Inland

Gewalt gegen Polizei ist eine „Steilvorlage für Rechtsextreme“

Nach Angriffen auf Polizist*innen an Silvester wird über linksextreme Gewalttäter und die Rolle der Polizei diskutiert. Die Debatte lenkt von einer wichtigeren Frage ab, meint Jörg Radek, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei.
von Benedikt Dittrich · 9. Januar 2020
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Herr Radek, die SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken hat nach der Silvesternacht eine Bewertung der Einsatzstrategie gefordert. Ärgert es Sie, dass sich Politiker in die Arbeit der Polizei einmischen?

Das gehört schon zum Berufsalltag. Nach der Silvesternacht 2015/2016 wurde der Polizei vorgeworfen, sie sei auf der Domplatte in Köln nicht präsent genug gewesen. Jetzt heißt es, unsere erhöhte Präsenz in Leipzig-Connewitz sei eine Provokation gewesen. In diesem Spannungsfeld wird sich Polizeiarbeit immer bewegen. In Köln war die Polizei überfordert und konnte die Gefahr für die Bürger nicht abwehren. Das ist eine Situation, in die die Polizei nie geraten will. Es ist unsere Aufgabe als Gewerkschaft der Polizei zu erklären, welche Kritik richtig ist und welche nicht.

Die Einsatzkräfte sollen also immer einen Schritt voraus sein?

Genau. Die Einsatzleitung muss genug Informationen haben, um Personal und Ausrüstung im Vorfeld abschätzen zu können. In Connewitz gab es in vergangenen Silvesternächten Situationen, in denen sogar Wasserwerfer eingesetzt werden mussten. Es wäre fahrlässig gewesen, das auszublenden.

Der Stadtteil gilt als Hochburg von Linksextremen und Autonomen. Gruppen, die schon die Anwesenheit der Polizei als Provokation empfinden. Wird das auch berücksichtigt?

Dort wurde 2014 eine Polizei-Dienststelle eingerichtet, die seitdem immer wieder von linken Autonomen angegriffen wurde, ganz unabhängig vom Jahreswechsel. Das ist quasi eine alltägliche Situation, obwohl ich gar nicht von alltäglich sprechen will. Ich möchte generell nicht, dass Polizei-Dienststellen angegriffen werden, nur weil sie da sind. Damit wird unser Staatswesen verdreht. Polizei-Dienststellen dürfen nicht als Provokation angesehen werden. 
Ein weiterer Aspekt sollte auch nicht vergessen werden: Dort werden auch alternative Wohnprojekte aus dem rechten Lager angegriffen. Diese Links-Rechts-Auseinandersetzungen muss man im Kopf haben. Ich habe kein Verständnis dafür, wenn erhöhte polizeiliche Präsenz als Provokation interpretiert wird.

Warum nicht?

Der Staat ist dazu da, dass er der Zivilgesellschaft eine Ordnung gibt, wir in Freiheit und Toleranz leben können. Diese Ordnung wird der Staat auch mit Zwang durchsetzen müssen. Dafür gibt es das Gewaltmonopol, dafür gibt es die Polizei. In einer pluralistischen Gesellschaft gehört die Auseinandersetzung mit anderen Meinungen dazu. Dafür müssen wir aber auch Ordnungskräfte haben, die dafür sorgen, dass das friedlich und ohne Gewalt stattfindet. 

„Das ist eine Steilvorlage für die Rechtsextremisten“

Die Polizei ist also ein Prellbock für links und rechts?

Ja, die Beschreibung trifft zu. In der Bereitschaftspolizei gibt es diese Situation ja nahezu jedes Wochenende. Es gibt Aufmärsche von rechten Kräften, die vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung geschützt sind und dann gibt es Gegendemonstrationen, die diesen Aufmarsch unterbinden wollen. Die Polizei muss aber die verfassungsgemäße Versammlungsfreiheit durchsetzen. Deswegen ist es ja so wichtig, dass die Polizei thematisch neutral bleibt. 
Wenn aber mutmaßliche Linksextreme auf Polizisten Steine werfen, ist das eine Steilvorlage für die Rechtsextremen, die dann sagen können: ‚Seht her, das sind eure Feinde, mit uns wäre das nicht passiert!‘

In Leipzig wurde die Polizei für ihre fehlerhafte Öffentlichkeitsarbeit kritisiert. Ist das nicht auch eine Steilvorlage?

