Manuela Schwesig sitzt im Innenhof des "Familienzentrums" in Radebeul. Ein paar Bäume spenden ein wenig Schatten an diesem heißen Hochsommertag. Die Mitarbeiter der Initiative stellen kalte Getränke bereit, und bieten Pelmeni an. Die Köchin der Woche - eine freiwillige Helferin, wie die meisten hier - würde sich so freuen, wenn die Gäste probieren würden, versichern sie. Da fällt es schwer abzulehnen. Also lässt Manuela Schwesig es sich schmecken, und hört zu: Welche Hilfsangebote das Haus bietet - von Stillgruppen über Schuldnerberatung bis zum Seniorenzentrum.
Als "Hilfe zur Selbsthilfe", beschreiben die Mitarbeiter ihre Arbeit. "Wie erreichen Sie die Leute?", fragt die Ministerin. Denn genau das sei die große Schwierigkeit: Menschen zu erreichen, die sich eingeigelt haben. Das Familienzentrum hat deshalb ein Café eröffnet. Wer hereinspaziert, ist willkommen. Speisen und Getränke sind billig, die Beratung ist nah, wird aber nicht aufgedrängt. Der 36-Jährigen gefällt die Idee. Menschen können einfach kommen, ohne gleich über ihre Probleme sprechen zu müssen.
Ein gesundes Mittagessen - für jedes Kind
Bald drängt Manuela Schwesig darauf, ins Haus zu gehen, zu den Seminarräumen. Es ist Hochsommer und Mittagszeit, da ist nicht viel los im "Familienzentrum". Trotzdem will die Ministerin alles sehen, eine Mitarbeiterin führt sie durch das Haus. Bevor Schwesig geht, öffnet sie noch die Küchentür, um sich für das Essen zu bedanken. Wo sie schon da ist, fragt sie die Köchin noch nach dem Rezept - soviel Zeit muss sein, auch wenn der nächste Termin ansteht.
Schließlich ist Essen wichtig. In Mecklenburg-Vorpommern bekommt jetzt jedes Kind ein gesundes Mittagessen in der Kita, egal wie es im Portemonnaie der Eltern aussieht. Darauf ist Manuela Schwesig stolz, eine "Herzensangelegenheit" sei ihr das. Es ist Teil des Kita-Gesetzes, das die Ministerin auf den Weg gebracht hat. Sieben Millionen Euro kostet die tägliche Kita-Mahlzeit das Land. Das Betreuungsgeld, das die schwarz-gelbe Regierung einführen will, würde den Bund zwei Milliarden kosten. "Mit fatalen Folgen für die frühkindliche Erziehung", sagt Manuela Schwesig. Die Mutter eines dreijährigen Sohnes ist überzeugt davon, dass Kinder vom Kontakt zu Gleichaltrigen profitieren. Auf der Sommerreise ist ihr Kind nicht dabei. Schwesig schützt ihr Privatleben vor allzu neugierigen Blicken. Außerdem wäre die Reise wohl zu anstrengend.
Migranten erreichen
Aus Radebeul geht es nach Leipzig. Im Souterrain, in dem die "Buchkinder" ihre Werkstatt haben, ist es bei 37 Grad Außentemperatur angenehm kühl. Schwesig sitzt an einem großen Arbeitstisch in einem hellen Raum voll Papier, Farben, Druckvorrichtungen und Zeichnungen. Vor der Ministerin sind viele bunte Bücher ausgebreitet. Kinder haben sie geschrieben und illustriert. Sie kommen einmal pro Woche in das Backsteingebäude um daran zu arbeiten. Heute ist keines von ihnen da, es sind Schulferien. Doch in einem großen Regal stehen ihre Boxen. Eine für jedes Kind. Darin werden die Entwürfe aufbewahrt. "Kann ich in eine reinschauen?", fragt Schwesig, als sie das hört. Die Mitarbeiter des Vereins freuen sich über das Interesse, holen gleich zwei und Schwesig steht auf, um sehen zu können, was sich in den Holzboxen verbirgt.
