Hamburgs Bürgermeister Tschentscher: erfolgreich als Anti-Volkstribun
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„Peter wer?“ Das fragte nicht nur die Berliner Tageszeitung „taz“, als im März 2018 bekannt wurde, wer in Hamburg Erster Bürgermeister wird. Peter Tschentscher, der promovierte Mediziner, war bis dahin eher ein Mann im Hintergrund – im Hamburger Senat geachtet und geschätzt, aber über die Stadtgrenzen hinaus kaum bekannt.
Stolz auf gute Zahlen
„Zahlenzar“ hat eine Zeitung ihn genannt in Anspielung auf seine Funktion als Finanzsenator der Freien und Hansestadt seit 2011. Das ist ein Amt mit klar formulierter Aufgabe: für Haushaltsdisziplin sorgen. Und so legte Peter Tschentscher in seinen sieben Jahren als Präses der Finanzbehörde den Grundstein dafür, dass Hamburg die gesetzliche Schuldenbremse sogar übererfüllt. Das stellte er nicht ohne Stolz – nun als Erster Bürgermeister – im Juni 2018 beim Beschluss des Haushaltsplanentwurfs für die Jahre 2019/2020 fest.
Wer über Finanzen entscheidet muss Generalist sein, muss wissen, was in jedem Ressort anliegt, muss die Prioritäten kennen. Das ist keine schlechte Voraussetzung für die neue Aufgabe. Er freue sich darauf, aus dem Ressort, das ihn sieben Jahre lang auf Haushalt und Finanzen begrenzt habe, heraustreten zu können, sagte er in seinem ersten großen Interview nach seiner Wahl zum Ersten Bürgermeister Ende März dem „Hamburger Abendblatt“.
Auf dem Weg zum Professor
Tschentscher wurde 1966 in Bremen geboren, als einer von vier Söhnen eines Holzhändlers. Aufgewachsen ist er in Oldenburg, wo er 1985 Abitur machte und seine Politisierung in Zeiten von „Atomkraft Nein Danke“ und Protesten gegen die Nato-Nachrüstung begann. Der Zivildienst beim Rettungsdienst in Ostfriesland wurde zur Initialzündung für seinen beruflichen Lebensweg. Er studierte in Hamburg Humanmedizin und Molekularbiologie, wurde an der Medizinischen Fakultät der Universität Hamburg habilitiert und arbeitete bis 2011 als Oberarzt im Diagnostikzentrum des Universitätsklinikums Eppendorf. Er hätte auch Professor werden können, wäre da nicht schon lange auch die Politik gewesen.
1989 trat Tschentscher in die SPD ein und wurde 2007 Vorsitzender des SPD-Kreisverbandes Hamburg-Nord. Von 1991 bis 2008 war er Mitglied der Bezirksversammlung Hamburg-Nord, von 1999 bis 2008 Vorsitzender der SPD-Bezirksfraktion und von 2008 bis 2011 Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft, war Mitglied im Haushaltsausschuss, stellvertretender Vorsitzender und finanzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.
Mann der leisen Töne
Tschentscher ist ein Mann der leisen Töne, ein Anti-Volkstribun, einer der keine große Bugwelle nötig hat. Er sei „der intelligenteste und schnellste Denker, dem ich je in der Partei begegnet bin“, wird in der SPD über ihn gesagt. Dennoch sind (vor)schnelle Urteile seine Sache nicht. Er halte es mit der ärztlichen Tugend, sagt er im Hamburger Abendblatt: „Zunächst untersuchen, dann einen Befund erheben und die Diagnose stellen. Erst zum Schluss wird die Therapie festgelegt.“ Das könne man durchaus auf die Politik übertragen.
Für die Freie und Hansestadt hat er Teile seiner Therapie so formuliert: bezahlbare Wohnungen sowie ein stärkerer Dialog mit den Hamburgerinnen und Hamburgern. Hamburg soll führende Wissenschaftsmetropole werden. Tschentscher will „die innovativsten Köpfe aus Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft“ in die Hansestadt holen, und er fordert zwölf Euro Mindestlohn, „damit man im Alter von seiner Rente leben kann“.
Hamburg geht voran beim Mindestlohn
Hamburg geht mit gutem Beispiel voran. Zwölf Euro Mindestlohn soll für alle Beschäftigten der Stadt Hamburg gelten sowie in den Betrieben und Unternehmen ihres Einflussbereichs. Darüber sollen mit den zuständigen Gewerkschaften Tarifverträge vereinbart werden, „wenn erforderlich schrittweise, innerhalb dieser Legislaturperiode“. 2019 soll über den Fortschritt Bericht erstattet werden.
Auch beim Wohnungsbau geht es weiter voran. In seiner Regierungserklärung im April kündigte Tschentscher an, die Stadt werde „jedes Jahr den Bau von mindestens 10 000 neuen Wohnungen ermöglichen“, darunter 3000 geförderte. Seit Juni besucht der Erste Bürgermeister jeden der 17 Hamburger Wahlkreise, um sich den Fragen und Anregungen der Bürgerinnen und Bürger zu stellen. „Peter – wer?“ ist er schon lange nicht mehr. „Kaum war ich nominiert, wurde ich am nächsten Tag beim Bäcker angesprochen: Sie sind doch unser neuer Bürgermeister“. Und spätestens seit er 12 Euro Mindestlohn gefordert hat, kennt man ihn auch überregional.