Griese: „Marktmechanismen im Sozial- und Gesundheitssystem beschränken “
SPD-Politikerin Kerstin Griese fordert, die Marktmechanismen für das Sozial- und Gesundheitssystem zu beschränken: „Die Regeln von Angebot und Nachfrage können im Sozialbereich nicht so funktionieren wie in der Wirtschaft“, sagt sie im Interview mit vorwärts.de.
vorwärts: Ein Gutachten im Auftrag der SPD-Fraktion spricht von einem „unsozialen System“ und meint die Arbeitsbedingungen in den Sozialberufen – in welcher Höhe bewegt sich beispielsweise der Durchschnittslohn?
Kerstin Griese: Eine Angabe zum Durchschnittslohn kann man aufgrund der sehr unterschiedlichen Tätigkeiten (von der Pflegehilfskraft über die Sozialarbeiterin bis zur Heilpädagogin) schwer machen, hierzu gibt es keine umfassende Datenlage. Es wäre die Aufgabe eines Runden Tisches, die notwendigen Daten zu erheben.
Pflegehilfskräfte leisten inzwischen einen wesentlichen Teil der eigentlichen Pflegeleistung. Für diese qualifizierte und verantwortungsvolle Tätigkeit ist ein Entgelt im Niedriglohnbereich völlig unangemessen. Einzelsondierungen haben ergeben, dass teilweise selbst Pflegefachkräfte zu einem Stundenlohn von gerade mal 8 Euro arbeiten.
Die SPD will die Arbeitsbedingungen in Sozialberufen mit einem Branchentarif verbessern. Dazu müssen Kirchen und Gewerkschaften an einen Tisch kommen. Wie groß ist die Bereitschaft auf beiden Seiten?
Bei einer Diskussion in der Friedrich-Ebert-Stiftung hat sich gezeigt, dass Einigkeit über das Ziel besteht: Wir brauchen eine Stärkung des Sozial- und Gesundheitswesens. Aber es wurde auch deutlich, dass es noch viel Gesprächsbedarf gibt. Die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie wollen unsere Vorschläge prüfen und sind zur Zusammenarbeit grundsätzlich bereit. Die Gewerkschaft ver.di hält daran fest, dass nur der "Zweite Weg" der Tariffindung durch Tarifparteien möglich sein soll, der auf dem Betriebsverfassungsgesetz beruht. ver.di hat vor dem Bundesverfassungsgericht Beschwerde eingelegt, weil sie das Streikrecht in der Begründung des Bundesarbeitsgerichtes für zu unterbewertet gegenüber dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen hält. Die Kirchen beschließen ihre arbeitsrechtlichen Regelungen und Lohnhöhen in arbeitsrechtlichen Kommissionen, die paritätisch aus Mitarbeitenden und Arbeitgebern besetzt sind, dem sogenannten "Dritten Weg", in dem Streik und Aussperrung ausgeschlossen sind.
Wie es danach weiter geht, ist schwer abzusehen, denn diesen Konflikt müssen Gewerkschaften und Kirchen entscheiden. Die SPD setzt sich weiter dafür ein, alle Beteiligten in der sozialen Arbeit zusammen zu bringen. An diesem Vorhaben habe ich mit Ottmar Schreiner gemeinsam zwei Jahre lang gearbeitet. Wir haben in vielen Gesprächen mit allen Beteiligten die Idee eines allgemein verbindlichen Branchentarifes Soziales entwickelt.
Wenn der Wettbewerb Ursache für den Kostendruck beim Personal ist, muss dann diese Wettbewerbsorientierung nicht begrenzt werden?
Ursache für den verschärften Wettbewerb und den Kostendruck auf die Einrichtungen sind die geänderten Bedingungen in der Refinanzierung durch die Einführung von Kostenpauschalen. Wir brauchen Regelungen, damit die tariflich gesicherten Löhne Grundlage der Erstattung werden. Daher wird in dem Gutachten vorgeschlagen, das Tarifsystem stärker mit dem Sozialrecht zu verzahnen. Konkret wird vorgeschlagen, dass Personalkosten, die auf Tarifverträgen, kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen, Mindestlöhnen und der Allgemeinverbindlichkeit beruhen, immer als wirtschaftlich anzusehen sind. Die Politik muss eine gerechte Ordnung auf diesem Arbeitsmarkt schaffen, sonst sinken die Löhne der Pflegekräfte weiter bei gleichzeitig steigenden Arztgehältern.
Sollte sich die Arbeit am Menschen überhaupt nach dem Prinzip des Wettbewerbs orientieren?
Ich bin der Ansicht, dass wir die Marktmechanismen für das Sozial- und Gesundheitssystem beschränken müssen. Der Wettbewerb muss um die Qualität gehen, nicht um die billigste Pflegeleistung. Die Regeln von Angebot und Nachfrage können im Sozialbereich nicht so funktionieren wie in der Wirtschaft. Wir werden das Rad nicht zurück drehen, aber wir brauchen eine bessere Würdigung des Dienstes am Menschen. Solange es besser bezahlt wird, Reifen zu wechseln als einen alten Menschen zu pflegen, stimmt etwas nicht. Deshalb geht es um die wichtigen Fragen, wie viel uns soziale Arbeit in Zukunft wert ist und wie wir junge Menschen überzeugen, in diese Berufe zu gehen.
Mehr Informationen zur Bundestagsabgeordneten Kerstin Griese: http://kerstin-griese.de
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.