Inland

GdP-Chef Malchow: „Münchner Attentat hätte verhindert werden können“

Die Bluttaten von Würzburg, München und Ansbach haben Deutschland erschüttert. Zumindest das Münchner Attentat hätte verhindert werden können, sagt der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow. Einen hundertprozentigen Schutz vor Amokläufern werde es aber nie geben.
von Kai Doering · 26. Juli 2016
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Würzburg, München, Ansbach: Die vergangenen Tage waren von schrecklichen Amokläufen geprägt. Können Sie sich diese Häufung erklären?

Ich sehe keine Zusammenhänge zwischen den drei Taten. Man könnte mutmaßen, dass sich Attentäter von vorangegangenen Blutttaten animiert gefühlt haben, aber das lässt sich nicht ermitteln. Zumal ja die Tat von München wohl eher vom Amoklauf in Winnenden 2009 inspiriert gewesen ist. Auch dass alle drei Taten in Bayern verübt wurden, ist aus meiner Sicht Zufall.

Die Motive der drei Taten waren sehr unterschiedlich, ebenso wie die Vorlaufzeiten. Hätten sie verhindert werden können?

Zumindest das Münchner Attentat hätte verhindert werden können, wenn der Täter nicht an die Waffe gekommen wäre. Dafür hätte die Polizei allerdings mehr Hinweise aus dem „Darknet“ haben müssen, was weder die gegenwärtigen Gesetze noch die personelle Ausstattung der Polizei zulassen. Klar ist: Solche Taten wie in Würzburg, München oder Ansbach können nie ganz verhindert werden.

Aus der Politik kommen nach den Taten Forderungen nach unterschiedlichen Konsequenzen. Welche teilt die Gewerkschaft der Polizei?

Wir halten uns bewusst mit Forderungen nach solchen Taten zurück, weil vieles reflexhaft geäußert wird, was selten Ziel führend ist. Wir teilen aber die Ansicht, dass das Waffenrecht innerhalb der EU harmonisiert und zum Teil auch verschärft werden muss. Die Vorschläge der EU-Kommission liegen ja bereits vor. Halbautomatische, kriegsähnliche Waffen zum Beispiel dürfen aus unserer Sicht nicht mehr produziert werden. Wir sollten darüber hinaus alles uns Mögliche tun, damit Waffen und andere gefährliche Gegenstände nur kontrolliert verkauft werden.

Der bayerische Innenminister Hermann hält sich da nicht so zurück. Er hat gefordert, die Bundeswehr „in extremen Situationen“ auch im Inland einzusetzen. Schafft es die Polizei nicht allein?

Ich kann Herrn Hermann in diesem Punkt überhaupt nicht verstehen. Die Forderung, die er erhebt, ist allerdings von Seiten der CDU und der CSU auch nicht neu. Ein Einsatz der Bundeswehr im Innern würde eine gesellschaftliche Veränderung bedeuten, die wir als GdP nicht wollen. Wir haben keinen Staatsnotstand, sondern leben in einer Zivilgesellschaft, die von der Polizei geschützt wird. Wir brauchen Ermittler, die ihr Handwerk verstehen und keine martialische Zurschaustellung bewaffneter Soldaten. Beim Amoklauf in München haben die Kolleginnen und Kollegen gezeigt, wie leistungsfähig die Polizei ist. Keine der drei genannten Taten wäre mit einem Einsatz der Bundeswehr im Innern verhindert worden.

Ist die Polizei denn personell gut genug aufgestellt, um den wachsenden Herausforderungen gerecht zu werden?

