Inland

Frieden und Wohlstand

von Kai Doering · 6. Februar 2012

Die EU beschäftigt sich viel und gerne mit sich selbst. Wie aber denken die anderen über uns? Der vorwärts hat ein Neumitglied, einen Beitrittsaspiranten und einen Nachbarn gefragt.

Die Bilanz ist ernüchternd. „Die Transformation in Ägypten ist komplett ins Stocken geraten“, sagt Dina Fakoussa. Ein Jahr nach der Revolution am Nil sieht die Leiterin des EU-Middle-East-Forums der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) „das Parlament stark zerstritten“. „Das Abschneiden der erzkonservativen Salafisten war ein Schock für alle Seiten, auch für die EU“, sagt die Deutsch-Ägypterin Fakoussa. „Aber Brüssel muss auch mit ihnen reden – schließlich sind sie demokratisch legitimiert.“ Doch der Dialog gestaltet sich schwierig, auf beiden Seiten.

„In Ägypten sind die Dinge noch im Fluss“, erklärt Dina Fakoussa. Zurzeit ist nur eine Übergangsregierung im Amt. Und der De-facto-Machthaber, das Militär, hat Unterstützungsangebote der EU zurückgewiesen. Das größere Problem liegt für die DGAP-Expertin aber auf der anderen Seite des Mittelmeers: „Die EU macht keine gemeinsame Außenpolitik, sondern ist zerstritten.“ Besonders Frankreich und Italien sprächen sich gegen eine Öffnung des europäischen Marktes aus. Dabei braucht Ägypten Europa. „Die EU muss sich für ägyptische Agrarprodukte öffnen, damit die Wirtschaft auf die Beine kommt“, fordert Fakoussa. Sie plädiert auch für ein „kreatives Migrationsprogramm“: Junge Menschen sollen in die EU reisen dürfen, um dort Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu finden. Auch bei der Reform des Justiz- sowie des Bildungssektors könne die EU helfen. Denn obwohl „die Wut auf die EU wegen der Unterstützung Mubaraks seit Jahrzehnten groß“ ist, seien die Ägypter sehr offen für Europa. „Darauf müssen wir aufbauen.“

Das "erfolgreichste Friedensprojekt in der Menschheitsgeschichte"

Boris Tadić hat ein großes Ziel. „Ich setze alles daran, Serbien so schnell wie möglich in die EU zu bringen.“ Für den serbischen Präsidenten ist die Europäische Union das „erfolgreichste Friedensprojekt in der Menschheitsgeschichte“. Die blutigen Kriege nach dem Zerfall Jugoslawiens sind auf dem Balkan noch frisch in Erinnerung. „Erst wenn Serbien, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien und Albanien in der EU sind, wird der Prozess der europäischen Vereinigung abgeschlossen sein“, sagt Tadić– und drückt aufs Tempo. „Wir haben nicht unendlich viel Zeit, diesen Prozess zu vollenden.“ Sein Land werde „in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts“ alle Kriterien für eine EU-Mitgliedschaft erfüllen.

Im März werden die Mitgliedsstaaten über die Verleihung des Kandidatenstatus‘ an Serbien beraten. Für Boris Tadicć ist klar: „Nur ein starkes und vereintes Europa kann sich neuen Entwicklungskonzepten in anderen Teilen der Welt stellen.“ Ohne Veränderungen werde das allerdings nicht gehen. „Wir werden unser Wohlstandskonzept an globale Herausforderungen anpassen müssen, dabei aber die Grundidee einer gesellschaftlichen Solidarität beibehalten und stärken“. Die aktuelle Krise in der EU sieht Tadić zum Teil auch als Ergebnis der Unentschlossenheit der politischen Führer. Diese führe dazu, dass schnelle und effiziente Antworten auf globale Herausforderungen immer schwieriger würden.

„Ich fürchte deutsche Macht weniger als deutsche Untätigkeit.“

„Was“, so fragte Polens Außenminister Radoslaw Sikorski Ende vergangenen Jahres in einer europäischen Grundsatzrede in Berlin, „ist derzeit die größte Gefahr für die Sicherheit und den Wohlstand Polens?“ Und er gab die Antwort gleich selbst: Es sind nicht Terrorismus, die Taliban oder gar deutsche Panzer. „Die größte Gefahr für Sicherheit und Wohlstand Polens wäre der Zusammenbruch der Euro-Zone.“ Für Sikorski, dessen Land mit Macht in den Euro-Raum strebt, hätte dieser nicht nur unabsehbare wirtschaftliche Konsequenzen. Aus Sicht des polnischen Außenministers ist die Krise der Euro-Zone vielmehr „ein dramatischer Ausdruck der europäischen Malaise“: Das Funktionieren der EU hänge zu sehr vom guten Willen und dem Anstand der einzelnen Mitgliedsstaaten ab. Das will Sikorski ändern.

In Berlin bringt er es auf die Formel: „tiefere Integration oder Zusammenbruch“. Um letzteren zu verhindern, schlägt Sikorski einen „New European Deal“ vor, eine neue Balance von Verantwortungsgefühl, Solidarität und Demokratie. Dafür sollen die Europäische Kommission und das EU-Parlament gestärkt werden, „um wahre Repräsentanten gemeinsamer europäischer Interessen“ zu sein. Den bemerkenswertesten Satz aber sagt Sikorski am Ende seiner Berliner Rede: „Ich fürchte deutsche Macht weniger als deutsche Untätigkeit.“ Nur die Bundesrepublik könne die EU aus der Krise führen. Deutschland müsse „Europas unverzichtbare Nation“ werden.

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Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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