Gewerkschaften brauchen mehr Unterstützer
Mit den Veränderungen durch Globalisierung, Digitalisierung, Demographie, aber auch der Lebensinteressen der Menschen, gehen große Herausforderungen an die Gewerkschaften einher. Ein weiterer gravierender Einschnitt in das gewerkschaftliche Umfeld erfolgte mit dem historisch und politisch großen Ereignis der Deutschen Einheit. Dies wurde zehn Jahre später verstärkt mit der Schaffung der Europäischen Währungsunion 2001 und der gemeinsamen Währung.
Wachsende Armut trotz Beschäftigungswunder
In der Bundesrepublik – lange Jahre als der „sklerotische Mann“ Europas verunglimpft – wird bereits wieder über ein Zweites Beschäftigungswunder sinniert. Gleichzeitig nimmt die soziale Spaltung dramatisch zu. Während sich Spitzeneinkommen, große Vermögen und hohe Kapitalerträge in den Händen von immer weniger Wohlhabenden konzentrieren, sind 7,5 Prozent der Bevölkerung und ein doppelt so hoher Anteil der Kinder von Armut betroffen. Der soziale Abstieg hat inzwischen auch die sogenannte Mitte der Gesellschaft erfaßt. Politische Radikalisierung gibt es nicht nur in den südeuropäischen Krisenländern, sondern auch in solchen Kernländern der Europäischen Gemeinschaft (EU) wie Frankreich, Großbritannien und selbst den als Vorbilder für den Sozialstaat geltenden skandinavischen Mitgliedsländern. In der Bundesrepublik bedeuten das Aufkeimen von Fremdenfeindlichkeit mit der Pegida Bewegung, aber auch derartige Tendenzen in der neu gegründeten Partei AfD, ebenfalls nicht zu unterschätzende politische Gefahren.
Die Gewerkschaften stehen am 18. März 2015, dem 70. Jahrestag der Einheitsgewerkschaft, vor lebens- und überlebenswichtigen Herausforderungen. Die Eckpfeiler des Sozialstaates – Tarifautonomie, Soziale Sicherung, humane Arbeit – haben nur dann eine Zukunft, wenn es gelingt, einen Paradigmenwechsel bei der Verteilung von Einkommen, Arbeitsbedingungen sowie Arbeits- und Lebenschancen einzuleiten. Zielsetzung muss die gleichberechtigte Teilhabe aller Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft sein. Dazu ist ein gemeinsames Vorgehen der Gewerkschaften heute und in Zukunft mindestens so erforderlich wie vor 70 Jahren. Ein wesentlicher Eckpfeiler des Sozialstaates ist und bleibt die im Grundgesetz geschützte Tarifautonomie. Sie bei den gravierenden Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft zu erhalten und zukunftsfähig zu machen, ist eine ständige Herausforderung für den DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften. Eine unabdingbare Voraussetzung hierzu ist eine gemeinsame Strategie bei den anstehenden Verfahren zum Tarifautonomiestärkungsgesetz.
Gewerkschaften brauchen Hilfe
Den Gewerkschaften sind mit den Verbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung und der Einführung des einheitlichen gesetzlichen Mindestlohnes wichtige Schritte gelungen. Vom Mindestlohn werden zwischen drei und vier Millionen Arbeitnehmer, vor allem Frauen profitieren, die bis jetzt zu teilweise erheblich niedrigeren Löhnen arbeiten mussten. Weitere Schritte der Reregulierung auf dem Arbeitsmarkt müssen folgen, vor allem müssen die ausufernden Mißbräuche durch befristete Beschäftigung, Leiharbeit und Werkverträge verhindert werden. Vordringlich ist die Beseitigung der massenhaften Armutsfalle bei Armut und im Alter durch die auf weit über sieben Millionen explodierten Minijobs, vor allem für Frauen.
Dies ist immer weniger vom DGB alleine zu leisten, zumal die Mitgliedsgewerkschaften ihre Arbeit auf die Betriebs- und Tarifpolitik für ihre Mitglieder in den Betrieben konzentrieren. Die Verantwortung des DGB für die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik macht es erforderlich, die Zusammenarbeit mit Sozial- und Wohlfahrtsverbänden, Kirchen sowie sonstigen betroffenen Institutionen der Zivilgesellschaft weiterzuentwickeln.
Dr. Ursula Engelen-Kefer leitet den Arbeitskreis Sozialversicherung im Sozialverband Deutschland. Von 1990 bis 2006 war sie stellvertretende Vorsitzende des DGB.