Der Sozialverband Deutschland (SoVD) hat am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Berlin sein "Forderungspapier für einen verteilungsgerechten Sozialstaat" vorgestellt. Die Kernpunkte für einen solidarischen Sozialstaat sind: Menschenwürdige Arbeit, Teilhabe für Menschen mit Behinderungen, Stärkung sozialer Sicherung sowie ausreichende Daseinsvorsorge.
In den Eckpunkten der Bundesregierung zur Umsetzung des Fiskalpaktes vom 24. Juni 2012 ist ausdrücklich festgelegt, “dass der Entwicklung der Sozialversicherungen und der kommunalen Finanzen bei der Einhaltung des Fiskalpaktes eine wichtige Rolle zukommt.“ Doch in den Haushaltsstrukturgesetzen sind bereits gravierende Einsparungen bei der Arbeitsmarktpolitik auf den Weg gebracht. Weitere Kürzungen erfolgen bei der Kranken- und Rentenversicherung. Angekündigt ist ein neues Bundesleistungsgesetz für Kürzungen bei den sozialen Ausgaben in den Kommunen, die vor allem die sozial Schwachen sowie Menschen mit Behinderungen treffen. Als SoVD werden wir unsere eigenen Möglichkeiten sowie die Zusammenarbeit mit anderen Netzwerken nutzen, um die eskalierenden Ungerechtigkeiten bei der Verteilung von Arbeits- und Lebenschancen zu bekämpfen.
Menschenwürdige Arbeit
Grundlage für Verteilungsgerechtigkeit sind Wiederherstellung und Ausbau wirksamer Arbeitnehmerrechte. Es darf nicht sein, dass jede zweite Neueinstellung nur mit Befristung erfolgt und Leiharbeit sowie Werkverträge stetig steigen. Dies nimmt jungen Menschen die Perspektiven innerhalb und außerhalb des Berufes und macht die Älteren zu modernen Tagelöhnern. Befristete Beschäftigung muss wieder auf das Vorliegen eines sachlichen Grundes beschränkt, Leiharbeit und Werkverträge auf das sachgerechte Maß begrenzt werden. Geradezu eine „ Explosion“ ist bei den Minijobs auf inzwischen 7,4 Millionen erfolgt: Dies trifft zu zwei Drittel Frauen. Damit ist auch die Zahl der Niedriglöhner sowie der Armut bei Arbeit dramatisch gestiegen. Wir fordern, diese fortschreitende Prekarisierung der Arbeit aufzuhalten. Daher brauchen wir einen gesetzlichen Mindestlohn nicht unter 8,50 Euro und die volle Sozialversicherungspflicht für alle Beschäftigungsverhältnisse. Die von der Bundesarbeitsministerin vorgesehene Erhöhung der Minijob-Grenze auf 450 Euro geht in die falsche Richtung. Bei Leiharbeit muss gelten: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!
Das System „Hartz IV“ hat sich nicht bewährt und ist daher abzuschaffen. Bei Arbeitslosigkeit muss die beitragsfinanzierte Arbeitslosenunterstützung (ALGI) die grundsätzliche Risikoabsicherung für arbeitslose Menschen sein. Hierzu sind vor allem die Bezugszeiten von ALG I wieder zu verlängern.
Wir brauchen darüber hinaus ein neues Fürsorgesystem, das eine Mindestsicherung für Notlagen gewährt. Dies muss menschenwürdig mit den Betroffenen umgehen und wirksame Hilfen zur Überwindung von Arbeitslosigkeit und Armut vorsehen. Dazu gehören insbesondere der Ersatz der Ein Euro Jobs durch die Förderung vollwertiger Qualifizierung sowie sinnvolle und existenzsichernde Beschäftigung.
Sozialversicherungssysteme stärken
Unsere Sozialversicherungssysteme sind in den letzten Jahrzehnten durch politische Entscheidung wesentlich geschwächt worden: Das Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung wurde massiv abgesenkt, so dass in den nächsten Jahrzehnten millionenfache Altersarmut droht. Die paritätische Finanzierung der GKV wurde aufgekündigt. Bei Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung wird die privatwirtschaftliche Gewinnerzielung zu Lasten der Menschen gefördert. Diese Ungerechtigkeiten bei der Verteilung der Lebenschancen müssen wieder rückgängig gemacht, das Solidarprinzip wiederhergestellt und weiterentwickelt werden.
Notwendig ist der Umbau der Rentenversicherung in eine solidarische Erwerbstätigenversicherung. Dies ist ein Gebot der Gerechtigkeit und kann den Menschen bessere Rentenleistungen bei vertretbaren Beiträgen gewähren. Damit wird Armut im Alter und bei Erwerbsminderung wirksam und nachhaltig bekämpft. Dies sind erheblich bessere Alternativen als die Zuschussrente à la von der Leyen.
Die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherungen sind als solidarische Bürgerversicherung auszubauen. Die Erweiterung der Solidargemeinschaft und der Finanzierungsgrundlagen ist ein notwendiger Schritt, um den Erfordernissen der demographischen Entwicklung gerecht zu werden.
Teilhabepolitik für Menschen mit Behinderungen
Für Menschen mit Behinderungen fordern wir eine erhebliche Stärkung der gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Verbesserung ihrer beruflichen Teilhabe. So ist z. B. die Beschäftigungspflichtquote wieder auf sechs Prozent anzuheben sowie die Ausgleichsabgabe zu erhöhen. Ebenfalls sind die erheblichen Kürzungen bei der Arbeitsmarktpolitik zurückzunehmen. Behinderte und sozial benachteiligte Kinder müssen innerhalb eines inklusiven Bildungssystems die gleichen Bildungsangebote und -chancen erhalten wie alle sonstigen Kinder.
Sicherstellung der Daseinsvorsorge
Wir müssen die Städte und Kommunen finanziell in die Lage versetzen, ihren Aufgaben der Daseinsvorsorge nachzukommen. Insbesondere in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Pflege, Betreuung und Wohnen sind schon seit Jahren erhebliche Defizite zu vermelden. Hier brauchen wir dringend einen qualitativen und quantitativen Ausbau.
Zur Finanzierung wollen wir die Gesamtheit der Steuerpflichtigen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit beteiligen. Wir fordern u. a. die Anhebung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommenssteuer, die Einführung eines progressiven Steuersystems bei der Kapitalertragssteuer, die Einführung einer Vermögenssteuer sowie die Einführung einer Finanztransaktionssteuer.
Mehr Informationen unter www.sovd.de
Dr. Ursula Engelen-Kefer leitet den Arbeitskreis Sozialversicherung im Sozialverband Deutschland. Von 1990 bis 2006 war sie stellvertretende Vorsitzende des DGB.