In den sozialen Medien erleben wir eine Echtzeitkritik. Da gibt es immer Menschen, die mit Polizeimaßnahmen unzufrieden sind. Andere werden sie loben. Deswegen ist da ein hohes Maß an Sensibilität erforderlich. Wir genießen als Institution ein hohes Vertrauen in der Gesellschaft, das dürfen wir nicht aufs Spiel setzen. Das müssen wir auch in unserer Medienarbeit immer reflektieren.

Ist das denn mit Blick auf die Silvesternacht gelungen?

Den Kollegen muss man zu Gute halten, in welcher Schnelligkeit und Hektik manchmal solche Meldungen verfasst werden. Diese Diskussion darüber darf aber nicht über den Anlass der Maßnahme hinwegtäuschen: Warum musste überhaupt so viel Polizei da sein? Eine Antwort darauf zu finden, ist doch viel wichtiger! Stattdessen hält man sich in der Nachbetrachtung sehr schnell an Oberflächlichkeiten fest.

Sie haben die SPD-Parteivorsitzende nach der Kritik zu einem Gespräch eingeladen, zwischenzeitlich haben sie schon miteinander telefoniert. Inwiefern soll das helfen? 

Ich bin froh, dass es dieses Telefonat gab und ich freue mich, wenn es zu einem direkten Austausch kommt. Wir geben gerne unsere Erfahrungen von Großveranstaltungen weiter. Anderseits müssen wir auch immer wieder erklären, was die Grundlage unseres Handelns ist.

Welche Unterstützung erwarten Sie dabei von einer Partei wie der SPD?

Ich habe an alle Parteien dieselbe Erwartungshaltung. Dazu gehört die Erkenntnis, dass gesellschaftliche Probleme nicht mit polizeilichen Mitteln gelöst werden können. Bevor Polizei einschreitet, ist vorher etwas misslungen. Egal ob in Leipzig-Connewitz oder anderswo: Wenn Polizei mit Zwang die Ordnung wiederherstellen muss, muss vorher die Kommunikation misslungen sein. Dieses Problem zu lösen, ist aber eine politische Aufgabe. Zudem sollte in der Nachbetrachtung nicht von einer Provokation durch die Polizei gesprochen werden. Die richtige Frage ist doch: Warum musste so viel Polizei in Leipzig-Connewitz sein? In anderen Stadtteilen in Leipzig ist die Silvesternacht friedlich verlaufen. 

Andererseits ist Silvester ohnehin keine alltägliche Nacht.

Was wir an Silvester immer wieder erleben, ist Gewalt in einer enthemmten Gesellschaft, nicht nur in Leipzig. Es gibt aber inzwischen pro Tag 32 Attacken auf Beschäftigte der Polizei, auch Rettungsdienste werden angegriffen. Insofern ist die Silvesternacht bedauerlicherweise eine alltägliche Nacht geworden. Es gibt einzelne Gruppen, die die Ordnungsmacht Polizei nicht anerkennen.

Diese Entwicklung ist aber nicht neu. Darauf hätte man doch schon längst reagieren können?

Dem ehemaligen SPD-Justizminister Heiko Maas ist es zu verdanken, dass für Angriffe auf Einsatzkräfte das Strafrecht verschärft wurde. Unter dem Leitbild vom „Schlanken Staat“ wurde in den 90er-Jahren auch bei der Polizei Personal abgebaut. Das Problem ist, dass die Polizei jetzt nicht mehr sichtbar ist und das beeinträchtigt nicht nur das Sicherheitsgefühl der Bürger. Das wieder zu ändern, ist ein Kraftakt, aber notwendig. Wenn niemand mehr da ist, der die Ordnung aufrechterhält, wird das von einzelnen Gruppen für Vandalismus und Randale ausgenutzt. 

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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