Gefährlicher Irrweg: Warum Atomkraft das Klima nicht rettet
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Atomkraft als verlässliche, bezahlbare Energie bis zum Umstieg auf Erneuerbare Energien – damit rechtfertigte 2010 die schwarz-gelbe Bundesregierung die Laufzeitverlängerung. Ein kurzer Irrweg, der nur wenige Monate später in einem schlecht organisierten Wiedereinstieg in den Atomausstieg endete. Im globalen Kampf gegen den Klimawandel scheint Kernenergie aber noch nicht abgeschrieben zu sein: Auch zehn Jahre nach Fukushima werden noch Atomkraftwerke geplant, gebaut und betrieben. Ist die Energiewende in Deutschland mit dem Fokus auf Erneuerbare Energien also nur ein anderer Irrweg? Wir nehmen Kernenergie an diesem historischen Tag noch einmal anhand von Kosten, Klimabilanz und Verlässlichkeit unter die Lupe.
Atomenergie als klimaneutrale Stromquelle?
Zunächst ist es nicht von der Hand zu weisen: Ein Atomkraftwerk produziert Strom klimaneutral. Bei der Spaltung von Uran-Atomen wird Energie erzeugt, ohne dass dabei klimaschädliches CO2 entsteht. Was als Abgase über den Kühltürmen sichtbar ist, ist Wasserdampf.
Doch das ist nur die halbe Rechnung: Der „Treibstoff“ für Atomkraftwerke, Uranerz, muss abgebaut und angereichert werden. Die Brennstäbe aus den Kraftwerken müssen regelmäßig erneuert und irgendwann eingelagert werden, wenn sie nicht mehr aufbereitet werden können. Das Öko-Institut in Darmstadt hat bereits 2007 vorgerechnet, dass dieser Prozess viel Strom benötigt. Der wurde damals vor allem mit Kohle erzeugt, war also besonders klimaschädlich. Im Grundsatz gilt aber auch heute noch: Die atomare Stromerzeugung ist nicht CO2-neutral.
Gleiches gilt für den Bau der Atomkraftwerke, denn dafür werden neben Zement und Stahl auch zahlreiche Edelmetalle benötigt. Abbau und Produktion sind energieintensiv und umweltschädlich. Allerdings: Auch bei Photovoltaik oder Windkraftanlagen müssen solche Produktionsketten bei der CO2-Bilanz berücksichtigt werden. Ein Atomkraftwerk schneidet dabei aber nicht besser ab, birgt stattdessen noch zusätzliche Risiken für Mensch und Umwelt, wie die Reaktorkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima zeigen.
Günstiger Strom aus Atomkraftwerken?
Selbst wenn man diese Risiken ignoriert: Atomstrom ist auch alles andere als günstig. Rechnet man die Umlagen auf Strom aus Erneuerbaren Energien raus, die die SPD gerne reformieren und langfristig abschaffen möchte, ist Strom aus Wind, Sonne, Wasser und Biogas unschlagbar günstig. „AKWs sind längst unwirtschaftlich und waren dies auch in der Vergangenheit, da die realen Kosten immer politisch aufgefangen wurden“, schreibt die SPD-Bundestagsfraktion. „Bei den Stromerzeugungskosten liegen sie seit Jahren deutlich über Wind und Sonne“.
Damit spielen die Bundestagsabgeordneten Matthias Miersch, Nina Scheer und Carsten Träger vor allem auf die Subventionen in Milliardenhöhe an, die die Energiekonzerne in der Vergangenheit für den Betrieb ihrer Atomkraftwerke erhielten – zusätzlich zu den Entschädigungszahlungen, die die Rückwärts-Rolle beim Ausstieg 2011 verursacht hat. Verständlich erklärt hat das unter anderem die Wissenschaftssendung „Quarks“ mit Rückgriff auf Zahlen des Umweltbundesamtes und des Fraunhofer-Instituts. So kostet Atomstrom je nach Berechnung 6 bis 15 Cent pro Kilowattstunde, Windkraft 4 bis 8 Cent – und die Chancen stehen gut, dass erneuerbarer Strom noch günstiger wird.
Unterdessen könnten die Kosten für Atomstrom noch steigen. Denn die Kosten für den Rückbau der Kraftwerke sowie die Endlagerung des Atommülls sind Faktoren, die nur schlecht beziffert werden können. Dafür bilden die Konzerne zwar Rücklagen, ob die ausreichen, ist aber unklar. In Deutschland wird seit Jahrzehnten nach einem Endlager gesucht – bislang aber ohne Erfolg.
Atomstrom als Ergänzung zu Erneuerbaren Energien?
Als 2010 die Laufzeit von Atomkraftwerken verlängert wurde, war die Rede von einer „Brückentechnologie“, um die Schwankungen bei der Stromerzeugung von Erneuerbaren Energien und ihren schleppenden Ausbau auszugleichen. Probleme, die noch präsent sind: Wenn kein Wind weht und keine Sonne scheint, kann es zu Engpässen und „Versorgungslücken“ kommen. Wie also die Grundlast auffangen, wenn an manchen Tagen zu wenig grüner Strom produziert wird, überschüssiger Strom an anderen Tagen aber nicht gespeichert werden kann? Atomenergie wäre da immerhin umweltfreundlicher als Kohlestrom, so die Überlegung.
Nur: Atomkraftwerke sind nicht flexibel. Die Kraftwerksbetreiber müssen im weit Voraus wissen, welche Schwankungen es im Stromnetz geben wird, um die Energieerzeugung anzupassen. Die Atomspaltung kann nicht einfach, je nach Wetterlage, per Knopfdruck an- oder abgeschaltet werden. Eine Wasserstoffstrategie, verbunden mit einem massiven Ausbau der Erneuerbaren könnte stattdessen diese Probleme beheben. Auch der 12-Punkte-Plan zum Atomausstieg, den SPD-Umweltministerin Svenja Schulze am Donnerstag vorgestellt hat, zeigt deutlich in eine andere Richtung.
Die Sozialdemokratin zielt auch darauf, den Abschied von der Kernenergie über deutsche Grenzen hinweg zu unterstützen, Subventionen für diese Form der Energieerzeugung weltweit zu senken sowie hohe Sicherheitsstandards für die noch aktiven Atomkraftwerke in Europa zu erhöhen. „Unsere Arbeit ist mit dem deutschen Atomausstieg Ende 2022 nicht beendet“, verkündete Schulze bei der Vorstellung des Plans.