GdP-Chef Malchow: „Die Polizei hat auf dem rechten Auge volle Sehkraft“
Herr Malchow, nach dem Mord an Walter Lübcke, dem Regierungspräsidenten von Kassel, fragen sich viele Bürger besorgt: Wurde die Gefahr des Rechtsterrorismus in Deutschland bisher unterschätzt?
Von wem soll denn diese Gefahr ernsthaft unterschätzt worden sein, nachdem der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund die Gesellschaft durch ihre Mordserie erschüttert hat. Für unserer Kolleginnen und Kollegen in der Polizei schließe ich das aus.
Der Attentäter war als Rechtsextremist schon aktenkundig und auffällig. Hätte er da nicht stärker auf dem Radar der Sicherheitsbehörden sein müssen?
Vielleicht hätte er können. Aber ab welchem Grad beispielsweise einer Äußerung ist der Punkt erreicht, ab dem polizeilich beobachtet wird? Und das vor dem Hintergrund einer Vielzahl aggressiv, bedrohender Aussagen. Wie schnell wird dann die Kritik an einem möglichen Bespitzelungsstaat laut? Auf der anderen Seite verfügt zumindest die Polizei momentan gar nicht über so große Kapazitäten, ein Videoportal oder soziale Netzwerke systematisch zu durchforsten. Hier ist künftig mehr qualifiziertes Personal nötig.
Sind angesichts des starken Medienechos auf den Mord an Walter Lübcke Nachahmertaten zu erwarten?
Nach einem solchen Mord könnten sich andere Rechtsextremisten – aber auch anders motivierte Menschen – zu Nachahmungstaten aufgerufen fühlen. Wir müssen sensibel sein, Hinweise genau analysieren und Gefährdungsbewertungen vornehmen.
Hass und Hetze im Internet spielen bei der Radikalisierung von Rechtsextremisten eine wichtige Rolle. Hat der Staat hier zu lange zu- bzw. weggeschaut?
Wen meinen Sie mit Staat? Die Sicherheitsbehörden schauen weder weg noch nicht lange genug hin. Wenn sie mit Staat jeden Bürger hierzulande meinen, dann könnten Sie jedoch Recht haben.
Polizei und Verfassungsschutz sehen sich schon länger dem Vorwurf ausgesetzt, „auf dem rechten Auge blind“ zu sein. Wie gehen Sie damit um?
Wir gehen mit Vorwürfen grundsätzlich sachlich um. Wenn etwas dran ist, dann nehmen wir uns das vor. Allzu pauschale Vorwürfe, wie der von Ihnen zitierte, helfen uns allen aber nicht weiter. Fakt ist: Die Polizei hat auf dem rechten Auge volle Sehkraft. Und: Polizistinnen und Polizisten mit entsprechender Sehschwäche haben in unserer Polizei nichts zu suchen.
Ihr Stellvertreter Jörg Radek spricht von „Sympathien für die AfD“ bei „vielen Beamten“ der Bundespolizei. Er begründet dies mit der Politik der offenen Grenzen der Bundesregierung gegenüber Flüchtlingen im Jahr 2015. Wie sehen Sie das?
Mein Kollege hatte übrigens nicht die, wie Sie in der Frage formulieren, Politik der offenen Grenzen als Hintergrund für seine Einschätzung angeführt, sondern die mangelnde Transparenz der politischen Entscheidung. Sinngemäß sagte er, dass die Bundesregierung der Bundespolizei nie erklärt habe, warum die Beamten in Jahr 2015 und danach trotz ihres sehr anspruchsvollen Einsatzes an der Grenze von ihrem gesetzlichen Auftrag, die unerlaubte Einreise zu unterbinden, abweichen mussten. Zudem: Der Streit innerhalb der Bundesregierung über den Kurs in der Flüchtlingspolitik hat sicherlich den einen oder anderen Bundespolizisten, der an der Grenze harten Herausforderungen ausgesetzt war, verunsichert – vielleicht auch frustriert. Es sollte dabei auch nicht vergessen werden, dass viele unserer Kolleginnen und Kollegen in der Lage des großen Zustroms von Flüchtenden eine beeindruckende Hilfsbereitschaft gezeigt haben. Das alles kann jedoch bei dem einen oder anderen schon dazu führen, dass Sympathien für eine Partei geäußert werden, die auf den ersten Blick zwar eventuelle Enttäuschungen auffängt, die aber weder in der Verantwortung steht noch Lösungen parat hat. Manche Schlagzeile erweckt jedoch den Eindruck, als hätten sich unsere Kolleginnen und Kollegen in Scharen der AfD zugewandt. Dem ist nicht so. Fakt ist jedoch, dass die Glaubwürdigkeit der Politik immer dann verliert, wenn inkonsistentes Verhalten gezeigt wird, und Betroffene und ihre Befindlichkeiten nicht ernst genommen oder ganz außer Acht gelassen werden.
