Inland

Harrisburg, Tschernobyl, Fukushima

von Peter H. Niederelz · 5. April 2011
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Die junge Bundesrepublik Deutschland war Anfang der 50er Jahre froh, dass ihr die alliierten Siegermächte wenige Jahre nach dem schrecklichen Weltkrieg die Forschung an der damals für viele verheißungsvollen Nutzung der Atomkernspaltung zur Erzeugung von elektrischem Strom erlaubten. Das erste deutsche Atomprogramm wurde aufgelegt. Erster Atomminister wurde am 6. Oktober 1955 Franz Josef Strauß. Der erste Forschungsreaktor ging Anfang 1958 an der TH-München in Betrieb.

Es herrschte in der Politik damals darüber weitgehend Konsens. Auch die SPD drückte in ihrem Godesberger Programm von 1959 ihre große Hoffnung für Aufschwung und Wohlstand im atomaren Zeitalter aus. So war es kein Wunder, dass ab Anfang der 60er Jahre beginnend mit dem Reaktor in Kahl Atomkraftwerke in Deutschland gebaut wurden.

Biblis, Brokdorf und Gorleben
Mitte der 70er Jahre geriet der Prozess ins Stocken. Es regte sich beginnend im baden-württembergischen Whyl Widerstand gegen dortige Atomkraftwerkspläne. Dieser setzte sich unter anderem in Biblis, Brokdorf und Gorleben fort. Bundesminister für Forschung und Technologie war in der Zeit Hans Matthöfer (SPD).

Er führte den Dialog mit den Gegnern und auf seine Initiative hin begann das Bundesministerium für Forschung und Technologie im Auftrag der Bundesregierung und aufgrund einer Vereinbarung zwischen den Regierungschefs von Bund und Ländern den "Bürgerdialog Kernenergie". Er sollte als öffentliche Informations- und Diskussionsaktion alle mit der Nutzung der Atomenergie zusammenhängende Fragen behandeln.

Das war etwas völlig Neues. Vorher war man von Bundesministerien eher Verlautbarungen gewohnt. Ohne Willy Brandts Forderung "Wir wollen mehr Demokratie wagen" wäre dies nicht möglich gewesen. Es sollte die Chance wahrgenommen werden, die Entwicklung der künftigen Energieversorgung mit einem breit angelegten öffentlichen Meinungsbildungsprozess zu verbinden. Als ich Anfang 1979 als Referent im Stab des Bundesforschungsministeriums dafür zuständig wurde, waren bereits große Gruppen der Gesellschaft beteiligt.

Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU)
Zu den Gegnern der Atomkraftnutzung zählten zahlreiche Bürgerinitiativen die im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) lose zusammengeschlossen waren, wie kirchliche Jugendverbände, die Gewerkschaftsjugend, die Jusos als Jugendorganisation der SPD und viele weitere. Die "Grünen" gab es damals noch nicht. Jo Leinen war BBU-Vorsitzender, Petra Kelly und Herbert Gruhl kandidierten als Atomkraftgegner 1979 bei der ersten Direktwahl des Europäischen Parlaments.

Am Bürgerdialog Kernenergie beteiligten sich immer mehr Menschen. In seinem Rahmen erschien in 13 Bänden die Schriftenreihe "Argumente in der Energiediskussion". Als Zweimonatsheft wurde in der damals hohen Auflage von 130.000 Exemplaren die Zeitschrift "Energiediskussion" veröffentlicht. Darin wurden einerseits Informationsbeiträge der Bundesregierung zum Thema, andererseits aber auch kritische und ablehnende Beiträge veröffentlicht. Es erschienen weiterhin zahlreiche Einzelpublikationen teils in Zusammenarbeit mit großen Gruppen und Verbänden.

Mit wichtigen Zielgruppen, wie der deutschen Jugendpresse, dem Deutschen Volkshochschulverband und den Kirchen wurden Informations- und Diskussionsveranstaltungen durchgeführt. Es wurden auch viele Informationsveranstaltungen Dritter gefördert.

Three Mile Island 1979
Als am 28. März 1979 der schwere Atom-Unfall in Three Mile Island im amerikanischen Harrisburg trotz der Beschwichtigungsversuche der Betreiber sehr deutlich die reale Existenz des hohen Risikos belegte, blieb die Diskussion in Deutschland davon natürlich nicht unbeeinflusst. Der Widerstand gegen die Atomenergienutzung wurde stärker. In dem früher einmal vom damaligen niedersächsischen Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) als "Nuklearer Entsorgungspark" bezeichneten Projekt in Gorleben formierte er sich in besonderer Weise.

Die damals einflussreiche Jugendorganisation der SPD verlegte einmal ihren Bundeskongress von Hannover dorthin um dagegen zu protestieren. Bundesvorsitzender war damals Gerhard Schröder, der spätere Bundeskanzler. Ich war als Privatmann mit meiner damaligen Freundin und heutigen Ehefrau auch dabei.

Der "Bürgerdialog Kernenergie" hatte damals auch mächtige Gegner, die die Atomenergienutzung unddie Gewinne daraus für unantastbar ja nicht einmal für diskutierbar hielten. Einmal beschwerte sich ein Oberkreisdirektor aus der Gegend von Gorleben beim damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt über mich, weil ich an Informationsveranstaltungen dort auch die Bürgerinitiative gegen das Projekt beteiligt hatte. Dies sei eine Missachtung des gewählten Kreistages. Ihm wurde geantwortet, dass man sich diese Missachtung durch mich nicht vorstellen könne, da ich doch selbst im Ehrenamt Kreistagsabgeordneter in meinem Heimatkreis sei.

Die Gegner des "Bürgerdialogs Kernenergie", in dessen Rahmen damals auch schon Themen wie Alternativenergien und Energiesparen behandelt wurden, versuchten das Projekt finanziell auszutrocknen. Nach dem Regierungswechsel 1982 wurde dieses Pionierprojekt beispielhafter Bürgerbeteiligung abgewürgt. Es wurden in Deutschland und in Europa trotz ungelöster Entsorgungsfrage weitere Atomkraftwerkle gebaut.

Tschernobyl 1986
Der Anteil der Atomkernspaltungsenergie am Primärenergieverbrauch lag Ende 2010 in Deutschland bei 10,8 Prozent. Oft wird das verwechselt mit dem Stromverbauch der ja nur ein Teil des gesamten Energieverbrauchs ist. Sicherlich auch durch die verheerende Atomkraftwerkskatastrophe in Tschernobyl 1986 wuchs die Ablehnung in Deutschland beträchtlich. Mit der Vereinbarung der damaligen rot-grünen Bundesregierung mit den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000, die Nutzung der vorhandenen Atomkraftwerke zeitlich zu begrenzen und keine neuen mehr zu bauen, wurde die Wende hin zum Ausstieg erreicht.

Es wurde ein entsprechendes Ausstiegsgesetz am 22.April 2002 im Deutschen Bundestag beschlossen. Dieses sah vor, dass die ursprünglich 19 Atomkraftwerke bis 2021 abgeschaltet werden. Stade und Obrigheim gingen dann vom Netzt. Dieses Konsensgesetz wurde auch in der Zeit der großen Koalition aus CDU/CSU und SPD weiterverfolgt.

Fukushima 2011
Die jetzige Koalition aus CDU/CSU und FDP verließ diesen Konsens und setzte am 29.September 2010 eine Lauzfzeitverlängerung von im Schnitt zwölf Jahren pro Atomkraftwerk durch. Dieses Gesetz zum Ausstieg aus dem Ausstieg trat nach der Unterschrift durch Bundespräsident Wulff am 08. Dezember 2010 in Kraft. Die SPD-geführten Bundesländer reichten am 28. Februar 2011 dagegen Klage beim Bundesverfassungsgericht ein.

Seit dem Beginn der verheerenden Unfälle im Atomkraftwerk in Fukushima am 14. März drängen in Deutschland immer mehr Menschen auf einen sehr schnellen Ausstieg. Auch die anderen Länder in Europa und in der Welt, die bislang größere Teile ihrer Energieversorgung mit Atomkraft decken, werden von der Fukushima-Katastrophe nicht unbeeindruckt bleiben können. Bei Tschernobyl konnte man auf veraltete Technologie der Sowjetunion verweisen. Im Hochtechnologieland Japan geht das nicht mehr.

Jetzt müssen endlich die Lehren gezogen werden, dass die Nutzung der Atomenergie unverantwortbar ist. Das dem Bundesumweltministerium unterstellte Umweltbundesamt hält nach einer aktuellen Studie den Ausstieg schon 2017 für machbar. Bis 2050 könnte dann der Strombedarf in Deutschland komplett aus regenerativen Quellen kommen und damit auf Importabhängigkeiten von Öl, Gas und Kohle verzichtet werden. Voraussetzungen sind hohe Investitionen in neue Übertragungsnetz und Speicherkapazitäten. Ganz wichtig ist, dass die Städte, Kreise und Gemeinden mitziehen.

Hätten wir in Deutschland den damaligen Dialog über die beste Energiezukunft weitergeführt und uns schon vor 30 Jahren stärker auf Alternativen konzentriert, wären wir heute in einer besseren Situation. Die Lehre daraus ist, dass eine offene Bürgerbeteiligung in zentralen Themenbereichen heute mehr denn je in Deutschland und auch in der EU ratsam ist.

Autor*in
Peter H. Niederelz

ist Ministerialrat und Publizist.

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