dafür ist allerdings die Änderung des Grundgesetzes erforderlich.
Ein ungelöstes Problem ist und bleibt die Zukunft der 69 Optionskommunen, in den sich Untersuchungen und Erfahrungen belegen erhebliche Nachteile bei der Vermittlung und Integration in
Arbeit. Zudem mangelt es an der notwendigen Transparenz und Zusammenarbeit mit den Arbeitsagenturen.
Hartz-IV-Leistungen als Finanzspritze für die Kommunen?
Hier scheiden sich nach wie vor die politisch-ideologischen Geister: Roland Koch als Verhandlungsführer auf der Seite der CDU-Ministerpräsidenten setzt auf die Ausweitung der kommunalen
Betreuung Langzeitarbeitsloser. Der Landkreistag, der die Klage gegen die Argen vor dem Bundesverfassungsgericht angestrengt hatte, dankt es ihm. Für die Landkreise mit geringerer
Arbeitslosigkeit, schwindenden Aufgaben und Finanzen wäre es eine willkommene "Finanzspritze", die enormen Mittel des Bundes für die Hartz-IV-Leistungen zur alleinigen Betreuung der
Langzeitarbeitslosen zu erhalten.
Dann gibt es ein Finanzpolster für die kommunalen Beschäftigungsgesellschaften. Mithilfe der Ein-Euro-Jobs mit ihren üppigen Pauschalen für Ausgaben der Träger können die Kommunalhaushalte
saniert werden. Mit den beträchtlichen Infrastrukturinvestitionen für die Betreuung der Langzeitarbeitslosen können lokale Betriebe und Träger bedient werden. Die unliebsame
Eingliederungsleistungen - z.B. für gesundheitlich eingeschränkte und schwerbehinderte Langzeitarbeitslose - werden dann gerne der Bundesagentur für Arbeit gegen Gebühren überlassen.
Klare Verantwortlichkeiten für den Bund
Es wäre daher nur folgerichtig, wenn künftig das "Fördern" und damit die Eingliederung in Arbeit in den Vordergrund gestellt wird. Dem Bund und damit auch der Bundesagentur für Arbeit
müssen klare Verantwortlichkeiten für die Feststellung der Erwerbsfähigkeit, die Zahlung der ALG-II-Leistungen und die Arbeitsmarktpolitik übertragen werden. Nur dann kann die kommunale
Kirchturmpolitik überwunden und eine konsequente Eingliederungspolitik betrieben werden. Die Kommunen sollten sich auf ihre ureigensten Aufgaben konzentrieren, die flankierenden sozialen Hilfen,
die für eine berufliche Eingliederung unabdingbar sind. Erfolgreiche kommunale Beschäftigungsgesellschaften könnten weiter in die arbeitsmarktpolitischen Konzepte der Bundesagentur für Arbeit
(BA) einbezogen werden.
Dies bedingt aber auch, dass die Pläne der schwarz-gelben Regierungskoalition zur drastischen Einschränkung des zugesagten Bundeszuschusses für die BA vom Tisch kommen. Die finanziellen
Spielräume für die Arbeitsmarktpolitik dürfen gerade in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit nicht eingeschränkt werden. Der willkürliche Eingliederungsbeitrag der BA zur Finanzierung der hälftigen
Ausgaben für die Arbeitsmarktpolitik der ALG-II-Empfänger von fünf Milliarden Euro im Jahr muss endlich abgeschafft und die zu stark abgesenkten Beiträge zur BA (von 6,5 auf 2,8 Prozent) wieder
angehoben werden. Die BA muss ihre finanzielle Eigenständigkeit und ihre Unabhängigkeit von Auflagen der Bundesregierung, die arbeitsmarktpolitischen Erfordernissen entgegenstehen,
zurückgewinnen.
Was wird aus den Optionskommunen?
