„Frank-Walter Steinmeier steht für die breite gesellschaftliche Mitte in Deutschland“
Thomas Imo/photothek.net
Sie haben sich Frank-Walter Steinmeiers Werdegang für Ihre Biografie intensiv angesehen. Haben Sie damit gerechnet, dass er Bundespräsident wird?
Etwas Präsidiales hatte Frank-Walter Steinmeier schon immer seit er die politische Bühne betreten hat. Das mag zum einen an seinen Haaren liegen, die schon zu seiner Studentenzeit im Zuge einer Augen-Operation buchstäblich über Nacht ergraut sind. Zum anderen hat er aber auch früh Stärken gezeigt, die man als präsidial bezeichnen könnte: Er setzt auf Kommunikation und Aushandlungsprozesse, besitzt Verhandlungsstärke und kann sich selbst zurücknehmen. Frank-Walter Steinmeier ist ein Mann der gemäßigten Tonart, was sicher keine schlechte Voraussetzung für einen Bundespräsidenten ist.
Welcher Typ Politiker zieht mit Frank-Walter Steinmeier ins Schloss Bellevue ein?
Frank-Walter Steinmeier ist in der Welt des Machbaren groß geworden, nicht in der Welt des Utopischen. Er hat einen ganz klaren Politikansatz: Er erkennt ein Problem, nimmt es auf, analysiert es, entwickelt unterschiedliche Lösungsansätze und entscheidet sich letztlich, einen davon kontrolliert umzusetzen. Er ist ein klarer Kopf- und kein Bauch-Politiker – was sicher auch daran liegt, dass er seine politische Karriere als Verwaltungsbeamter in der niedersächsischen Staatskanzlei begonnen hat und nicht über einen ideologischen Vorbau verfügt wie häufig Politiker, die etwa bei den „Falken“,den Jusos oder in sozialistischen Hochschulgruppen angefangen haben.
Wie wird sich das in seiner Amtsführung als Bundespräsident bemerkbar machen?
Es gibt wohl keinen Politiker, der die Bundesrepublik in den vergangenen 20 Jahren so sehr geprägt hat, wie Frank-Walter Steinmeier – abgesehen vielleicht von Angela Merkel. Er verfügt über eine riesige Erfahrung in den unterschiedlichsten Politikbereichen. Deshalb wird es für ihn überhaupt kein Problem sein, das Bundespräsidialamt zu leiten und die repräsentativen Aufgaben, die mit dem Amt des Bundespräsidenten verbunden sind, zu erfüllen. Frank-Walter Steinmeier wird aus meiner Sicht auch nicht versuchen, sich als Gegenpol zur Parteienpolitik zu inszenieren und sich auf Kosten der Parteien zu profilieren. Dafür kennt er einfach die Zwänge, denen Politiker unterliegen, viel zu gut.
Steinmeier ist bekannt als Chefdiplomat. Wie wird er als Bundespräsident auftreten?
Frank-Walter Steinmeier tauscht die faktische gegen die repräsentative Macht. Die Rede wird künftig sein schärfstes Schwert sein. Den Alltag eines Bundespräsidenten – Reden halten, Urkunden unterschreiben, Schulklassen treffen – wird er natürlich ohne Probleme bewältigen. Er dürfte ihn eher etwas langweilen. Ob er darüber hinaus in der Lage sein wird, gezielt gesellschaftliche Debatten anzustoßen und Themen zu setzen, bleibt dagegen abzuwarten. Bisher zumindest gibt es keinen Satz, der auf den Punkt bringen würde, wofür Frank-Walter Steinmeier genau steht und was sein gesellschaftliches Thema ist.
Ist das aus Ihrer Sicht ein Makel?
Nein, ich möchte ihm daraus auch keinen Vorwurf machen. Bei vielen seiner Vorgängern im Amt des Bundespräsidenten war das letztlich genauso. Im Amt selbst hat sich das dann ja häufig auch geändert.
Gibt es trotzdem etwas, worauf Sie Frank-Walter Steinmeier festlegen würden?
Ja. Er steht auf jeden Fall für die breite gesellschaftliche Mitte in Deutschland. Mit seiner Nominierung als Bundespräsidentenkandidat hat Sigmar Gabriel einen Coup gelandet und es gemeinsam mit Steinmeier geschafft, ein breites Bündnis hinter dem Kandidaten zu versammeln. Damit steht Frank-Walter Steinmeier aber auch ein wenig für die Menschen, die eigentlich gar keine Integration brauchen. Zwar hat er betont, dass er ein Brückenbauer sein möchte, doch das hat bislang noch jeder Bundespräsident gesagt. Wen oder was er verbinden möchte, weiß man nicht. Fraglich ist, ob er tatsächlich die enttäuschten Gruppen der Gesellschaft mit der sogenannten Mitte versöhnen kann und will. Frank-Walter Steinmeier wird ein Bundespräsident der politischen Mitte sein und wohl kaum der Menschen, die beispielsweise bei Pegida mitlaufen oder zu AfD-Veranstaltungen gehen.
Bei seiner Vorstellung hat Frank-Walter Steinmeier gesagt, er wolle „Mutmacher“ sein, auch um den wachsenden Populismus einzudämmen. Trauen Sie ihm das zu?
Im Zuge seiner Nominierung wurde er oft als eine Art Anti-Trump dargestellt. Dieses Bild stimmt – und stimmt auch wieder nicht. Frank-Walter Steinmeier hat nie populistische Töne angeschlagen und kommuniziert seine politischen Positionen nicht über 140 Zeichen bei Twitter, sondern vermutlich eher über 140 Buch-Seiten, um im Bild zu bleiben. Allerdings verdeutlicht sein politischer Aufstieg auch das, was den Populismus erst hat groß werden lassen: Frank-Walter Steinmeier steht für die gegenwärtige inhaltliche Leere der beiden großen Volksparteien und gehört einer Politikergeneration an, der die normative Begründung ihrer Politik schwerfällt und die den Pragmatismus über alles stellt. Die berühmt-berüchtigte Alternativlosigkeit der Kanzlerin ist ein Sinnbild dafür. Steinmeier steht ihr hier in Nichts nach. Und das hat Ansatzmöglichkeiten für Populisten geschaffen, mit denen sie zurzeit sehr erfolgreich sind.
Was für einen Bundespräsidenten bräuchte es aus Ihrer Sicht, um auch diese Menschen anzusprechen?
Wir leben in einer Zeit, in der die Volksparteien erodieren und populistische Strömungen an Einfluss gewinnen. Diese Entwicklung kann man nicht über Nacht aufhalten oder gar umkehren. Längerfristig brauchen wir eine Repolitisierung der Parteienpolitik, die die Parteien wieder unterscheidbarer macht. Die Parteien und ihre Politiker müssen wieder klarer sagen, wofür sie stehen und wofür nicht. Das ist sicher schwierig umzusetzen, aber aus meiner Sicht der einzige Weg, Menschen, die mit Skepsis auf die etablierte Politik blicken, wieder zurückzugewinnen. Darüber hinaus sollten wir wieder darüber streiten, was eigentlich Demokratie ist und welchen Stellenwert sie für eine Gesellschaft hat. Das könnte dann vielleicht auch ein geeignetes Thema für den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier sein. Das Potenzial dafür hat er allemal. Die Frage lautet also: Was verstehen wir eigentlich unter Demokratie genau?
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Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.