Inland

Griechenland braucht Fairness und Hoffnung

Eine ungefilterte Debatte „ohne Skandalisierungspotential“ über Griechenland wollten sie führen. Am Montag luden Gesine Schwan und Gustav Horn zu einem Vortrag des griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis mit anschließender Diskussion ein.
von Vera Rosigkeit · 9. Juni 2015
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Nationale Klischees und einseitige Informationen bestimmen die Debatte um den Kurs in Europa. Doch um Wege aus der Krise zu finden, die den ganzen Euroraum wirtschaftlich und politisch belastet, solange die Situation Griechenlands ungeklärt ist, ist eine ehrliche Diskussion dringend geboten.

Aber genau diese redliche Debatte fehlt. So zumindest sehen es Gesine Schwan, Präsidentin der Humboldt-Viadrina Governance Plattform und der Wissenschaftliche Direktor des IMK in der Hans-Böckler-Stiftung, Gustav Horn. Am Montag hatten sie eingeladen zu einem Vortrag des griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis und einer anschließenden Debatte über die Zukunft Griechenlands in der EU. Zu einer Diskussion auf „Augenhöhe und ohne Skandalisierungspotential“, wie Horn sagte. Im gut besuchten Kirchensaal des Französischen Doms in Berlin erklärte er, dass es an der Zeit sei, dass die Zivilgesellschaft die europäische Debatte führe und zwar „ohne Ressentiments“. Schwan pflichtete ihm bei: „Wir haben nicht den Eindruck, dass in der deutschen Debatte Fairness herrscht.“

Griechenland braucht Rede der Hoffnung

Varoufakis, der zuvor mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zusammengetroffen war, warb in einer 30-minütigen Rede darum, seinem Land Reformen zu erlauben, ohne „in den Ruin getrieben zu werden“. So könne den Menschen nicht geholfen werden, betonte er. Eindringlich beschrieb er die Krise in seinem Land: Seit einem halben Jahr arbeiteten 500 000 Menschen, ohne dafür bezahlt zu werden. Die Arbeitsbedingungen seien „schlimmer als Sklaverei“. Die Arbeitslosigkeit liege mittlerweile bei 27 Prozent, die Pensionen seien um 50 Prozent gekürzt worden. Das zeige, dass seine Regierung sehr wohl bereit sei, Reformen durchzuführen. Doch könne Griechenland seine Schulden nicht zurückzahlen, wenn es weiterhin spare.

Denn inzwischen gehe die Wirtschaft „auf den Knien“. Sein Land käme ohne Hilfe nicht mehr aus dieser Situation heraus, ein Angebot für einen Schuldenerlass gebe es aber nicht. Varoufakis verglich die Situation seines Landes mit der Lage Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Er erinnerte an die „Hoffnungsrede“ des damaligen US-Außenminister James Byrnes im Jahr 1946. Damals wurde den Deutschen die Möglichkeit gegeben, ihre Not zu beenden. Auch Griechenland brauche Hoffnung, so Varoufakis, und eine Rede der Hoffnung, die von der deutschen Bundeskanzlerin gehalten werden solle.

Strategie des Sparens gescheitert

Dass eine Rede der Hoffnung für Griechenland wichtig ist, um den Menschen Vertrauen in ihre Wirtschaft zurückzugeben, davon ist auch der Ökonom Gustav Horn überzeugt. Um Griechenland wettbewerbsfähiger zu machen, musste es die Löhne kürzen. Doch inzwischen will jeder Investor einen Risikozuschlag, was die Kapialkosten erhöhe. Die Unsicherheit im Land sei „fundamental“ und die „Strategie des Sparens gescheitert“, erklärte Horn. Das Land brauche Vertrauen und Sicherheit.

Was aber ist zu tun? Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, schlug vor, die Schuldenzahlungen Griechenlands an seine Wachstumsraten anzupassen. Eine Vereinbarung, die Rückzahlungen zeitlich zu flexibilisieren, sei notwendig. Doch wie kommt man heraus aus der Blockade, in der die Verhandlungen mit den Geldgebern verharren? Wie kann man einen Verhandlungsprozess fortsetzen, der ein Land so ruiniert? Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion der Grünen im Bundestag, ist empört über eine Debatte, die nur auf Haushaltszahlen schaut. Alle drei Monate werde über den „Grexit“ diskutiert, dabei brauche das Land eine langfristige Lösung, denn „da geht es Menschen richtig schlecht“, sagte er.

Und vor allem brauche die Debatte über die Zukunft Griechenland eines: eine verbale Abrüstung. Ebenso wie die Veranstalter Gustav Horn und Gesine Schwan sieht auch DGB-Chef Reiner Hoffmann einen Mangel an Aufklärung und Orientierung in der Diskussion um die Krise in Europa. Anders als vielfach behauptet, habe Griechenland nicht über seine Verhältnisse gelebt. Die Finanzmarktkrise sei in eine Staatsschuldenkrise umgewandelt worden. „Wir brauchen einen Kurswechsel in Europa“, sagte Hoffmann. „Und wir müssen raus aus der Austeritätspolitik.“

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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