Dürfen neun Abgeordnete für den gesamten Bundestag entscheiden? Über diese Frage entscheidet heute das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Zwei SPD-MdB sehen ihre Rechte als Volksvertreter beschnitten.
Im Prinzip ist die Entscheidung schon gefallen, wenn auch nur vorläufig. Bereits im Oktober letzten Jahres erließ der zweite Senat, unter Vorsitz von Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle, auf Antrag der beiden SPD-Bundestagsabgeordneten Swen Schulz und Peter Danckert eine einstweilige Anordnung, die der schwarz-gelben Regierungskoalition die Übertragung der Verantwortung für die Gewährung milliardenschwerer Kredite im Rahmen des Euro-Rettungsschirms auf ein kleines Gremium untersagte.
Denn damit wäre das Budgetrecht – das Königsrecht des Parlamentes – ausgehebelt und Entscheidungen, die unter Umständen sogar die nachfolgenden Generationen betreffen, würden nicht mehr vom Bundestag und auch nicht mal mehr von dem aus 41 Mitgliedern bestehendes Haushaltsausschuss, sondern lediglich von einem aus neuen Mitgliedern bestehenden Kleinstgremium getroffen. Bestehen sollte diese zu Recht als „Geheimgremium“ bezeichnete Institution aus drei Abgeordneten der CDU, je zwei von SPD und FDP und jeweils einem Abgeordneten von Grünen und Linkspartei.
Neun für 620
In der mündlichen Verhandlung Ende November in Karlsruhe argumentierten die beiden Kläger Schulz und Danckert, letzterer sitzt selbst im Haushaltsausschuss, das geplante Gesetz würde ihre Rechte als Abgeordnete verletzen und mit der Konstituierung dieses Gremiums würden 611 von 620 Mitgliedern des Bundestages die Möglichkeit genommen, für ihre Wähler tätig zu seien. Beide Parlamentarier betonten dabei ausdrücklich, nicht gegen den Euro-Rettungsschirm und die notwendigen Kredite für Griechenland und eventuell weiteren in Zahlungsschwierigkeiten geratende Euro-Staaten zu sein.
Vertreter der Bundesregierung hielten dagegen, Deutschland müsse handlungsfähig bleiben und benötige in diesen Fragen unbedingt eine schnellstmögliche Beschlussfassung. Würde man erst alle 41 Mitglieder des Haushaltsausschusses samt ihrer Stellvertreter informieren, könne man die Nachricht auch gleich in die Zeitung setzen. Wolfgang Schäuble betonte gerade die Notwendigkeit der Eile bei finanzpolitischen Beschlüssen: „Erfahren die Märkte im Vorhinein, dass die Bundesregierung zum Beispiel Staatsanleihen aufkaufen möchte, können sie leicht dagegen spekulieren und es wird für den Steuerzahler noch teurer“, argumentierte der Finanzminister.
Schwächung des Parlaments, Stärkung der Regierung
Fiskalpolitisch sinnvolle Entscheidungen zu treffen und den Steuerzahler nicht mehr als nötig zu belasten, ist natürlich die Hauptaufgabe jedes Finanzministers, aber genau dieser Punkt verweist auf ein zentrales Problem nicht nur in diesem Fall: Die stetig zunehmende Schwächung des Parlaments bei gleichzeitig sukzessiver Stärkung der Exekutive.
Es kann als beredtes Zeichen gesehen werden, wenn der zu den konservativeren Verfassungsrichtern zählende Udo Di Fabio, der seit Dezember letzten Jahres dem zweiten Senat nicht mehr angehört und durch den ehemaligen saarländischen Ministerpräsident Peter Müller ersetzt wurde, in der mündlichen Verhandlung darauf hinweist, dass dieses Neuner-Gremium in der Tat schon sehr nah an die Exekutive heranführe.
Der zweite Senat begründete seine einstweilige Anordnung im letzten Oktober im wesentlichen damit, dass das Votum der Neunergruppe die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages berühre. Wenn es eine „mögliche Rechtsverletzung“ beginge, so die Richter, dann wäre dies nicht mehr rückgängig zu machen, da die Bundesrepublik mit einer Zustimmung zu den EFSF-Maßnahmen, sprich den Euro-Rettungsschirmen, völkerrechtlich bindende Verpflichtungen eingegangen wäre. Und an dieser Sachlage hat sich auch durch mittlerweile vom Gesetzgeber durchgeführte marginale Korrekturen des Stabilisierungsmechanismus-Gesetzes nichts wesentliches geändert.