Freiheit in Zeiten von Überwachung und „Raubtier-Kapitalismus“
Was ist Freiheit? Ist man frei, wenn man sein Leben unabhängig und nach eigenen Wünschen gestalten kann? Können wir wirklich frei entscheiden, wenn uns die Gesellschaft permanent beeinflusst? Was wir tun und lassen, leisten, konsumieren sollen? Welchen Wert hat Freiheit angesichts der überbordenden Möglichkeiten, die die westliche Welt uns bietet?
Wie gestaltet sich das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit in Zeiten der permanenten Videoüberwachung im öffentlichen Raum und globaler Überwachungs- und Spionageaffären? Inwieweit untergraben wir unsere Freiheit selbst, indem wir zu leichtfertig mit unseren Daten im Internet umgehen? Macht uns diese Transparenz letztlich unfrei? Was bedeutet Freiheit im globalen Kontext? Ist Freiheit zu einem Luxusprodukt geworden und Deutschland eine Insel der Seligen angesichts der unfreien Zustände im Rest der Welt?
Mehr Freiheit, weniger Staat
Die Friedrich-Ebert-Stiftung will diesen Fragen nachgehen und veranstaltete am Mittwoch ein Grundwerteforum zum Thema „Freiheit“. Zu Gast waren Nicola Beer, Generalsekretärin der FDP, Yasmin Fahimi, SPD-Generalsekretärin und Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender Bündnis 90 / Die Grünen. Sie diskutierten mit Moderator Thomas Meyer über die Bedeutung von Freiheit für die jeweilige Partei.
Nicole Beer definiert Freiheit nach dem Leitbild der FDP als die „Freiheit des Einzelnen“ mit seinen individuellen Wünschen und Bedürfnissen. Diese „Einzigartigkeit des Menschen“ und sein „Recht auf Verschiedenheit“ müsse „von der Gesellschaft ausgehalten werden.“ Beer betont, dass Freiheit als selbstverständlich angesehen werde, sie müsse jedoch jeden Tag neu erkämpft werden. Das erfordere Mut und hänge mit Verantwortung zusammen: „Freiheit ist kein Privileg, sondern ein Anspruch jedes einzelnen Bürgers, Verantwortung zu übernehmen.“
Der Einzelne ist also frei, aber der Gesellschaft verpflichtet. Der fundamentale Unterschied zu anderen Parteien ist der Anspruch, dass der Mensch frei sei und der Staat dort seine Grenzen finde. Die Liberalen wehren sich gegen jegliche „paternalistische Bevormundung“ durch den Staat. Die FDP werde dann aktiv, wenn die Freiheit des Einzelnen eingeschränkt wird, beispielsweise bei Arbeitslosigkeit, Bildungsungleichheit oder bei der Einschränkung von Bürgerrechten.
"Fundamentaler Angriff auf unsere Freiheit"
Konstantin von Notz ist Obmann im NSA-Untrersuchungsausschuss sowie im Ausschuss „Digitale Agenda“ und sieht unsere Freiheit nicht so sehr durch den Staat in bedroht, sondern durch die zunehmende Überwachung von Internetnutzern, sei es durch social media oder Geheimdiensten. „Freiheit ist nicht statisch und wird nicht auf einmal abgeschafft, sondern Stück für Stück." Sogar nach „fundamentalen direkten Angriffen auf unsere Freiheit“ durch Geheimdienste gäbe es keine adäquate gesellschaftliche Diskussion darüber. Für die Grünen sei deswegen vor allem die Frage der digitalen Bürgerrechte von Bedeutung.
Zudem spricht von Notz das Problem von Freiheit als „nationalem Gedanken“ an. „Gilt Freiheit nur für die Deutschen oder auch für Einwanderer und Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrinken?“ Freiheit müsse in einer globalen Perspektive betrachtet werden, alles andere sei Egoismus. Es gehe um die Freiheit aller Menschen, für die auch wir Verantwortung haben. Freiheit hänge auch mit dem Klimawandel zusammen. Schon jetzt würden die Auswirkungen der globalen Erderwärmung viele Menschen außerhalb Europas unfrei machen. Fragen der Freiheit und Gerechtigkeit müssen laut von Notz also auch immer globale Probleme wie Nahrungsmittel- und Wasserknappheit sowie Flüchtlingsbewegungen einschließen.
