Gesundheit: Wie die Leistungsfähigkeit für alle bezahlbar bleibt
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Ein neues Gesetz soll die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung stabilisieren. Worum geht‘s?
Die gesetzliche Krankenversicherung steht aktuell vor einem historisch hohen Defizit in Höhe von 17 Milliarden Euro, das für das kommende Jahr prognostiziert wird. Damit die Krankenkassen handlungsfähig bleiben und es keine Leistungseinschränkungen für die Versicherten gibt, haben wir ein Finanzstabilisierungsgesetz auf den Weg gebracht, um das Defizit auszugleichen. Es bietet in der jetzigen Form allerdings nur eine kurzfristige Lösung an. Um das Defizit langfristig auszugleichen, ist das Gesundheitsministerium verpflichtet, bis kommenden Mai Vorschläge für eine Gesamtreform auszuarbeiten.
Zunächst einmal: Sind die höheren Ausgaben Folge der Corona-Krise?
Corona hat viel Geld gekostet, macht aber nicht den wesentlichen Anteil aus. Die höheren Ausgaben sind Folge der demografischen Entwicklung, wodurch Leistungen stärker in Anspruch genommen werden und sie haben damit zu tun, dass in den vergangenen Jahren Leistungsgesetze verabschiedet wurden, deren Gegenfinanzierung nicht gesichert war. Ein Beispiel ist die sogenannte Neupatient*innenregel. Diese Maßnahme schlug mit einem hohen Extrabudget für Ärzt*innen zu Buche, ohne dass sie zu einer besseren Versorgung oder schnelleren Terminen geführt hat. Aus diesem Grund hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach auch vorgeschlagen, die Neupatient*innenregel zu streichen.
Für das Streichen der Neupatient*innenregel gab es von Seiten der Ärzt*innen viel Kritik. Berechtigt?
Es gab Ärztinnen und Ärzte, die ihren Patient*innen den Eindruck vermittelt haben, dass die Versorgung durch die Streichung schlechter würde. Das stimmt aber nicht. Ursprünglich war das Ziel dieser Neupatient*innenregelung, dass Menschen leichteren Zugang zur Versorgung haben, indem sie zeitnah einen Termin bei Fachärzt*innen bekommen. Wir sind der Meinung, dass wir dieses Ziel mit Honorarzuschlägen viel besser erreichen können.
Wo liegt der Vorteil der neuen Honorarzuschläge, die die Neupatient*innenregel ablösen wird?
Als Neupatient*innen galten auch beispielweise alle Patient*innen, die zwei Jahre lang keine Arztpraxis aufgesucht haben. Dafür war die Regelung aber nicht vorgesehen. Wir wollten, dass die gesetzlich Versicherten bei der Terminvergabe nicht länger benachteiligt werden. Um das zielgenauer zu erreichen, werden in Zukunft Haus- und Fachärzt*innen von Honorarzuschlägen profitieren, wenn sie schneller einen Termin anbieten. Hausärzt*innen erhalten außerdem einen Zuschlag, wenn sie einen Termin bei einer Fachärztin oder einem Facharzt vermitteln.
Kommen wir zur Preisbildung bei Arzneimitteln. Da wird es ebenfalls Änderungen geben. Welche sind wichtig?
Wichtig ist beispielsweise die Änderung bei der Preisfindung neuer Medikamente. Kommt ein Medikament neu auf den Markt, ist es bislang so, dass das Pharmaunternehmen den Preis für die Dauer eines ganzen Jahres selbst festsetzen kann. Erst danach wird ein Preis auf der Grundlage der Nutzenbewertung des Arzneimittelneuordnungsgesetzes vereinbart. Wir haben jetzt den Zeitraum von einem Jahr auf sechs Monate verkürzt, weil zu diesem Zeitpunkt das Ergebnis der Nutzenbewertung bereits vorliegt. Ab dem siebten Monat, muss dann die Preisvereinbarung gelten. Denn wenn, wie in Einzelfällen schon geschehen, die Preise sehr hoch angesetzt sind, belastet das die Versichertengemeinschaft außerordentlich, auch für Arzneimittel, die gar keinen Zusatznutzen haben. Zusätzlich ist das Preismoratorium für Medikamente, die bereits auf dem Markt sind, bis ins Jahr 2026 verlängert worden.
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Die Arzneimittelausgaben machen einen großen Anteil im Budget der gesetzlichen Krankenversicherung aus. Vor allem der Anteil der patentgeschützten Arzneimittel, die gerade erst auf den Markt kommen, ist außerordentlich hoch. Was fehlt, ist Transparenz. Kein Unternehmen legt offen, wie die hohen Preise bei Markteinführung zustande kommen. Deshalb ist es richtig, in der Preisbildung Grenzen zu ziehen.
