Inland

Gegen die Normalisierung des Suizids

Wenn Ärzte Todkranken beim Sterben assistieren dürften, würden wir es dann irgendwann als normal empfinden, unser Leben durch Suizid zu beenden? Das fürchtet Prälat Karl Jüsten, Leiter des Katholischen Büros Berlin.
von Prälat Dr. Karl Jüsten · 3. September 2014
Die unantastbare Menschenwürde dürfe nicht zu einem absoluten Verfügungsrecht über das Leben selbst führen, meint der Prälat Karl Jüsten.
Die unantastbare Menschenwürde dürfe nicht zu einem absoluten Verfügungsrecht über das Leben selbst führen, meint der Prälat Karl Jüsten.

Seit einiger Zeit wird in Politik und Gesellschaft wieder intensiv um das Thema Sterben in Würde gerungen. Unsere Gesellschaft wird immer älter und ist immer stärker durch Vereinzelung geprägt. Da ist es nur allzu verständlich, dass Menschen Angst haben vor einer Lebenssituation, die von schwerer Krankheit, von Schmerzen – und möglicherweise auch von Einsamkeit und Kontrollverlust geprägt ist. Oft wird dabei die Frage aufgeworfen, ob dem Einzelnen nicht ein Recht darauf zustehe, über den Zeitpunkt und die Art seines Todes selbst zu bestimmen.

Selbstbestimmung, aber kein absolutes Verfügungsrecht

Die Selbstbestimmung des Menschen als Ausfluss seiner unantastbaren Würde ist ein zentraler Begriff für alle Fragen, die sich im Zusammenhang mit Krankheit und Sterben stellen. Nach unserer christlichen Überzeugung von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen bedeutet Selbstbestimmung „selbstgestaltete und selbstverantwortliche Lebensführung“, führt jedoch nicht zu einem absoluten Verfügungsrecht über das Leben selbst. Allerdings steht jedem Einzelnen ein Recht auf ein Sterben in Würde zu. Dies folgt aus der unantastbaren Menschenwürde, die unsere Verfassung jedem ohne Ansehen seiner Leistungsfähigkeit, seiner Vernunftbegabung oder gar seinem Nutzen für andere um seiner selbst willen vorbehaltlos und bedingungslos zubilligt.

Im Mittelpunkt steht die Begleitung Sterbender

Die menschliche Qualität unserer Gesellschaft hängt entscheidend davon ab, wie wir jenen begegnen, die verzweifelt, einsam, alt, krank und gebrechlich sind. In solchen Situationen muss der verletzliche Mensch Fürsorge, Hilfe zum Leben, zur Krisenbewältigung und in der letzten Lebensphase eine Begleitung erhalten, die es ihm ermöglicht, diesen Weg in Selbstachtung und ohne massive Schmerzen zu gehen. Dies in ganz Deutschland zu ermöglichen, sollte Ziel aller Verantwortlichen in Gesellschaft und Politik sein. Die flächendeckende medizinische, pflegerische und seelsorgliche Begleitung Schwerstkranker und Sterbender muss dabei im Mittelpunkt aller Überlegungen stehen.
Die notwendige Hilfe in der letzten Lebensphase schließt die bereits bestehenden, rechtlich zulässigen und aus christlicher Perspektive ethisch vertretbaren Formen der Begleitung Sterbender mit ein. Sie reichen – bei einem entsprechenden Patientenwillen – vom Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen („passive Sterbehilfe“), über den aktiven Abbruch lebenserhaltender Therapien („Therapiezieländerung“) bis hin zu Schmerztherapien, die im extremsten Fall das Bewusstsein einschränken und auch eine Lebensverkürzung als Nebenfolge in Kauf nehmen („palliative Sedierung“ oder „indirekte Sterbehilfe“). Das bedeutet, dass in Deutschland niemand gegen seinen Willen sinnlosen lebensverlängernden medizinischen Maßnahmen ausgesetzt sein muss und auch niemand unter Schmerzen sterben muss.

Das menschliche Leben nicht relativieren

Demgegenüber lehnt die katholische Kirche die derzeit in der Diskussion stehenden Formen der organisierten Hilfe zur Selbsttötung ab. Dies gilt für die Dienstleistungsangebote sogenannter Sterbehilfeorganisationen genauso wie für die jüngst vorgeschlagene gesetzliche Regelung des ärztlich assistierten Suizids. Beides würde zu einer gewissen Normalisierung der Lebensbeendigung durch Suizid führen. Wir befürchten, dass sich hierdurch unser Zusammenleben entscheidend verändern und das menschliche Leben in einer nicht hinnehmbaren Weise relativiert und gefährdet würde.
Je selbstverständlicher und einfacher zugänglich derartige Optionen der Hilfe zur Selbsttötung werden, umso eher ist zu befürchten, dass sich gerade jene in einer extrem belastenden Lebenssituation innerlich oder äußerlich unter Druck gesetzt sehen würden, von der bestehenden Option Gebrauch zu machen und ihrem Leiden ein Ende zu bereiten. Wer hat nicht schon einmal den Satz eines schwerkranken Menschen gehört „Ich will aber doch niemandem zur Last fallen“.  Hier sollten wir als Gesellschaft die Hand zum Leben reichen und nicht die Option zur organisierten Selbsttötung anbieten.

Prälat Dr. Karl Jüsten leitet das Katholische Büro in Berlin des Kommissariats der deutschen Bischöfe.

 

Autor*in
Prälat Dr. Karl Jüsten

leitet das Katholische Büro in Berlin des Kommissariats der deutschen Bischöfe.




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