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Gleichberechtigung trotz Corona: „Wir müssen an die Lohnstruktur ran“

Frauen trifft die Corona-Krise doppelt: auf dem Arbeitsmarkt und in der Familie. Der Staat muss gegensteuern, sagt Bettina Kohlrausch von der Hans-Böckler-Stiftung.
von Vera Rosigkeit · 2. Juli 2020
Systemrelevant: Krankenschwestern spielen in der Corona-Krise eine wichtige Rolle. Sie brauchen mehr Anerkennung, auch finanziell, sagt Bettina Kohlrausch.
Systemrelevant: Krankenschwestern spielen in der Corona-Krise eine wichtige Rolle. Sie brauchen mehr Anerkennung, auch finanziell, sagt Bettina Kohlrausch.

Corona benachteiligt Frauen doppelt, so das Fazit einer Studie der Hans-­Böckler-Stiftung. Wieso doppelt?

Die doppelte Benachteiligung resultiert daraus, dass Frauen zumeist in Bran-chen tätig sind, in denen schlechtere  Arbeitsbedingungen vorherrschen und schlechtere Löhne gezahlt werden. Das Kurzarbeitergeld wird hier nur selten vom Arbeitgeber aufgestockt, weshalb Frauen davon auch seltener profitieren als Männer. Weil sie in einer schwächeren Erwerbsposition sind, trifft sie die Krise auch härter. Das hat dann, zweitens, auch Konsequenzen für die Sorgearbeit. Die wurde schon vor der Krise zum Großteil von Frauen gemacht, doch weil durch Schul- und Kitaschließungen mehr Stunden dazugekommen sind, hat sich die Situation verschärft. Auch wenn wir die Aushandlungsprozesse auf der privaten Ebene nicht in Zahlen dokumentieren können, wissen wir aus anderen Studien, dass Frauen, wenn sie weniger Geld haben, mehr Sorgearbeit übernehmen. In erster Linie, weil man auf das Gehalt des Mannes nicht verzichten kann. Beide Benachteiligungen greifen Hand in Hand: Frauen machen mehr Sorgearbeit und sind schlechter gestellt auf dem Arbeitsmarkt. Das macht die Krise sichtbar.

Lässt sich also von einem Rollback in der Gleichstellung sprechen?

Es ist eine Verschärfung von Mustern und Strukturen, die es vorher schon gab. Deutlich wird das bei Paaren, die sich vor der Krise die Sorgearbeit fair geteilt haben. Nur noch 60 Prozent teilen nach wie vor fair, alle anderen fallen in zu-meist traditionelle Rollenmuster zurück. Diese Tendenz ist stärker ausgeprägt bei Paaren, die weniger Haushaltseinkommen zur Verfügung haben.

Das bedeutet, dass nicht alle Frauen gleich betroffen sind?

Frauen mit höheren Einkommen trifft das weniger hart. Auch sie übernehmen mehr Sorgearbeit als Männer, aber eben nicht so häufig wie Frauen mit niedrigem Einkommen, eben weil sie eine bessere Arbeitsmarktposition haben. Geringverdienende Frauen sind diejenigen, die am wenigsten geschützt sind.

Hat die Retraditionalisierung der Geschlechterrollen vor allem einen ökonomischen Hintergrund?

Sie hat auch einen ökonomischen Hintergrund, doch nicht nur. Wir sehen derzeit, dass die Gleichstellung von Frauen, die bisher auf dem Arbeitsmarkt erreicht wurde, sehr fragil ist. Vor allem aber hängen wir bei der Frage nach der Verteilung der Sorgearbeit hinterher. Die Vereinbarkeitsleistung, die Eltern bewältigen müssen, wird beinahe ausschließlich von Frauen erledigt. Sie wird aber auch von ihnen erwartet.

Angenommen die professionelle ­Pflegearbeit würde besser bezahlt, würde dadurch auch die Care-Arbeit in der Familie aufgewertet?

Beides resultiert ja aus der gleichen Logik: Die Arbeit aus Liebe, die entweder gar nicht oder schlecht bezahlt wird. Inzwischen hat sich zwar die berufliche Pflegearbeit professionalisiert, aber es handelt sich noch immer um Semi-Professionen. Verglichen mit dem Beruf des Arztes beispielsweise, der als Profession geschützter ist als die Krankenpflege, auch was Karrierewege und Aufstiegsoptionen angeht. Deshalb gilt: Würden Frauen mehr verdienen, hätten sie nicht nur eine bessere Arbeitsmarktposition, sondern auch eine andere Ausgangslage in den internen Verhandlungspositionen mit dem Partner.

Das betrifft ja auch die sogenannten systemrelevanten Berufe, die ­während der Krise beklatscht wurden und ­überwiegend von Frauen gemacht ­werden. Was muss jetzt passieren?

Wir müssen an die Lohnstruktur ran. Natürlich kann der Staat nicht in ein Tarifgefüge eingreifen, aber bei öffentlich bezahlter Beschäftigung tätig werden. Beispielsweise in einem ersten Schritt keine öffentlichen Aufträge mehr vergeben, wenn die Auftragnehmer keine vernünftigen Löhne zahlen. Und wir müssen die Daseinsvorsorge finanziell besser ausstatten. Sie darf nicht ausschließlich nach marktwirtschaftlichen Prinzipien gestaltet werden. Wir brauchen gerade hier vernünftige Löhne, weil das Frauenlöhne sind. Gut wäre gewesen, im Konjunkturpaket finanzielle Hilfen an gleichstellungspolitische Maßnahmen zu koppeln. Zumindest haben wir aber relativ viel Geld für den Ausbau der Ganztagsbetreuung an Schulen. Die wird bislang sehr viel an freie Träger ­aus­gelagert, wo überwiegend Frauen arbeiten, oft nicht tarifgebunden und schlecht bezahlt. Das sollten wir ändern und hier vernünftige Jobs schaffen.

Bettina Kohlrausch ist seit dem 1. Mai 2020 Wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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