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Gasspeicher-FAQ: Wie wir in Deutschland durch den Winter kommen wollen

Deutschlands Gasspeicher füllen sich Tag für Tag, trotz der reduzierten Importe aus Russland. Aber reicht das? Kommen wir so durch den Winter? Und was, wenn gar kein Gas durch Nord Stream 1 mehr fließt? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
von Benedikt Dittrich · 22. August 2022
Die Gasspeicher füllen sich – doch zu welchem Preis?
Die Gasspeicher füllen sich – doch zu welchem Preis?

Wie viel Erdgas kann in Deutschland gespeichert werden?

Insgesamt kann in deutschen Speichern Erdgas mit einer Energie von rund 244 Terawattstunden (TWh) gespeichert werden, laut GIE (Gas Infrastructure Europe). Einer der größten Speicher in Europa befindet sich im niedersächsischen Rehden (50TWh), große Unternehmen wie Uniper oder RWE betreiben ebenfalls große Gasspeicher. Das ist die übliche Entwicklung: Im Sommer werden die Speicher mit überschüssigen Gas-Importen gefüllt, in den Wintermonaten sinkt der Füllstand dann wieder, wenn viel geheizt wird.

Wie lange würden komplett gefüllte Gasspeicher reichen?

Wenn Deutschland überhaupt kein Erdgas mehr bekommen würde, bei einem strengen Winter wohl weniger als drei Monate. Der durchschnittliche Gasverbrauch lag in der Vergangenheit bei fast 100.000 Terawattstunden pro Jahr, in kalten Monaten wird aber natürlich wesentlich mehr Gas verbraucht. Anders als beim Öl gibt es für Gas keine nationale Reserve, die Deutschland über einen längeren Zeitraum unabhängig machen würde.

Wie hoch ist die Gefahr eines kompletten Gas-„Blackout“?

Dass in Wohnungen die Heizungen komplett kalt bleiben, ist dennoch sehr unwahrscheinlich. Dafür müssten noch weitere Lieferant*innen ausfallen, außerdem ist in den vergangenen Monaten aufgrund verschiedener Maßnahmen der Gasverbrauch bereits deutlich gesunken. Es wird Energie gespart. Und bevor in Privatwohnungen die Heizung ausfällt, würde in bestimmten Industriezweigen wohl zuerst das Licht ausgehen – so sieht es die Gesetzeslage vor.

Volle Gasspeicher sind gegen einen Mangel laut SPD-Wirtschaftsexperte Bernd Westphal aber ein gutes Polster, auch die Energie-Ökonomin Claudia Kemfert sah schon im Juli Deutschland auf einem guten Weg, eine Gas-Mangellage vermeiden zu können.

Wer liefert Deutschland noch Gas außer Russland?

Derzeit gehört Norwegen zu den größten Exporteur*innen für Deutschland, das Land liefert ebenfalls über Pipelines Gas nach Europa. Hinzu kommen Importe aus den Niederlanden sowie weitere Flüssiggas-Importe (LNG), die auf dem Weltmarkt eingekauft werden und über Terminals in den Niederlanden oder Belgien eingespeist werden. Außerdem ist geplant, noch in diesem Winter mit eigenen schwimmenden LNG-Terminals Flüssiggas direkt zu importieren.

Einen Haken haben die aktuellen Importe aber: Sie sind extrem teuer, die Gaspreise sind explodiert. Da aus Russland wesentlich weniger Gas kommt als vertraglich vereinbart, müssen Unternehmen wie Uniper die Lücken mit Einkäufen auf dem Weltmarkt ausgleichen, die um ein vielfaches teurer sind.

Was passiert, wenn „Nord Stream 1“ ganz ausfällt?

Als Nord Stream 1 im Juli das letzte Mal komplett abgeschaltet war, sind die Speicherstände in Deutschland zumindest nicht gesunken. Und das obwohl zu dem Zeitpunkt auch schon viel Gas zur Stromerzeugung verwendet wurde. Derzeit ist die Pipeline zu rund 20 Prozent ausgelastet, es fließt also Erdgas mit einer Energie von 350 Gigawattstunden täglich durch die Leitung nach Deutschland. Zum Vergleich: Vor Kriegsbeginn im Februar waren es fast 1800 Gigawattstunden.

Parallel sinkt der Verbrauch: Ersten Rechnungen zufolge werden in Deutschland schon rund 15 Prozent Gas im Vergleich zum Vorjahr eingespart. Ob das reicht, um einen Ausfall der Erdgas-Importe im Winter über die Ostsee-Pipeline zu kompensieren, ist unklar. Zumal das Gas auch gleichmäßig in Deutschland verteilt werden muss, um das Netz zu stabilisieren.

In den kommenden Monaten greifen noch weitere Maßnahmen: Kohlekraftwerke sollen nach und nach Gaskraftwerke bei der Strom- und Wärmeproduktion ersetzen, die Industrie erhält weitere Anreize, um Gas zu sparen. Die Raumtemperatur soll gesetzlich abgesenkt werden dürfen, Warmwasser wo möglich gespart werden. Auch das übergeordnete EU-Ziel, mindestens 15 Prozent Gas zu sparen, gilt erst seit August. Das alles beeinflusst die Füllstände der Gasspeicher in Deutschland, da sie ins europäische Netz eingebunden sind.

Also vielleicht doch „Nord Stream 2“ öffnen?

Abgesehen davon, dass die Öffnung dieser Pipeline die Sanktionspolitik gegen Russland unterlaufen würde: Es gibt keine Garantie, dass dann mehr Gas fließen würde. Denn die Quelle bleibt der russische Staatskonzern Gazprom, Putin kann also nach wie vor den Gashahn zudrehen. Außerdem ist die bestehende Leitung Nord Stream 1 zurzeit kaum ausgelastet.

Die Bundesregierung hält die Reparaturarbeiten und auch die Drosselung von Nord Stream 1 für politisch motiviert, auch Timm Kehler vom Verband „Zukunft Gas“ geht von einem Machtspiel aus.  Russland könnte zudem auch über Pipelines auf dem europäischen Festland Gas nach Deutschland schicken oder die bereits reparierte Gasturbine einbauen, um Nord Stream 1 wieder stärker auszulasten. Weder das eine noch das andere ist bisher passiert, wie auch die Import-Mengen bei den anderen Pipelines zeigen.

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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