Allerdings ist eine Präferenz für die Optionskommen parteiübergreifend. Jetzt hat die Spitze der SPD in Fraktion und Partei zu erkennen gegeben, dass sie sogar eine moderate Ausdehnung der
Optionskommunen mittragen könnte. Die bange Frage stellt sich, ob die in der CDU gehandelte Ausweitung auf bis zu 160 Optionskommunen noch unter "moderat" zu fassen ist. Dem wird wohl eher nicht
so sein: Der Prozess würde erhebliche organisatorische und personelle Reibungsverluste gerade in einer Zeit erneut ansteigender Arbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit nach sich ziehen.
Höchst fragwürdig ist, wie der zwischen Bundesarbeitsministerin von der Leyen und den CDU-Ministerpräsidenten ausgehandelte Kompromiss einer Ausweitung der Optionskommunen einerseits und
einer einheitlichen Bundesaufsicht andererseits praktisch umgesetzt werden kann. Die Bundeskanzlerin muss ihrem verbal wild um sich schlagenden Vizekanzler, Guido Westerwelle endlich Grenzen
setzen.
Der FDP-Vorsitzende probt erneut seine Diffamierungsorgien gegen die sozial Schwachen in der
Gesellschaft - sozusagen als Patentrezept, um die FDP aus dem Umfragetief zu holen.
Mindestlöhne sind der beste Schutz vor Armut
Ebenso unwürdig wäre es, wenn als Konsequenz des Bundesverfassungsgerichtsurteils zur Grundsicherung und zu den Kindersätzen bei Hartz IV nur ein endloses politisches Gefeilsche über die
richtigen Berechnungsmethoden, Leistungsarten und Regelsätze die Folge wäre. Natürlich muss dem Votum des Bundesverfassungsgerichtes gefolgt werden, eine transparente und bedarfsgerechte
Festlegung der Leistungssätze für Kinder zu erarbeiten. Dabei müssen natürlich gerade für Kinder ausreichende Möglichkeiten für Bildung im umfassenden Sinn einbezogen werden. Genauso wichtig wäre
es allerdings, die Rahmenbedingungen für die Zukunft der Kinder und Jugendlichen aus Hartz-IV-Familien zu verbessern, die Ganztagsbetreuung auszubauen, die Menschen aus dem Hartz-IV-Ghetto
herausholen sowie das Angebot an Ganztags- und Gesamtschulen mit ausreichender sozialpädagogischer Betreuung zu erweitern.
Wenn jetzt darüber gejammert wird, dass eine Erhöhung der Leistungssätze für Kinder dazu führt, dass sich Arbeit noch weniger lohne und noch mehr Menschen in Hartz IV fallen, kann dies
wenig beeindrucken. Sollten wir uns nicht eher darüber empören, dass Millionen Arbeitnehmer so niedrige Löhne beziehen, dass eine eigenständige Existenz für sie und ihre Familien nicht mehr
möglich ist? Wieweit ist unsere gesellschaftliche Verantwortung gesunken, wenn die vom Bundesverfassungsgericht angemahnte Berücksichtigung der Teilhabe an Bildung und kulturellem Leben für
Kinder als unzulässige Aufblähung der Kosten für Hartz IV gebrandmarkt wird? Derartige Hartz-IV-Leistungen sind gut angelegte Investitionen in die Zukunft. Dabei ist allerdings sicherzustellen,
dass diese Leistungen auch bei den Kindern ankommen.
Die Schieflage unseres Sozialsystems liegt nicht in zu hohen Regelsätzen für Hartz-IV-Kinder, sondern in zu wenig existenzsichernder Arbeit und zu niedrigen Löhnen für ihre Eltern. Hier
müsste vor allem angesetzt werden. Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, der vor Armut schützt, ist das beste Bollwerk vor Hartz IV als Fass ohne Boden und ohne Perspektive für unsere
Kinder.
Dr. Ursula Engelen-Kefer leitet den Arbeitskreis Sozialversicherung im Sozialverband Deutschland. Von 1990 bis 2006 war sie stellvertretende Vorsitzende des DGB.