Bundesweit schieben die Polizistinnen und Polizisten 20 Millionen Überstunden vor sich her – Tendenz steigend. Wenn man das in Stellen umrechnet, bräuchten wir 9000 zusätzliche Vollzugsbeamte in ganz Deutschland. Und selbst dann hätten wir erst den Zustand erreicht, den wir im Moment beklagen – nämlich, dass es zu wenige Polizisten gibt. In den vergangenen Jahren sind aber 16.000 Stellen im Strafvollzug abgebaut worden. Seit den Ereignissen in Köln zum Jahreswechsel gibt es glücklicherweise ein Umdenken in der Politik. Im aktuellen Bundeshaushalt wurde ja auch Geld für 5000 weitere Stellen bei der Polizei bereitgestellt. Das reicht aber nicht aus. Gerade bei der Bekämpfung der Alltagskriminalität haben wir einen riesigen Nachholbedarf. Bei den Wohnungseinbrüchen liegt die Aufklärungsquote im Schnitt zum Beispiel gerade mal bei 15 Prozent. Also: Wir brauchen mehr Leute bei der Polizei, aber die müssen qualifiziert sein.

Nach dem Anschlag von Würzburg wurde die Polizei kritisiert, weil sie den Täter erschossen und nicht bloß kampfunfähig gemacht hat. Können Sie die Kritik nachvollziehen?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe gar nichts dagegen, dass Abgeordnete wie Frau Künast kritisch nachfragen, aber das sollten sie nicht über Twitter tun, sondern das zuständige Ministerium befragen. Alles andere verunsichert zum einen die Bevölkerung, zum anderen aber auch die Kolleginnen und Kollegen, die sich in jeder vergleichbaren Situation die Frage stellen werden, ob sie ihre Schusswaffe überhaupt gebrauchen dürfen oder ob sie bei einer möglichen Fehlentscheidung öffentlich an den Pranger gestellt werden. Nach tödlichen Schüssen der Polizei – wie bei dem Einsatz bei Würzburg – gibt es immer ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren gegen den Schützen. Natürlich ist es in einer solchen Situation die erste Aufgabe eines Polizisten, einen Angreifer angriffs- oder fluchtunfähig zu schießen. Es gibt aber auch Situationen, in denen er keinen gezielten Schuss abgeben kann und dieser dann tödlich ist.

Sowohl in Würzburg als auch in Ansbach waren syrische Flüchtlinge die Täter. Geht von Flüchtlingen eine besondere Gefahr aus, wie vielfach behauptet wird?

Bundesweit laufen 59 Verfahren gegen Flüchtlinge wegen möglicher terroristischer Aktivitäten. In etwas mehr als 400 Fällen gibt es Hinweise auf mögliche Kontakte zu Terrororganisationen. Das sind schon nicht ganz kleine Zahlen, auch wenn man bedenkt, dass sich zurzeit etwa eine Million Flüchtlinge in Deutschland befinden. Wir wissen auch, dass es Menschen gibt, die in Syrien oder anderen Ländern für den IS gekämpft haben und die nun als Flüchtlinge nach Deutschland oder in andere Länder der EU gekommen sind. Wir dürfen aber nun nicht den Fehler machen, jeden Flüchtling unter einen Generalverdacht zu stellen. Die überwiegende Mehrheit ist selbst schutzbedürftig und vor dem Terror des IS und anderer Organisationen geflohen.

Es gibt Bestrebungen, die Menschen besser auf Amokläufe vorzubereiten. Was kann Präventionsarbeit in diesem Bereich leisten?

Nach den Amokläufen der vergangenen Jahre hat jeder Streifenbeamte ein spezielles Training absolviert. Bei Amokläufen und Terrorgefahr kommt es auf jede Minute an. Derjenige, der am Tatort ist, muss handeln und kann nicht auf das Eintreffen der Spezialkräfte warten. Da die früheren Amokläufe an Schulen stattgefunden haben, war die Polizei zuletzt vor allem hier in regem Kontakt, um auch Schüler und Lehrer vorzubereiten, was bei einem Amoklauf zu tun ist. Vorausschauend einen Amokläufer zu erkennen, halte ich dagegen für sehr schwierig. Häufig verhalten sie sich unauffällig oder die Veränderung geht so schleichend vonstatten, dass sie niemandem auffällt. Einen hundertprozentigen Schutz vor Amokläufern wird es nie geben.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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