Sie lacht herzlich, als ihr einige der Geschichten vorgelesen werden. Hier schreiben die Kinder, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Rechtschreibung ist zweitrangig, die Geschichte hat Vorrang. So macht Deutsch Spaß, erklärt eine Mitarbeiterin. "Erreichen Sie auch die Kinder von Migranten?", möchte Schwesig wissen. Ja, auch die kommen. Vor allem in eine Zweigstelle der "Buchkinder", in einem anderen Stadtteil von Leipzig. Manchmal braucht es etwas länger, weil die Kinder nicht so gut Deutsch sprechen. Das sei aber kein Problem, alle machten Fortschritte und am Ende habe jedes Kind sein eigenes Buch, sagt die Mitarbeiterin. Das dauert viele Monate, aber "ein Buch braucht Zeit".
In Bildung investieren
Migranten undKinder aus sozial schwachen Milieus zu erreichen, ist ein erklärtes Ziel der Ministerin. Sie hört aufmerksam zu. Ihr Handy ist weit und breit nicht zu sehen, auch nicht zu hören. Schwesig widmet ihren Gesprächspartnern volle Aufmerksamkeit. Schließlich geht es um frühkindliche Bildung. In die will die Ministerin investieren, will Chancengleichheit schaffen. "Das ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und ein knallhartes ökonomisches Thema", sagt Schwesig. Deutschland könne es sich nicht leisten, dass eine ganze Generation von staatlichen Transferleistungen lebe, sagt sie.
Also kein "Gedöns", wie Kanzler Gerhard Schröder einst über Familienpolitik urteilte. Manuela Schwesig sagt es so: "In den letzten Jahren wurde kurzsichtig im Bildungsbereich gespart, das fällt uns auf die Füße." Doch Geld alleine wird nicht ausreichen, um allen Kindern die Teilhabe an Kultur und Bildung zu sichern. Es braucht engagierte Projekte wie die "Buchkinder", um sie anzulocken und zu fördern. Solche Beispiele aus der Praxis besucht Schwesig auf ihrer Sommerreise.
Eine andere Familienpolitik
Dass die Finanzierung schwierig ist, überrascht sie kaum. Sie hört sich die Sorgen der "Buchkinder"-Mitarbeiter an, sagt etwas zu Aktiengesellschaften und den Tücken, die sie bringen können, rät zu anderen Finanzierungsmodellen für den geplanten Kindergarten der "Buchkinder". Die Diplom-Finanzwirtin war lange in der Finanzverwaltung tätig, Zahlen sind ihr vertraut. Die SPD dagegen ist eher neues Terrain. Erst 2003 ist Schwesig eingetreten, seit 2009 ist sie auf Bundesebene aktiv, inzwischen ist sie stellvertretende Parteivorsitzende. Und die Ministerin leitet die SPD-"Zukunftswerkstatt Familie". In dieser Funktion fährt sie zu ihrem nächsten Termin. Eine Podiumsdiskussion in der SPD-Landtagsfraktion Sachsen. Die SPD möchte ihre Zukunftskonzepte für die Familienpolitik offen diskutieren.
Das Interesse ist groß, der helle Raum ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Luft ist zum Schneiden, doch die junge Frau lässt sich nichts anmerken. Sie hat eine Botschaft: "Lasst uns mal um die Kinder kümmern, die schon da sind", sagt sie. Das habe die frühere Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) versäumt. Zwei Millionen Kinder leben in Deutschland unter der Armutsgrenze. Und in dieser Situation streicht die aktuelle Bundesministerin für Familie, Kristina Köhler (CDU), Hartz-IV-Empfängern nun das Geld für ihre Kinder. Wo doch Reich mehr geben könnten. "Das ist perfide", sagt Schwesig. "Für mich ist das eine Verletzung der Menschenwürde."
Dann drängt wieder mal die Zeit. Trotzdem hört die Ministerin geduldig zu, als das Publikum an der Reihe ist, Fragen zu stellen. Einzelantworten erlaubt ihr Zeitplan nicht, der nächste Termin wartet. Also steht Schwesig auf, sucht möglichst alle Fragen in einer Antwort zusammenzufassen, nimmt Blickkontakt auf. Das Publikum hört zu, wenn sie spricht. Von Kindern, von der Zukunft und von der Bildungsinfrastruktur, in die Geld gesteckt werden müsse, damit sich etwas ändert. "Politik kann nicht alles lösen, sie kann aber eine ganze Menge auf den Weg bringen", sagt Manuela Schwesig. In Mecklenburg-Vorpommern gibt sie einen Vorgeschmack darauf, was gute Familienpolitik ist. Und 2013 wird auf Bundesebene gewählt.
Goetz Schleser
ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.