Droht der Polizei durch diese AfD-Sympathien ein Image- und Akzeptanzproblem in weiten Teilen der Bevölkerung?
Wir dürfen nicht den Fehler machen und die Polizei als Gesamtgebilde pauschalisieren. Die Polizei besteht aus über 300.000 Menschen. Das, was meine Kolleginnen und Kollegen jeden Tag leisten, ist professionelle Polizeiarbeit auf dem Boden des Grundgesetzes. Daran sollte sie gemessen werden und nicht an vermeintlichen Sympathien mancher für eine Partei.
Der NSU-Untersuchungsausschuss hat zahlreiche Defizite in der Arbeit der Sicherheitsbehörden offenbart. Wurden die inzwischen behoben? Oder sehen Sie noch Verbesserungspotential?
Früher gab es in manchen Bundesländern Defizite und Reibungsverluste, aber im Zuge der Aufklärung der NSU-Mordserie sind daraus erhebliche Konsequenzen gezogen worden. Beispielsweise wurde zunächst das Zentrum gegen Rechtsextremismus gegründet, das später im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum aufging. Dadurch wurde der Informationsaustausch zwischen mehr als 40 Bundes- und Landesbehörden verbessert.
Im Zusammenhang mit dem Islamismus wird in Sicherheitskreisen von Gefährdern gesprochen, beim islamistischen Terrorismus von Schläfern. Gibt es diese Kategorien auch beim Rechtsextremismus?
Das ist nicht auszuschließen. Zum jetzigen Zeitpunkt vor dem Hintergrund des Mordes an Herrn Lübcke ist dies aus meiner Sicht Spekulation.
Nach dem Attentat von Kassel und dem Anschlag auf die Oberbürgermeisterin von Köln sorgen sich besonders Politiker in Kommunen und Ländern um ihre Sicherheit. Sie sind oft ohne jeden Schutz. Kann das so bleiben?
Wenn die Gefährdungsbeurteilungen der zuständigen Staatsschutzabteilungen ergeben, dass beispielsweise einem Kommunalpolitiker erhebliche Gefahren für Leib und Leben drohen, dann muss die Polizei natürlich dessen Schutz gewährleisten. Das hat dann Priorität. Und das kann eine Rund-um-die-Uhr-Bewachung an allen Tagen der Woche bedeuten. Für diese anspruchsvolle Aufgabe braucht man ausgebildete Personenschützer. Es ist also nicht auszuschließen, dass die Länder mehr Personenschützer ausbilden müssen, wenn sich konkrete Gefährdungen für gleich mehrere Politiker oder andere Personen darstellen. Bei weniger drastischen Gefährdungslagen reicht vielleicht auch eine Streifenwagenbesatzung, die den Wohnort der zu schützenden Person überwacht. Vor dem Hintergrund der Personalsituation in den Ländern ist es aber klar, dass dann in vielen Bereichen zusätzliche Abstriche gemacht werden müssten wie bei Streifenfahrten, Ermittlern und den Kräften der Bereitschaftspolizei.
Was würden Sie einem Bürger antworten, der aus Sorge um seine Sicherheit und die seiner Familie überlegt, auf eine Kandidatur für ein politisches Amt zu verzichten?
Dass das ein Sieg für diejenigen wäre, deren Streben darauf ausgerichtet ist.