Inland

„Fridays for Future muss raus aus der Wohlfühlzone“

Als Fridays for Future vor zwei Jahren begann, war Clemens Traub begeistert. Inzwischen kritisiert der 23-Jährige den „Absolutheitsanspruch“ der Bewegung. Sie müsse lernen, Kompromisse zu schließen.
von Kai Doering · 21. August 2020
Fridays-for-Future-Demonstration in Berlin: Die Bewegung repräsentiert nicht die gesamte Bandbreite unserer Gesellschaft, kritisiert Clemens Traub.
Fridays-for-Future-Demonstration in Berlin: Die Bewegung repräsentiert nicht die gesamte Bandbreite unserer Gesellschaft, kritisiert Clemens Traub.

Wann sind Sie vom Fridays-for-Future-Anhänger zum Fridays-for-Future-Kritiker geworden?

Ich komme aus einem kleinen pfälzischen Dorf und bin zum Studium nach Mainz gegangen. In Mainz waren mein Umfeld und ich begeistert von den Fridays-for-Future-Demos, aber als ich dann zu Besuch zurück in die Heimat gekommen bin, habe ich schnell gemerkt, dass meine Familie und meine Freunde diese Begeisterung überhaupt nicht teilen, im Gegenteil. Das hat mich zu Anfang sehr enttäuscht, weil ich dachte, wir gehen doch auch für euch auf die Straße und retten den Planeten auch für euch. Als ich dann wieder in meinem gewohnten Mainzer Umfeld war, habe ich aber schnell gemerkt, dass an der Kritik einiges dran ist. Das hat mich nachdenklich gemacht.

Welche Kritik ist das?

Fridays for Future ist eine sehr homogene Bewegung von Menschen, die einen sehr ähnlichen sozialen Hintergrund haben. Die Bewegung repräsentiert nicht die gesamte Bandbreite unserer Gesellschaft. Der entscheidende Punkt ist für mich aber, dass vielen, die sich bei Fridays for Future engagieren, der Blick für die Alltagssorgen der breiten Masse fehlt. Gerade dieser Blick würde Fridays for Future aber guttun.

In Ihrem Buch bezeichnen Sie Fridays for Future als „eine Bewegung der Bessergestellten“ und werfen ihr eine „moralische Überheblichkeit“ vor. Wie äußert die sich?

Fridays for Future hat von Anfang an auf Menschen, die sich nicht klimagerecht verhalten, mit erhobenem Zeigefinger herabgeschaut. Davon betroffen sind meistens Menschen, die ohnehin in der Gesellschaft schlechter gestellt sind, weil sie wenig verdienen oder nicht so gebildet sind. Das finde ich sehr schade, denn dadurch ist das wichtige Thema des Kampfes gegen den Klimawandel häufig sogar in den Hintergrund gedrängt worden und in gegenseitigen Vorwürfen untergegangen. So sind Feinbilder entstanden und gepflegt worden, anstatt die ganze Bandbreite der Bevölkerung für den so wichtigen Kampf gegen den Klimawandel zu mobilisieren.

Die soziale Herkunft der Protagonist*innen bezeichnen Sie sogar als „Geburtsfehler“ von Fridays for Future. Was ist daran problematisch?

Fridays for Future fehlt das Bewusstsein dafür, dass das Klimathema eins ist, mit dem man sich vor allem dann beschäftigt, wenn es einem im Alltag relativ gut geht. Wenn man also nicht überlegen muss, ob das Geld bis zum Ende des Monats reicht oder ob der eigene Arbeitsplatz die Corona-Krise übersteht. Wahrscheinlich kann man das auch nicht erwarten, wenn man so behütet aufgewachsen ist, wie die führenden Köpfe von Fridays for Future. Umso wichtiger wäre es, dass sich Fridays for Future öffnet und zu einer inklusiven und sozialen Bewegung wird, die die Alltagssorgen der Masse mit dem Kampf gegen den Klimawandel verknüpft. Etwas mehr Bodenständigkeit würde nicht nur der Bewegung guttun, sondern auch den Kampf gegen den Klimawandel auf eine ganz andere Stufe heben.

Fridays for Future ist über die vergangenen zwei Jahre gewachsen. Halten Sie die Einbindung von Personen aus anderen Bevölkerungsgruppen für realistisch?

