Inland

Gutes Essen auch für Hartz-IV-Kinder

von Yvonne Holl · 6. November 2012

Spätestens bei der Gesundheit von Kindern sollte der deutsche Föderalismus Grenzen haben, sagt der SPD-Politiker Thomas Krüger. Oder warum dürfen die Mahlzeiten von Kindern in Bayern 4,20 Euro kosten und in Thüringen nur 1,90 Euro?

Herr Krüger, verläuft beim Essen für Kinder eine Kluft durch Deutschland?
Natürlich gibt es viele Kinder, bei denen die Eltern besonders auf ihre gesunde Ernährung achten. Und es gibt sehr viele Eltern, die das auch gerne machen würden, aber nicht die entsprechenden finanziellen Mittel haben. Die Kluft zwischen Kindern aus reichen und armen Elternhäusern macht sich an vielen Dingen fest, an der Kleidung, an Krankheitsbildern, an Bildungsmöglichkeiten und eben auch am Essen.

Regionales Gemüse und Fleisch aus artgerechter Haltung kostet meist etwas mehr. Ist das im Budget überhaupt drin, auch wenn die Eltern Hartz IV beziehen oder Niedrigverdiener sind?
Ganz klar nein. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass mit den Hartz-IV-Regelsätzen eine ausgewogene Ernährung kaum möglich ist. Und bei denen, die knapp über den Sätzen liegen und beispielsweise Kinderzuschlag bekommen, sieht es auch nur unwesentlich besser aus. Gerade der Ernährungsbedarf für ältere Kinder ist so hoch, dass selbst die Hartz-IV-Sätze der Erwachsenen nicht ausreichen würden.

Entscheidet das Einkommen über die Qualität des Essens?
In vielen Fällen ja, aber ich würde hier vor zu weitgehender Generalisierung warnen. Discountereinkäufe und Schnäppchenjagd sind ja inzwischen eine Art Volkssport in der Mittel- und Oberschicht unserer Gesellschaft. Das Einkommen entscheidet nicht ausschließlich, sondern hier spielen auch Bildung und Gesundheitsbewusstsein eine Rolle. Es ist auch wichtig, dass Eltern ein Bewusstsein dafür haben, was Qualität ist und wie man sie auf den Teller bekommt. Der Effekt eines guten Schulessens und einer guten Gesundheits- und Ernährungsbildung ist doch, dass unsere Kinder zu Multiplikatoren werden und zum Beispiel dann zuhause eine selbst gemachte Erbsensuppe einfordern.

Sollte Politik verhindern, dass überhaupt ein Kilo Huhn für einen Euro verkauft werden kann?
Aufgabe der Politik muss es an dieser Stelle sein, für artgerechte Tierhaltung, gesundes Tierfutter und humane Bedingungen bei der Schlachtung zu sorgen. Politik muss auch für Mindestlöhne von denjenigen sorgen, die in diesem Bereich beschäftigt sind. Dann ergibt sich ein Preis, der nicht bei einem Euro liegen wird.

Was läuft beim Schulessen schief?
Leider eine ganze Menge. Wir müssen feststellen, dass vielfach große Caterer kleine Initiativen verdrängen. Hier herrscht das Diktat der klammen Kassen, und am Ende der Kette steht das schwächste Glied, nämlich das Kind an der Essenausgabe der Schulkantine. Der Verband der Schulcaterer hat hier schon Alarm geschlagen: Wenn Sparzwang herrsche, sparten einige in der Branche womöglich auch an Sicherheit und Hygiene. Hier fehlen Vorgaben bei Preisen und Kontrolle der Lieferfirmen. Grundsätzlich sollten wir weg von Großküchen und stärker auf dezentrale Lösungen setzen und diese auch finanziell unterstützen. Das schmeckt dann in vielen Fällen auch wesentlich besser, ist nicht verkocht, sondern frisch zubereitet. Wir Erwachsenen weichen schlechten Kantinen aus. Das ist Kindern leider nicht möglich. Es sollte aber auch überlegt werden, ob wir unseren Kindern Erdbeeren aus China auftischen müssen. Heimische Produkte wo es geht, Obst und Gemüse der Saison, das sollten die Leitlinien für das Schulessen sein.
Wer in der Kindheit nicht erfährt und erlebt, was gesunde Ernährung ist und dass sie unglaublich gut schmeckt, wird dies im Erwachsenenalter kaum nachholen können. Insofern ist eine gesunde Ernährung auch eine Grundsteinlegung für ein gesundes Leben. An dieser Stelle zu sparen ist langfristig verheerend, denn wir wissen doch alle, welche Auswirkungen schlechte Ernährung hat.

Müssen wir mehr Geld fürs Schulessen ausgeben? Und wer soll das bezahlen? Die Staatskasse oder die Eltern?
Da, wo die Eltern ein ausreichendes Einkommen haben, müssen diese die Kosten tragen, wo das nicht geht, ist die Gesellschaft und damit die öffentliche Hand gefordert. Alle Kinder und Jugendlichen in Deutschland müssen gesund aufwachsen können und faire Bildungschancen haben. Hier müssen wir das Geld, das im System der Familienförderung ist, konzentrieren und nicht durch Freibeträge und Steuervergünstigungen diejenigen besser stellen, die eh schon genug haben.

Während die Mahlzeiten an thüringischen Schulen nur 1,90 Euro kosten dürfen, stehen in Bayern 4,20 Euro zur Verfügung. Entsprechend unterschiedlich dürfte die Qualität ausfallen. Klingt ungerecht.
Ist es auch. An diesem Beispiel zeigt sich sehr deutlich, dass der Föderalismus in Deutschland spätestens bei Fragen, die die Gesundheit von Kindern betreffen, Grenzen haben sollte. Gleichwertige Lebensverhältnisse und Chancengleichheit sind so nicht zu erreichen.

Was müsste verändert werden?
Wir brauchen einige grundsätzliche Weichenstellungen in eine andere Richtung. Ernährungs- und Gesundheitsbildung von frühester Kindheit an sind eine wesentliche Voraussetzung für eine gute Entwicklung unserer Kinder. Fast 70 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland fänden es gut, in einer Schulküche kochen zu lernen. Aber nur jeder Fünfte hat bisher in der Schule schon einmal gekocht.

Hier müssen wir sowohl in Kitas als auch in Schulen mehr Gesundheits- und Ernährungsbildung betreiben. Wieso also nicht ein Schulfach „Gesundheits- und Ernährungsbildung“ ausprobieren?
Wir müssen uns aber gutes Essen für unsere Kinder auch etwas kosten lassen und dabei Kinder aus einkommensschwächeren Familien nicht ausschließen. Schließlich müssen den Essensanbietern Qualitätsstandards abverlangt und diese auch effektiv kontrolliert werden. Das muss nicht unbedingt zu höheren Preisen führen, mit ein bisschen Phantasie, Kreativität und vor allem mit der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist eine Menge möglich.


Thomas Krüger (SPD) ist Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks sowie der Bundeszentrale für politische Bildung.

Autor*in
Yvonne Holl

ist Redakteurin für Politik und Wirtschaft.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare