Generationengerechtigkeit: Sind Oma und Opa die klügeren Wähler?
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„Wenn nur Alte und Frauen wählen, dann haben wir eine super Qualität der Demokratie“, sagt der Politik-Professor Karl-Rudolf Korte. Er steht im Sitzungssaal der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und bricht eine Lanze für die sogenannten älteren Semester. Eingeladen hat ihn der neo-liberale Thinktank „Stiftung Marktwirtschaft“, der dem Wirtschaftsflügel der CDU nahesteht. Das Thema an diesem Mittwoch im Berliner Reichstag: der demographische Wandel und seine Auswirkungen auf Wahlen. Die zentrale Frage: Wenn die Wähler immer älter werden, wird die Politik irgendwann alt aussehen?
Rechtspopulismus: Frauen und Alte weniger anfällig
Korte sagt, es seien gar nicht die Senioren, die zum Konservativen oder Reaktionären tendierten. Vielmehr gebe es „eine Art nervöse Mittelschicht“, von der die Rechtspopulisten aktuell profitierten. So sei die AfD bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen vor allem von Männern um die 40 gewählt worden – Frauen und Alte seien hingegen weniger anfällig für die Parolen der Rechten.
Der Brexit scheint jedoch das Gegenteil zu belegen: Bei dem Referendum im Juni 2016 waren es vor allem die Stimmen der Alten, die den Ausstieg aus der EU forderten – und mehrheitlich beschlossen. Es waren schlicht zu wenig junge Brexit-Gegner an die Urnen gegangen.
Mehrheit der deutschen Wähler über 55 Jahre alt
In Deutschland seien die „eifrigsten Wähler“ die 60- bis 70-Jährigen, sagt der Politikwissenschaftler Michael Eilfort von der „Stiftung Marktwirtschaft“. Bei der kommenden Bundestagswahl werde zum ersten Mal eine Mehrheit der Wähler älter als 55 Jahre sein. Menschen also, die fest im Leben stehen, denen es aber mehr um den Erhalt des Status Quo geht als um Innovation und Fortschritt. Drohen also auch in Deutschland die Alten den Jungen die Zukunft zu verbauen – wie in Großbritannien?
So einfach scheint es nicht zu sein. Die Wähler in der Bundesrepublik seien generell wenig an politischen Turbulenzen interessiert, meint Karl-Rudolf Korte. Sie scheuten Experimente in der Wahlkabine, Vorsicht und Gewohnheit überwögen bei den meisten. „Schlicht, nüchtern – das mögen wir“, sagt Korte über die Deutschen. Das gelte für den Durchschnitt aller Wähler in der Bundesrepublik. Das Alter spiele beim Wahlverhalten dagegen keine so große Rolle.
„Enkeldenken ist nachhaltiges Denken“
Jedoch können es sich Senioren besser leisten, auf politische Innovationen und neue Ideen zu verzichten – schließlich werden sie vieles nicht mehr erleben, was der Bundestag für die kommenden Jahrzehnte beschließt. Ihr Interesse an Nachhaltigkeit sei deshalb geringer als bei den Jungen, analysiert Korte. Trotzdem ließen sich auch die Senioren für zukunftsorientierte Politik begeistern. Der Trick: das „Enkeldenken“. Wer Enkelkinder habe, mache sich Sorgen um deren Zukunft und stimme deshalb für weitsichtige Politik. „Enkeldenken ist das nachhaltige Denken“, sagt Korte. Oma und Opa wählen also klüger – und finden progressive Parteien attraktiv.
Die Juso-Bundesvorsitzende Johanna Uekermann kann mit dem Begriff „Enkeldenken“ allerdings wenig anfangen. Für sie muss Politik „werteorientiert funktionieren“ und darf sich nicht nach dem Alter der Wähler richten. Sie will sich im Hier und Jetzt für gerechte Politik einsetzen. Zum Beispiel: höhere Löhne für Azubis. „Das bedeutet, man muss Geld in die Hand nehmen“, sagt sie bei der Veranstaltung der „Stiftung Marktwirtschaft“. Höhere Löhne für die Jungen seien in Sachen Generationengerechtigkeit sogar zentraler als die Rente – zugleich kritisiert die Juso-Chefin, die Union habe bei letzterem noch immer nichts anzubieten, während die SPD mit guten Vorschlägen in den Bundestagswahlkampf gehe.
Wärmt die CDU den Wahlkampf 2013 auf?
Dass die Konservativen in Sachen Rente blank sind, muss auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Kai Whittaker zugeben. Seine Partei sei bei der Rentenfrage „noch in einem Prozess“, gesteht er ein. In seiner Fraktion werde sogar gerade überlegt, dieses Jahr noch einmal mit dem populären Thema „Mütterrente“ in den Bundestagswahlkampf zu ziehen. „Dem Wahlkampfschlager vom 2013 noch einmal ein Revival zu geben“, wie Whittaker sagt. Und natürlich will er Steuersenkungen statt Investitionen und staatliche Rentenzuschüsse: Damit die Jungen fürs Alter sparen können, wiederholt er ein altbekanntes CDU-Mantra.
Mit Anfang 30 sind Juso-Chefin Uekermann und der CDU-Abgeordnete Whittaker ungefähr gleich alt – dass das Alter mit der politischen Überzeugung aber wenig zu tun hat, zeigen ihre gegensätzlichen Positionen bei der Diskussion um die richtige Zukunftspolitik bei Löhnen, Steuern und Rente. In einem sind sich die beiden allerdings einig: Einen „Krieg der Generationen“, den braucht niemand – weder die Jungen noch die Alten.
ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.