"Freiheit für viele, nicht für die wenigen"
„Der Begriff der Freiheit wird oft missbraucht“, so SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi. Wachsende Unsicherheiten auf dem Arbeitsmarkt wie die Flexibilisierung der Arbeitszeiten würden uns als Freiheit verkauft. Laut sozialdemokratischem Politikverständnis ist Freiheit nur im Kollektiv, in der Gemeinschaft möglich. Fundamental seien echte Chancengleichheit: Zugang zu Reichtum und Bildung. Die Person in ihrer Vielfalt müsse anerkannt, verschiedene Lebensentwürfe respektiert werden. Willy Brandt formulierte diese Gleichberechtigung als „Freiheit für viele, nicht für die wenigen.“
Gefährdungen der Freiheit sieht Fahimi in einer zunehmenden Digitalisierung, die manche Bürgerrechte einschränkten könne und den globalisierten Finanzkapitalismus, der nicht mehr eingebettet wäre in soziale und moralische Kontexte. Er hätte sowohl global als auch in Deutschland ein „nie gekanntes Maß an Ungleichheit“ erzeugt. Zugang zu Bildung und Gesundheit wäre heute wieder stärker abhängig von der Herkunft des Einzelnen. Ökonomische Ungleichheit würde letztendlich zu einer sozial gespaltenen Demokratie führen. Zahlreiche Menschen könnten nicht mehr an der Gesellschaft teilhaben und das Parlament könnte kein angemessener Spiegel mehr für die Gesellschaft sein.
Keine weiteren Deregulierungen
Bedrohen die freien Märkte also unsere Freiheit? Konstantin von Notz kritisiert den vor allem in den USA vorherrschenden Libertarismus und sieht Deutschland als Gegenentwurf. „Trotz der vielen Regulierungen geht es Deutschland wirtschaftlich gut.“ Staatliche Vorgaben wären weiterhin nötig, vor allem auch in Hinblick auf die Industrie 4.0 mit ihren Neuerungen.
Nicole Beer hingegen erklärt auf Nachfrage bezüglich einer Erbschafts- und Vermögenssteuer, dass Unternehmen zwar soziale Verantwortung, aber auch Eigentumsrechte hätten. Eine absolute Gleichheit würde es unter den Menschen nie geben. "Die Einzigartigkeit des Menschen muss anerkannt werden und die Gesellschaft muss ertragen können, dass es Unterschiede gibt", sagte Beer.
"Diktatur des Kapitals"
Fahimi kontert, dass nicht jeder Unternehmer moralisch handeln würde. Als ehemalige Gewerkschafterin erachtet sie es für notwendig, dass der Staat regulierend eingreift, vor allem in Zeiten des gegenwärtigen „Raubtierkapitalismus.“ Immerhin sei Kapital auch immer „gemeinschaftlich erwirtschaftet“, von den Unternehmern und den Arbeitnehmern. Die Aufgabe der Politik sei es, als „Entscheidungssphäre des Gemeinsamen“ handlungsfähig zu bleiben, weitere Deregulierungen seien nicht zu verantworten.
Vor allem im Hinblick auf die zunehmende Digitalisierung kritisiert sie eine zu enge Verknüpfung von Wirtschaft und Politik. „Sollen die Prinzipien vom Staat ausgehen oder in Netzcommunities neu enstehen?“, fragt sie. Fahimi spricht von einer „Diktatur des Kapitals“, wenn sich Google und andere Internet-Dienste zu sehr in „unser Leben einmischen“ würden. Chancen der Digitalisierung sollten zwar ergriffen werden, die Gesellschaft brauche trotzdem weiterhin ein Regelwerk, entworfen von demokratisch gewählten Politikern.
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