Inland

GDL-Streik: „Der Betriebsfrieden bei der Bahn ist massiv gestört.“

Der Streik der GDL ist auch ein Ergebnis des Streits mit der EVG. Deren Mitglieder würden schon seit langem eingeschüchtert, sagt der stellvertretende Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats der DB Regio, Ralf Damde.
von Kai Doering · 19. August 2021
Im Gefahrengebiet: Der stellvertretende Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats der DB Regio, Ralf Damde, sieht den Betriebsfrieden bei der Bahn massiv gefährdet.
Im Gefahrengebiet: Der stellvertretende Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats der DB Regio, Ralf Damde, sieht den Betriebsfrieden bei der Bahn massiv gefährdet.

In der vergangenen Woche hat die GDL ihren Lohnforderungen mit einem zweitägigen Streik Nachdruck verliehen. Weitere Aktionen sind geplant. Haben Sie Verständnis für die Forderungen der GDL?

Die Deutsche Bahn ist in einer schwierigen Situation. Die Corona-Pandemie hat sie voll getroffen. Die Fahrgastzahlen sind rapide eingebrochen und erholen sich nur langsam. Auch im Güterverkehr gab es im vergangenen Jahr massive Verluste. Die EVG hat ja im vergangenen Jahr einen moderaten Abschluss erreicht, der bei den Beschäftigten akzeptiert wird, da er Arbeitsplätze sichert. Hinzu kommen viele soziale Errungenschaften, etwa dass alleinerziehende Beschäftigte während der Lockdowns ohne Lohneinbußen zuhause bleiben konnten, um sich um ihre Kinder zu kümmern. Und wir haben trotz Corona eine zusätzliche Einstellungs- und Ausbildungsoffensive gestartet, damit es nicht zur sogenannten Generation Y kommt. Aus meiner Sicht werden wir damit unserer Gesamtverantwortung als Gewerkschaft gut gerecht.

Die GLD sieht das anders und argumentiert, die Lokführer*innen hätten deutlich mehr Gehalt verdient, weil auch das Bahn-Management trotz eingebrochener Fahrgast-Zahlen dicke Bonuszahlungen erhalten habe. Ist das aus Ihrer Sicht nachvollziehbar?

Der Streik ist immer das letzte Mittel in einer Tarifauseinandersetzung. Gewerkschaften sind dafür da, die Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Ob der aktuelle Streik der GDL geeignet ist, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen bei der Bahn zu verbessern, wage ich zu bezweifeln. Aus meiner Sicht geht es hier klar um Partikularinteressen und darum, eine andere Gewerkschaft zu schädigen und aus den Betrieben zu verdrängen. Dieses Vorgehen ist vom Tarifvertragsgesetz eindeutig nicht gedeckt.

Es geht der GDL aus Ihrer Sicht also nicht um mehr Geld für die Lokführer*innen, sondern um einen Machtkampf mit der EVG?

Der Vorsitzende der GDL, Claus Weselsky, hat in einem Youtube-Video vor etwa einem halben Jahr gesagt, dass er die EVG vernichten möchte. Daraufhin hat die Deutsche Bahn damit begonnen, das Tarifeinheitsgesetz im Konzern anzuwenden. Dass es so weit gekommen ist, hat Claus Weselsky allein verschuldet. Das setzt die GDL nun unter Zugzwang, denn sie hat nur in 16 der 300 Bahn-Betriebe eine Mehrheit unter den Beschäftigten. Deshalb setzt Weselsky nun auf Krawall und versucht mit allen Mitteln, möglichst viele Mitglieder zu gewinnen und über den Streik Mehrheiten für die GDL in den Betrieben zu erwirken.

Die EVG beklagt schon seit längerem, dass ihre Mitglieder von der GDL hart angegangen werden und sieht sogar den Betriebsfrieden bei der Bahn bedroht. Woran machen Sie das fest?

Der Betriebsfrieden bei der Bahn ist massiv gestört. Mich erinnert die aktuelle Situation an sehr sehr dunkle Zeiten, die sicher niemand von uns zurückhaben möchte. Wenn Auszubildende nicht mehr auf der Lok mitgenommen werden, weil sie einen EVG-Pin am Rucksack haben. Wenn Auszubildende aus dem Pausenraum geschmissen werden, weil sie einen Kalender der EVG auf den Tisch legen. Wenn sich Lokführer weigern, ein Übergabegespräch zu führen, weil der andere einen EVG-Pin an der Jacke hat, dann hört der Spaß auf. Beispiele wie diese gibt es unzählige aus den vergangenen Monaten. EVG-Betriebsräten wurden auch schon Patronenhülsen an ihre Privatadressen geschickt. Und von den zahlreichen Diffamierungen in den sozialen Netzwerken und Lügen, die auch über mich selbst verbreitet werden, will ich an dieser Stelle gar nicht sprechen. Nicht zuletzt deshalb hat die EVG ja die Kampagne „Mit Respekt“ gestartet. Wir sind ja nicht nur alle Menschen, sondern müssen auch tagtäglich miteinander arbeiten.

Welche Rolle spielt das Tarifeinheitsgesetz in diesem Konflikt?

Eine ganz entscheidende. Das Gesetz besagt ja, dass bei mehreren Gewerkschaften im Betrieb der Tarifvertrag gilt, den die Gewerkschaft mit den meisten Mitliedern verhandelt hat. Das hat bei der Bahn lange keine Rolle gespielt, weil die Tarifverträge von EVG und GDL parallel gegolten haben bzw. die Beschäftigten darüber abstimmen konnten, welcher Tarifvertrag für sie Gültigkeit haben soll. Die Bahn ist das einzige Unternehmen, das Tarifpluralität gelebt hat. Nach Weselskys Ankündigung, die EVG zerstören zu wollen, mit der er diese Koexistenz faktisch aufgekündigt hat, hat sich das geändert. Sie ist sicher auch ein Ergebnis davon, dass die GDL bisher alle Klagen gegen die EVG und die Anwendung ihrer Tarifverträge verloren hat.

Wenn es, wie Sie sagen, beim Streik nur vordergründig um Gehaltsforderungen geht: Wie lässt sich der Konflikt dann überhaupt lösen?

Das ist extrem schwer zu sagen. Wenn sich die GDL mit ihren Forderungen durchsetzt, müsste die EVG ja sogar nachziehen und selbst mehr Gehalt fordern. Damit würde sich der Konflikt immer weiter hochschaukeln. Ganz entscheidend für die Lösung des Konflikts wird gegenseitiges Vertrauen sein. Das ist aber tief erschüttert durch die Ereignisse der vergangenen Monate und zum Teil Jahre. Eine Grundbedingung für Gespräche wäre für mich, dass sich Claus Weselsky für ehrabschneidende Äußerungen der Vergangenheit entschuldigt und sich vom genannten Verhalten einiger GDL-Mitglieder distanziert und sie zur Räson ruft. Unsere Gesprächsangebote sind von der GDL bisher alle abgelehnt worden.

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Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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