Frauentag: Warum es nicht um Ost und West geht
„Ostfrauen halten sich weniger daran auf, sich beständig infrage zu stellen“, meint Moderatorin Tanja Brandes. Auf dem Podium im Paul-Löbe-Haus macht es sie stutzig, dass man 30 Jahre nach der friedlichen Revolution beim Empfangs zum internationalen Frauentag danach fragt, ob die Mauer zwischen Ost- und Westfrauen gefallen sei. Dennoch gäbe es ein gewisses Selbstverständnis, was jene von solchen unterscheidet. Dieses Selbstverständnis der Ostfrauen schreibt sich eine auf dem Podium bewusst zu. Heute ist Jeannine Koch Direktorin von Europas größter Gesellschaftskonferenz zur Digitalisierung. Am Anfang ihrer Karriere wurde sie jedoch erst nach eigenen Angaben als Projektleiter wahrgenommen, als sie sich in einem Büro voller Männer explizit so vorstellte. „Sprache schafft Wirklichkeit“, meint sie. So wäre es auch im Falle der Differenz zwischen alten und neuen Bundesländern. „Es gibt nicht die Ost- und die Westfrauen“ sagt Koch und tritt für eine differenzierte Sicht ein.
Arbeit ist nicht gleich Emanzipation
„Für mich spielte Herkunft nie eine tragende Rolle“, sagt Bundesfamilienministerin Giffey, die sich an erster Stelle immer als Berlinerin sieht. Für sie käme es darauf an, was man kann und was an erreichen möchte. „Ich habe das Ostfrau-Sein nie vor mir hergetragen.“ Die Berufstätigkeit beider Elternteile nahm Giffey als Standard wahr. Heute betont sie, dass Teile Deutschlands historisch anders gewachsen wären. In Baden-Württemberg besuchen laut dem statistischen Landesamt in 2017 29 Prozent der Kinder unter drei Jahren die Kita. Auf die Frage, ob ein Kind in jenem Alter mit dem Eintritt in die Kita Schaden nehme, würden, wie Giffey berichtet, 80 Prozent der Westfrauen mit ja antworten. Im Osten läge die Zahl bei 28 Prozent. Mit Fremdbetreuung sei, wie Giffey es empfindet, immer ein schlechtes Gefühl gemeint. „Ein Familienbild will ich niemandem vorschreiben“, so Giffey. Kinder sollten guten Gewissens in die Obhut andere gegeben werden können. In Hamburg sehe man erste Ergebnisse dieses Vorhabens in der Stärkung des Ganztagsangebots. Dass Hamburg im Westen liegt scheint für Giffey ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung der Veranstaltung zu sein.
„Kinder sind ein gesellschaftspolitisches Thema, nicht nur eines der Frauen“, stellt Katrin Budde, Beauftragte für das Einheitsjahr 2019/2020 der SPD-Bundestagsfraktion, klar heraus. Für Michaela Fuchs, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Sachsen-Anhalt-Thüringen, kommt ein bestimmtes Rollenverständnis erst mit der Familiengründung auf, deshalb so Budde: „Augen auf bei der Partnerwahl.“ Als der Beifall im Paul-Löbe-Haus abklingt, werden die begrüßenden Worte Rolf Mützenichs, dem Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, wieder aufgegriffen: „Arbeit heißt nicht gleich Emanzipation.“ Gleichstellung aber auch nicht Gleichberechtigung, so Budde. Mit Blick auf die DDR verweist sie auf die Institutionalisierung des Staats, der definitiv kein feministischer war. Frauen würden als Arbeitskräfte gebraucht. Mit Blick auf heute sei man laut Giffey noch immer auf eine hohe Erwerbsquote der Frauen angewiesen, um den Wohlstand des Landes zu mehren. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern, das hat sich Giffey für das Ministerium auf die Fahne geschrieben.
Wer baute nochmal die Mauer?
Die Mauer im Titel der Veranstaltung sei vielleicht nicht jene zwischen Frauen aus Ost und West, sondern viel eher eine die Frauen beider Seiten an gleichen Chancen wie Männern hindert, überlegt Brandes. Was es braucht, sei laut Budde eine Quote als Instrument zum Sichtbarmachen von qualifizierten Frauen. Für Koch scheitert Gleichberechtigung jedoch an anderer Stelle: „Wir schwimmen in der immer gleichen Suppe.“ Männer ließen sich nur vereinzelt auf dem Empfang zum internationalen Frauentag sehen.
studiert Deutsche Literatur und Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin und ist Praktikantin beim vorwärts.