Gabriel wirft Union beim Thema Flüchtlinge Scheindebatten vor
Offenbar gab es viel zu diskutieren im Berliner Willy-Brandt-Haus, wo sich am Donnerstag rund 100 SPD-Politiker aus Bund, Ländern und Kommunen getroffen haben. Die anschließende Pressekonferenz mit Sigmar Gabriel beginnt mit mehr als einer halben Stunde Verspätung. Das ist sogar für den vielbeschäftigten SPD-Chef ungewöhnlich.
Zuwanderung als Gemeinschaftsaufgabe
Als er dann gemeinsam mit Ulrich Maly und Frank Baranowski, den Oberbürgermeistern von Nürnberg und Gelsenkirchen, vor die Journalisten tritt, hat er zwei klare Botschaften im Gepäck. Die erste: „Es geht nicht um die Zahl der Menschen, die kommen, sondern um die Geschwindigkeit.“ Im kommenden Jahr müsse das Tempo der Zuwanderung verringert werden.
Die zweite Botschaft: Bund, Länder und Gemeinden sollen gemeinsam eine nachhaltige Infrastruktur schaffen, damit die Integration der Geflüchteten langfristig gelingt. „Wohnen, Kindertagesstätten, Schulen und Qualifizierung für den Arbeitsmarkt“ seien die Bereiche, die man dauerhaft angehen müsse, sagt Gabriel.
Bund muss Schulen und Wohnungen mitfinanzieren
Von einer „Gemeinschaftsaufgabe“ spricht der SPD-Vorsitzende. Was das bedeutet, erklärt Ulrich Maly, Vizepräsident des Deutschen Städtetags: Man müsse sich zum Beispiel beim Wohnungsbau „von dem Kooperationsverbot ein Stück weit entfernen“. Mit anderen Worten: Das Grundgesetz muss geändert werden, damit der Bund enger mit den Ländern zusammenarbeiten kann.
Ein „erfolgreiches Management der Gesamtaufgabe“ fordert auch Frank Baranowski, der stellvertretende Vorsitzende der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik (Bundes-SGK). Der Bund solle sich auch finanziell stärker beteiligen, wenn Städte zum Beispiel neue Schulen und Kindergärten bauen. Auf Hilfe vom Bund drängen die Kommunalpolitiker auch beim Wohnungsbau und bei den Kosten für die Unterkunft.Letztere müssen die Jobcenter zahlen, wenn Geflüchtete das Asylverfahren erfolgreich durchlaufen, aber noch keinen Job gefunden haben. Und damit auch die Kommunen, die derzeit für gut zwei Drittel dieser Kosten aufkommen.
Scheindebatte Familiennachzug und Transitzonen
Als „ernst, aber nicht panisch“ bezeichnet Ulrich Maly die Stimmung unter den sozialdemokratischen Kommunalpolitikern. Bei dem Treffen sei man sich einig gewesen, „dass das Recht auf Asyl keine Obergrenze kennt, unsere Möglichkeiten aber begrenzt sind“.
Kritik übt SPD-Chef Sigmar Gabriel an der Union. Davon, Flüchtlinge mit einer Lawine zu vergleichen – wie es Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble getan hat – halte er „nichts“. Zudem würden viele Scheindebatten geführt, die nicht dazu beitrügen, die Herausforderungen zu meistern. Als Beispiel nannte er die Forderungen nach Transitzonen oder nach einem Stopp für den Familiennachzug von Flüchtlingen. Es sei albern und falsch, ausgerechnet die nachziehenden Frauen und Kinder vom Asyl ausschließen zu wollen. Ohnehin würden in diesem Jahr nur 18 000 Familienangehörige nachgeholt.
Ziel müsse stattdessen sein, die europäischen Außengrenzen zu sichern und zugleich eine geordnete Zuwanderung zu ermöglichen. „Niemand darf auf dem Weg nach Europa sterben“, fordert Gabriel. Flüchtlinge müssten über große Kontingente nach Europa und Deutschland kommen können, ohne sich in die Hand von Schleppern zu begeben.
arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.