Ja, das halte ich für absolut realistisch. Mein großes Ziel ist, dass Fridays for Future rausgeht aus ihren Wohlfühlzonen – also aus den Gymnasien, aus den Universitäten, rein in die Hauptschulen und in die Betriebe. Dann würden die Aktivisten zum Beispiel schnell merken, dass ein Auto nicht unbedingt nur ein Klimamonster ist, sondern in vielen ländlich geprägten Regionen ein notwendiges Fortbewegungsmittel. Das Ziel muss ja sein, Menschen über die eigene Peer-Group hinaus zu begeistern. Im besten Fall auch Leute, die der Bewegung und dem Kampf gegen den Klimawandel bisher skeptisch gegenüberstehen. Das würde beiden Seiten helfen.

Wenn das nicht passiert, befürchten Sie sogar, Fridays for Future könnte die bestehende Spaltung der Gesellschaft noch weiter vertiefen. Wieso?

Das entscheidende Problem ist aus meiner Sicht der Absolutheitsanspruch, den Fridays for Future vertritt. Eine Diskussion, in der die Argumente des anderen ernst oder überhaupt nur wahrgenommen werden, ist so kaum möglich. Wer glaubt, dass die eigene Meinung die einzige richtige ist und zu hundert Prozent umgesetzt werden muss, ist weder in der Lage, zu diskutieren, noch fähig zu Kompromissen. Das ist aber die Grundlage unserer Gesellschaft und der Demokratie. Am Ende prallen zwei Meinungen aufeinander, die sich unversöhnlich gegenüberstehen, und es verlieren beide Seiten. Fridays for Future hat eine Verantwortung als politischer Akteur und die muss die Bewegung auch wahrnehmen. Das bedeutet dann auch, andere Meinungen gelten zu lassen und Kompromisse zu schließen.

In Politik und Medien stößt Fridays for Future auf große Sympathie. Gerade waren führende Köpfe im Kanzleramt. Ist der Einfluss der Bewegung zu groß?

Zumindest wurde Fridays for Future vor Beginn der Corona-Krise sehr stark gehypt. In den Medien gab es über Wochen und Monate kaum ein anderes Thema. Die Protagonistinnen wurden am laufenden Band interviewt und saßen in Talkshows. Das stand oft in keinem Verhältnis zu der Lebenswirklichkeit von Millionen anderer Menschen. Das hat bei vielen zu Verdruss geführt. Die meisten erkennen ja an, dass deutlich mehr für den Klimaschutz getan werden muss, aber durch die Omnipräsenz hatten sie das Gefühl, ihre alltäglichen Probleme würden dafür unter den Tisch fallen. Das hat den ohnehin bestehenden Elitenverdruss weiter befördert.

Wie sähe aus Ihrer Sicht ein verantwortungsvoller Umgang mit dem Thema Klimaschutz in Gesellschaft und Politik aus?

Am wichtigsten ist, sofort mit den gegenseitigen Vorwürfen aufzuhören. Klimaschutzpolitik hat nichts mit Moral zu tun. Wer Fleisch ist oder Auto fährt, ist deshalb kein schlechterer Mensch. Man sollte ihn stattdessen darüber aufklären, welche Auswirkungen sein Verhalten hat. Wir sollten darüber diskutieren, wie der notwendige Wandel so vollzogen werden kann, dass das Klima geschützt werden kann und gleichzeitig Jobs gesichert werden, wie also eine grüne Zukunft für Deutschland aussehen kann. Wir dürfen nicht so diskutieren, dass die Menschen Angst vor dem Wandel haben, sondern ihn als Chance sehen. Wenn das gelingt, haben wir sehr viel gewonnen.

Wo sehen Sie dabei die SPD?

Die SPD spielt in dieser Debatte eine wichtige, wenn nicht sogar die entscheidende Rolle. Ihr muss es gelingen, die Interessen der Arbeitnehmer mit der Klimapolitik zusammenzuführen. Sie kann – aus meiner Sicht als einzige Partei – die Widersprüche zwischen einer ehrgeizigen Klimapolitik und den Ängsten der Menschen auflösen. Dafür darf sie aber nicht moralisierend auftreten wie es etwa die Grünen machen. Stattdessen sollte sie sich über den grünen Umbau der Wirtschaft Gedanken machen und einen sozialen Ausgleich schaffen, wenn Dinge wegen des Klimaschutzes teurer werden. Die SPD sollte als die Partei wahrgenommen werden, die Dinge ermöglicht und nicht verbietet.

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Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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