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Große Koalition, Neuwahl, Minderheitsregierung? SPD debattiert über ihren Kurs

Der Abbruch der Jamaika-Sondierungen hat auch die SPD kalt erwischt. Weil Neuwahlen drohen, steigt der Druck auf die Sozialdemokraten, ihr Nein zur Fortsetzung einer großen Koalition zu überdenken. Dabei gibt es auch andere Möglichkeiten.
von Kai Doering · 22. November 2017
SPD debattiert über neuen Kurs
SPD debattiert über neuen Kurs

Wenige Tage nach dem Abbruch der Sondierungen für eine Jamaika-Koalition im Bund steigt der Druck auf die SPD. Vermehrt werden – auch innerhalb der eigenen Partei, Stimmen laut, die Sozialdemokraten mögen ihre Absage an eine Fortsetzung der großen Koalition („GroKo“) mit der Union überdenken.

SPD uneins: große Koalition oder Neuwahl?

Insbesondere in der SPD-Bundestagsfraktion ist die Stimmung in der Frage große Koalition oder Neuwahl gespalten. „Eine große Koalition mit klaren Zielen und mehr SPD Themen würde z.B. mehr soziale Gerechtigkeit, bessere Situation in der Pflege, gute Arbeit, stabile Rahmenbedingungen für Investitionen in der Wirtschaft und Stabilität für unser Land bedeuten“, schrieb ihr wirtschaftspolitischer Sprecher Bernd Westphal auf seiner Facebookseite. Westphal gehört zum konservativen „Seeheimer Kreis“ in der Fraktion.

Dessen Sprecher Johannes Kahrs hatte bereits am Montag gegenüber vorwärts.de gesagt, nach dem Scheitern von Jamaika gebe es nun eine „neue Lage, in der die SPD genau überlegen muss, was sie tut“. Neben den Optionen Neuwahl und Minderheitsregierung gebe es auch die Möglichkeit einer großen Koalition. „Der Bundespräsident hat gesagt, alle sollen mit allen reden. Da hat er recht“, so Kahrs. In einem möglichen Gespräch mit der CDU müsse die SPD die ihr wichtigen Themen benennen. Dazu gehören für Kahrs die Rente mit 63, die Bürgerversicherung, Pflege und die Einstellung von mehr Polizisten. „Wir werden sehen, wohin uns diese Gespräche führen.“

Neuwahl als „allerletzte Option“

„Wir sollten zunächst das Gespräch zwischen Martin Schulz und Frank-Walter Steinmeier am Donnerstag abwarten“, mahnte Stefan Zierke, Sprecher der Abgeordneten aus Osteutschland. Neben einer Minderheitsregierung sind aus Zierkes Sicht auch Gespräche über eine große Koalition denkbar, „wenn wir uns über die Bedingungen einig sind“. Die Wünsche der Wähler ließen sich besser umsetzen, wenn die SPD der Regierung beteiligt sei. „Eine Neuwahl ist die allerletzte Option, die man ziehen sollte. Sie wäre den Wählern nur sehr schwer zu vermitteln“, so Zierke.

Ähnlich sieht es der außenpolitische Sprecher der Fraktion, Niels Annen: „Wir wollen keine GroKo. Aber selbstverständlich werden wir uns angesichts dieser Lage Gesprächen nicht verweigern“, schrieb er auf Twitter. Eine Neuwahl des Bundestags sieht er als letztes Mittel. Abgeordnetenkollege Frank Schwabe bringt dagegen genau die ins Spiel. „Bei einer Neuwahl muss die Alternative r2g (Rot-Rot-Grün, Anm.d.Red) gegen konservativ geführte Koalition heißen“, forderte Schwabe auf Twitter. Nach Meinung Schwabes, der Sprecher der „Denkfabrik“, eines Zusammenschlusses progressiver Abgeordneter, ist, könnte eine solche Auseinandersetzung „auch die Ränder klein halten“.

Minderheitsregierung statt Neuwahlen

Der Dortmunder Bundestagsabgeordnete Marco Bülow hält von einer Neuwahl des Parlaments hingegen nichts. „Es glaub wohl niemand, dass sich durch eine Neuwahl etwas ändert“, erklärte Bülow. Diese würde nur viel Geld kosten und am Ende stünde man vor denselben Schwierigkeiten, eine tragfähige Regierung zu bilden. Bülow bringt deshalb die Möglichkeit eine Minderheitsregierung ins Spiel. „In Skandinavien und anderen Ländern sind Minderheitsregierungen Realität und die ganze Panikmache bezüglich ihrer Handlungsfähigkeit trifft nicht zu“, so Bülow. Und wenn das Modell doch nicht funktioniere, „könnte man immer noch eine Neuwahl ansetzen“.

Offen für das Modell einer Minderheitsregierung zeigten sich auch die Bundestagsabgeordneten Saskia Esken und Ulli Nissen, die sich ebenfalls via Twitter an der Diskussion beteiligten:

SPD-Vize-Chefs bleiben beim Nein zur GroKo

Indes sorgt die Richtungsdebatte nach Abbruch der Jamaika-Sondierungen auch außerhalb der Bundestagsfraktion für Diskussionen. Thorsten Schäfer-Gümbel, der sich bereits am Montag dagegen ausgesprochen hatte, dem „schleudernden Wagen“ der Kanzlerin wieder in die Spur zu helfen, bekräftigte diese Haltung am Mittwoch. Im ZDF-Morgenmagazin erklärte der SPD-Vize: „Wir sehen im Moment keine Basis für eine große Koalition.“ Bei der Suche nach Alternativen dürfte auch eine Minderheitsregierung nicht ausgeschlossen werden, so Schäfer-Gümbel, schließlich habe man in Hessen damit gute Erfahrungen gemacht.

Tatsächlich hatte sich im Jahr 2008 der geschäftsführende CDU-Ministerpräsident Roland Koch auf wechselnde Mehrheiten gestützt, und damit eine Minderheitsregierung geführt. Diese habe „für die Demokratie vieles gebracht“, sagte der hessische SPD-Vorsitzende Schäfer-Gümbel und fügte hinzu: „Wir haben viele kluge Gesetze beschlossen, weil wir über den Inhalt diskutiert haben im hessischen Landtag, jenseits von Koalitionsverträgen.“

Ralf Stegner, genau wie Schäfer-Gümbel Mitglied des Parteipräsidiums, twitterte:

Jusos erteilen GroKo klare Absage

Mit Kevin Kühnert schaltete sich auch der designierte Vorsitzende der Jusos in der SPD in die Debatte ein. „Die SPD muss bei ihrem Nein dazu bleiben, um Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen“, sagte Kühnert mit Blick auf die Forderungen nach einer Öffnung hin zur GroKo im Interview mit dem rbb-Inforadio. In Reaktion auf Forderungen, die SPD möge ihre Absage gegenüber einer Fortsetzung der GroKo überdenken, erklärte er: „Es gibt kein Recht darauf, die SPD in eine Regierung drängen zu können.“

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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