Hans Mommsen: Trauer um einen Historiker wider Willen
picture-alliance / akg-images
Wer im ZDF Dokumentationen wie „Hitlers Helfer“ schaut, könnte leicht auf den Gedanken kommen, Nationalsozialismus und Holocaust seien das detailliert geplante Projekt einer kleinen Mörderbande gewesen. So verteidigten sich nach 1945 auch viele, die ihren eigenen Beitrag zur Diktatur nicht eingestehen wollten. Dass wir heute genauer auf diese Zeit schauen, daran hat Hans Mommsen einen großen Anteil. Er machte deutlich, welchen Anteil die traditionellen Eliten am Untergang der Weimarer Demokratie hatten. Und er erklärte, wie komplex das „Dritte Reich“ funktionierte, welche Eigendynamik auch die Konkurrenz verschiedener Gruppen und Machtapparate entwickelte.
Hans Mommsen: „Unter keinen Umständen Geschichte studieren“
Mommsen entstammte einer Historikerfamilie: Er war Urenkel von Theodor Mommsen und Sohn von Wilhelm Mommsen, beide Größen ihres Faches. In die Wiege gelegt war ihm die spätere Karriere dennoch nicht. Vater Wilhelm war ein Anhänger der Bismarck´schen Staatstradition und geriet so mit den nationalsozialistischen Machthabern in Konflikt, was ihn zwar nicht um seine Stellung, aber um einen Großteil seiner Einnahmen brachte. Nach dem Krieg verlor er im Zuge der Entnazifizierung seine Professur.
Hans Mommsen empfand diesen Umgang mit seinem Vater als unverhältnismäßig und machte dafür auch dessen Professoren-Kollegen verantwortlich, denen er Eifersucht und Verleumdung vorwarf. Folgen hatte dessen Diskreditierung auch für ihn selbst. Zum einen, weil er „unter vergleichsweise katastrophalen Bedingungen“ aufwuchs, wie Mommsen in einem Interview erzählt hat. Und zum anderen, weil er durch diese Erlebnisse früh auf Distanz ging zu den Neuzeithistorikern dieser Jahre. Sein Mut zum Konflikt und seine Suche nach neuen Perspektiven rührte wohl auch aus dieser Zeit. „Wir wollten ursprünglich unter keinen Umständen Geschichte studieren“, sagte Hans später über sich und seinen Zwillingsbruder Wolfgang. Im Verlauf des Studiums zog es die beiden aber dann doch immer mehr zu diesem Fach.
Die Forschung zur Arbeitergeschichte trieb Mommsen voran
Hans Mommsen studierte ab 1951 in Marburg und Tübingen Germanistik, Geschichte und Politikwissenschaft. Als Schüler von Hans Rothfels, dem Begründer der modernen deutschen Zeitgeschichtsforschung, verfasste er seine Doktorarbeit über „Die Sozialdemokratie und die Nationalitätenfrage im Habsburger Vielvölkerstaat 1867-1907“. Nach seiner Habilitation (über das Beamtentum im Dritten Reich) begann er 1968 als Professor an der Ruhr-Universität Bochum zu arbeiten. Dort gründete er das Institut zur Geschichte der Arbeiterbewegung mit, das er von 1977-1985 leitete.
Schon 1960 war Mommsen in die SPD eingetreten. Ab 1982 gehörte er neu gegründeten Historischen Kommission beim Parteivorstand an, die Willy Brandt und Peter Glotz ins Leben gerufen hatten. Bernd Faulenbach, der Vorsitzender der Kommission, erinnert sich: „In der Geschichte der Sozialdemokratie interessierten ihn besonders das Verhältnis von Nation und Transnationalität, von gesellschaftlicher Dynamik und politischen Ordnungsmodellen, von Klassenbindung und Volksparteianspruch. Die Weimarer Republik, zu der er ein großes Werk und zahlreiche Aufsätze veröffentlichte, war aus seiner Sicht zwar durch die alten Eliten mitgeprägt, belastend war die Rolle ökonomisch-gesellschaftlicher Interessen, doch hatten aus Mommsens Sicht auch die republikanischen Kräfte ihre Chancen nicht voll genutzt.“
Die Wissenschaft soll Rückfälle verhindern
Die Geschichtswissenschaft habe in der Bundesrepublik die Funktion der politischen Beratung verloren, sagte Mommsen selbst einmal. Aber sie habe „gerade nach den Erfahrungen der nationalsozialistischen Diktatur und der Krise der Weimarer Republik die Aufgabe, einen Rückfall der deutschen politischen Kultur in autoritäre und nationalistische Denkhaltungen durch historische Aufklärung entgegenzutreten.“
In diesem Sinne blieb Mommsen bis zum Schluss aktiv. Noch im vergangenen Jahr veröffentlichte er ein neues Buch zur Entstehung des Holocaust. Er war stets – auch für seine Partei – ein unbequemer und kritischer Geist“, sagt SPD-Chef Sigmar Gabriel über den Historiker. Nun ist Hans Mommsen am 5. November, seinem 85. Geburtstag, gestorben.
arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.