Friedliche Revolution: Wie das Erbe von 1989 missbraucht wird
2019 wird ein besonderes Jahr für Ostdeutschland. Im November jähren sich Friedliche Revolution und Mauerfall zum 30. Mal. Vorher finden in Sachsen, Thüringen und Brandenburg Landtagswahlen statt. Die Angst vor einem starken Abschneiden der AfD ist groß.
Rassismus statt Freiheit für alle
Dass es durchaus eine Verbindung zwischen den Ereignissen gibt, zeigt nicht nur der Ruf „Wir sind das Volk!“, der sowohl bei den Demonstrationen gegen das DDR-Regime 1989 als auch bei den Kundgebungen des fremdenfeindlichen Bündnisses Pegida in Dresden skandiert wurde und wird. Die Motivation ist jedoch eine vollkommen andere wie Martin Dulig am Mittwochabend bei einer Veranstaltung in der Friedrich-Ebert-Stiftung klarstellte.
„Wer hat das Recht ‚Wir sind das Volk!’ zu rufen?“, fragte der Ostbeauftragte der SPD – und lieferte die Antwort gleich mit. Während 1989 eine „engagierte Minderheit aus altruistischen Motiven“ für die Mehrheit und Freiheit für alle auf die Straße gegangen sei, wollten die Anhänger von Pegida und Co mit dem Ruf festlegen, wer zur Volksgemeinschaft dazugehört. Die anderen seien dagegen die „Volksverräter“ – eine zutiefst „rassistische Argumentation“, wie Dulig betonte.
Über Empörung reden
Deshalb gehe es 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution auch darum, das Erbe von 1989 gegen diejenigen zu verteidigen, „die es heute missbrauchen“. Während es damals darum gegangen sei, Grundrechte zu erkämpfen, „geht es heute darum, sie zu verteidigen“, hob Martin Dulig hervor.
„Wir stehen vor einem Riesenproblem im Osten“, zeigte sich auch Frank Richter überzeugt. Der Dresdner Bürgerrechtler und langjährige Direktor der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung hatte schon deutlich vor Beginn der Pegida-Demonstrationen im Oktober 2014, das Gefühl, „dass sich da etwas anstaut“.
Dabei seien die Probleme – demografische Entwicklung, Deindustrialisierung, Arbeitslosigkeit – auch in anderen Teilen des Landes zu beobachten, „aber in Ostdeutschland kommen sie alle zusammen“, so Richter. Sein Rat lautet daher: „Wir müssen über Empörung reden, die falsch kanalisiert wird.“
Entscheidend ist die Haltung
„Die AfD lebt von einem Opfermythos und von einer Identitätslücke in Ostdeutschland“, hat auch Martin Dulig beobachtet. Es liegen an den anderen Parteien, das zu ändern. „Es gibt ein großes Bedürfnis der Menschen zu reden.“ Das müsste die Politik nutzen. „Ich möchte mich mehr um die Leute kümmern, die AfD wählen als um die AfD“, so Dulig. Für die Gespräche sei „die eigene Haltung das Entscheidende“.
Dass es für Gespräche auch Grenzen gibt, betonte Frank Richter. Als er im vergangenen Jahr als Oberbürgermeister in Meißen kandidierte, habe er bei Veranstaltungen im Wahlkampf einige Mal von seinem Hausrecht Gebrauch machen und Pöbler entfernen lassen müssen – auch um den anderen einen angstfreien Austausch zu ermöglichen. „Auch Gespräche abzubrechen, ist ein Teil von Kommunikation“, ist Richter überzeugt.
Was bedeutet das für die anstehenden Wahlkämpfe in Sachsen, aber auch in Brandenburg und Thüringen? „Politik und Medien müssen aufpassen, dass die nicht denunziatorisch vorgehen“, warnte Filmregisseur Andreas Dresen bei der FES-Veranstaltung. „Sonst treibt man die Menschen zur AfD.“ Das bedeutet auch, gut vorbereitet zu sein auf die anstehenden Auseinandersetzungen. Frank Richter jedenfalls ist mit seiner Wahlkampferfahrung des vergangenen Jahres davon überzeugt: „Von Seiten der AfD müssen wir mit allen Mitteln rechnen.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.