Wie groß war der Widerstand von Seiten der Pharmaunternehmen?
Die Pharmaindustrie argumentiert, dass wir als Gesetzgeber*in damit vor allem Innovation ausbremsen. Das glauben wir nicht. Denn wir sehen ja, dass die Gewinnmargen der Pharmaunternehmen enorm hoch sind, auch in Krisenzeiten. Und ein Blick in die Bilanzen zeigt, dass der Anteil an Forschungsausgaben geringer ist, als der an Werbeausgaben. Wenn wir also sagen, dass alle ihren Beitrag zur Sicherung der GKV leisten müssen, müssen auch die Hersteller in die Pflicht genommen werden.
Zumal ja auch die Versicherten höhere Beiträge zahlen müssen…
Die Versicherten werden ebenfalls herangezogen. Wir gehen davon aus, dass der Zusatzbeitrag um bis zu 0,3 Prozent steigen wird, wobei dieser Beitrag von den Kassen festgelegt wird. Als SPD hätten wir hier gerne eine Alternative geschaffen. Zum einen über einen höheren Zuschuss des Bundes, zum anderen dadurch, dass der Beitrag für Bezieher*innen von Arbeitslosengeld II in vollem Umfang aus Steuermitteln finanziert wird. Das ist uns bei diesem Stabilisierungsgesetz noch nicht gelungen.
Zur Erklärung: Was heißt volle Finanzierung der Beiträge für ALG II-Bezieher*innen?
Aktuell wird für Bezieher*innen von Arbeitslosengeld II nur ein Drittel eines durchschnittlichen Krankenkassenbetrags aus Steuermitteln gezahlt. Der gesetzlichen Krankenversicherung entsteht dadurch jedes Jahr eine Lücke von rund zehn Mrd. Euro, die die Beitragszahler ausgleichen müssen. Diese Kosten sind unserer Meinung nach nicht von der Versichertengemeinschaft zu zahlen, sondern fairerweise aus dem Bundeshaushalt. So ist es auch im Koalitionsvertrag vereinbart und muss im kommenden Jahr, wenn es darum geht, die Finanzen der Krankenversicherung auf Dauer zu stabilisieren, berücksichtigt werden.
Was ist bei der Gesamtreform noch geplant?
Wir wollen vor allem die Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems erhalten und eine solide Finanzierung gewährleisten. Dazu müssen wir die Dinge umsetzen, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Dazu zählt auch eine Krankenhausreform, mit der auch die sektorenübergreifende Versorgung gestärkt werden soll. Aktuell bereitet eine Regierungskommission Vorschläge dafür vor. Dies nicht nur mit Blick auf finanzielle Entlastungen, sondern auch vor dem Hintergrund des massiven Personalmangels bei Pflegekräften und Ärzt*innen.
Wird es Änderungen bei der Beitragsbemessungsgrundlage geben?
Das Anheben der Beitragsbemessungsgrenze ist uns als SPD sehr wichtig. Nach dem Prinzip, dass starke Schultern mehr tragen müssen als schwache, würde man die gut Verdienenden stärker zur Finanzierung heranziehen als die Bezieher*innen niedriger oder mittlerer Einkommen. So ließe sich die Einnahmesituation verbessern. Dazu müssten wir allerdings auch die Versicherungspflichtgrenze anheben, sonst würden möglicherweise viele Versicherte dazu neigen, in die private Krankenversicherung zu wechseln. Ob diese Maßnahme in der Koalition umsetzbar ist, bleibt offen.
Ist das SPD-Konzept der Bürgerversicherung ganz vom Tisch?
In der Koalition konnten wir uns darauf leider nicht verständigen. Aber als SPD setzen wir uns neben dem Anheben der Beitragsbemessungsgrenze auch dafür ein, dass junge Beamt*innen eine Wahlmöglichkeit zwischen GKV und privater Krankenversicherung bekommen. Das SPD-geführte Hamburg war hier vorangegangen und hat die Wahlmöglichkeit eingeführt. Inzwischen bieten immer mehr Länder diese Option für ihre Beamt*innen ebenfalls an. Es ist ein erster wichtiger Schritt, für diese Personengruppe die GKV als Alternative stark zu machen. Für uns als SPD ist und bleibt die Bürgerversicherung ein wichtiges Ziel, auf das wir weiter hinarbeiten, auch wenn es in dieser Legislaturperiode nicht auf der Agenda steht.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.