SPD-Parteichef Sigmar Gabriel verlangt von den USA, die zentralen Themen der Verhandlungen über ein transatlantisches Freihandelsabkommen offen zu legen. Der Vizekanzler kritisierte nach einer Sitzung des SPD-Parteivorstands die „mangelnde Transparenz“ der US-Amerikaner.
Der SPD-Vorstand hatte heute auf einer Sondersitzung über das Freihandelsabkommen beraten. Gabriel betonte auf einer anschließenden Pressekonferenz im Willy-Brandt-Haus, die Offenlegung der Verhandlungsthemen sei dringend nötig, um eine sachliche Debatte zu ermöglichen. Weil „nichts klar ist“, gebe es teilweise „Tartarenmeldungen“ und „aberwitzige Argumente“ zum Abkommen.
Gabriel: Können „auch Nein sagen“
Der SPD-Vorsitzende betonte zugleich, der angestrebte transatlantische Vertrag böte „auch große Chancen“. Es handele sich um einen „offenen Verhandlungsprozess“. Sollten die Verhandlungen am Ende zu einem unbefriedigenden Ergebnis führen, könne man „auch Nein sagen“.
Gabriel betonte wie wichtig es sei, den Welthandel durch Nachhaltigkeitsstandards zu verändern. Die globalisierte Welt müsse sich auf ökologische, soziale und kulturelle Standards im Handel einigen. Auch wenn das schwierig sei, lohne die Anstrengung. Der SPD-Chef stellte klar, spezielle Investitionsschutzvorschriften seien in einem Abkommen zwischen EU und USA nicht nötig. Eine Sondergerichtsbarkeit lehne die SPD klar ab.
SPD will hohe Schutzstandards
Das geht auch aus dem vom Parteivorstand heute beschlossenen 15-Punkte-Papier hervor, das den Titel trägt „Ziele und Bedingungen für die Berücksichtigung von Nachhaltigkeit, Arbeitnehmerrechten und die Gewährleistung von Daseinsvorsorge“. Darin fordert die SPD-Spitze eine „nachhaltige Entwicklung“ als „vorrangiges Ziel“ der Verhandlungen, „ein hohes Umwelt-, Arbeits- und Verbraucherschutzniveau“ sowie eine „hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge“.
Das geplante Abkommen soll die größte Freihandelszone der Welt mit rund 800 Millionen Verbrauchern schaffen. Seit Sommer vergangenen Jahres verhandeln die Europäische Union und die USA über den Wegfall von Handelsschranken. „Transatlantic Trade and Investment Programm“ (TTIP) lautet der Titel des Freihandelsabkommens. In den letzten Monaten wurde die Kritik an den bisherigen Ergebnissen der Verhandlungen immer lauter. Vor allem geht es um die Sorge, hiesige Arbeitnehmer- und Verbraucherrechte könnten unter der Vereinbarung leiden.
Neue Dynamik durch Krim-Krise?
Eine neue Dynamik könnten die Verhandlungen zwischen EU und USA durch die russische Annexion der Krim bekommen. Europa und Amerika bemühen sich um einen Schulterschluss und eine engere Zusammenarbeit, auch und gerade auf wirtschaftlichem Gebiet. Mögliche Handelseinbußen durch Sanktionen gegen Russland könnte ein engerer transatlantischer Handel kompensieren. Auch könnte Moskau so weiter isoliert und unter Druck gesetzt werden.
Ein Beispiel hierfür ist der Handel mit Gas. Die USA verfügen über erhebliche Gasvorräte, dürfen diese aber nur in Staaten exportieren, mit denen sie ein Freihandelsabkommen geschlossen haben. Durch das TTIP-Abkommen könnten die EU-Staaten künftig dieses US-Gas beziehen. Das würde Russland schaden, das sehr stark auf die Einnahmen aus seinen Gasexporten angewiesen ist. Das Ganze dürfte auch Thema werden auf der heute beginnenden Europa-Visite von US-Präsident Barack Obama und auf dem G7-Gipfel.
Der SPD-Parteivorstand hatte für heute eigens eine zusätzliche Sitzung einberufen, um sich „intensiv mit der Frage des Freihandelsabkommens EU-USA“ auseinanderzusetzen. Gäste waren der amtierende Bundesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Michael Sommer und sein designierter Nachfolger Reiner Hoffmann.
Werden Arbeitnehmerrechte abgebaut?
Der DGB hat zwischenzeitlich den Abbruch der Verhandlungen gefordert. „Für die Gewerkschaften macht ein solches Abkommen nur Sinn, wenn es zu wirklichen Verbesserungen der Arbeits- und Lebensbedingungen für die Bevölkerung dies- und jenseits des Atlantiks kommt“, so Hoffmann. Doch genau daran zweifeln die Gewerkschafter. Sie fordern eine explizite Klausel im Abkommen, die einen Abbau von Arbeitnehmerrechten und Sozialstandards verbietet und den jeweils höchsten erreichten Stand absichert. Gegen Kompromisse bei den Arbeitnehmerrechten sprach sich auch der EU-Abgeordnete Bernd Lange in einem Gastbeitrag für vorwärts.de aus.
Kritik gibt es insbesondere am so genannten Investitionsschutzrecht. Laut Hoffmann haben ähnliche Vereinbarungen bei anderen Abkommen dazu geführt, dass Staaten in ihrer Fähigkeit eingeschränkt wurden, „Gesetze und Regeln im Sinne der Bevölkerung zu erlassen“. Ziel des Investitionsschutzes ist es eigentlich, internationale Investoren vor Benachteiligungen gegenüber einheimischen Firmen zu bewahren.
Petition an den Bundestag
Auch in der Öffentlichkeit formiert sich wachsender Widerstand, womöglich beflügelt vom NSA-Abhörskandal. Auf der Online-Aktionsplattform Campact haben schon mehr als 430.000 Menschen den Stopp der TTIP-Verhandlungen gefordert. Auch vor dem Bundestag wurde eine Petition eröffnet. Bisher haben rund 70.000 Unterstützer die entsprechende Petition unterzeichnet. Ab 50.000 Unterstützern befasst sich der Petitionsausschuss in einer öffentlichen Sitzung mit der vorgebrachten Thematik.