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Frank Junge: Was die Ampel für Ostdeutschland bringt

Bei der Bundestagswahl ist die Landesgruppe Ost der SPD-Bundestagsfraktion deutlich gewachsen. Ihr Vorsitzender Frank Junge will das nutzen, um die Interessen Ostdeutschlands noch besser zu vertreten. Die Ampel-Koalition mache viele gute Angebote.
von Kai Doering · 27. Oktober 2021
Frank Junge: Wir müssen und werden in der Fraktion insbesondere die Themen und Belange, die für die Neuen Bundesländer relevant sind, zu Gehör bringen und versuchen, Verständnis dafür zu erzeugen.
Frank Junge: Wir müssen und werden in der Fraktion insbesondere die Themen und Belange, die für die Neuen Bundesländer relevant sind, zu Gehör bringen und versuchen, Verständnis dafür zu erzeugen.

Mit 41 Mitgliedern hat sich die Landesgruppe Ost der SPD-Bundestagsfraktion nahezu verdoppelt. Rund ein Fünftel der Abgeordneten kommt aus Ostdeutschland. Wie wollen Sie diesen neuen Einfluss nutzen?

Unser Ziel als SPD-Landesgruppe Ost bleibt das gleiche wie bisher: Wir müssen und werden in der Fraktion insbesondere die Themen und Belange, die für die Neuen Bundesländer relevant sind, zu Gehör bringen und versuchen, Verständnis dafür zu erzeugen. Und natürlich wird es uns auch darum gehen, für entsprechende Vorhaben Mehrheiten zu organisieren. Durch das deutliche Anwachsen der Landesgruppe wird uns das in den kommenden vier Jahren sicherlich leichter gelingen als in der letzten Legislatur. Nach der Landesgruppe NRW sind wir die zweitgrößte innerhalb der SPD-Fraktion. Für die Interessen Ostdeutschlands kann das nur gut sein.

In die Landesgruppe sind auch viele junge Menschen der sogenannten Nachwende-Generation gekommen, die die DDR gar nicht mehr selbst erlebt haben. Macht das einen Unterschied?

Ja und nein. Natürlich reflektiert die jüngere Generation bestehende Probleme anders. Deshalb verspreche ich mir daraus auch neue Lösungsansätze. Dieses Potenzial der Landesgruppe möchte ich gerne nutzen. Die Probleme an sich bleiben aber gleich und das spüren auch die jungen Menschen.

Sie selbst haben mit mehr als 35 Prozent das beste aller SPD-Ergebnisse in Ostdeutschland eingefahren. Wie haben Sie das geschafft?

Ich darf seit acht Jahren Bundestagsabgeordneter sein und mich um meinen Wahlkreis kümmern. Wie ganz vielen anderen ist mir seitdem die Präsenz vor Ort und eine kontinuierliche Wahlkreisarbeit ganz wichtig. Klar ist das im zweitgrößten Flächenwahlkreis Deutschlands keine Kleinigkeit! Allerdings schafft diese Kontinuität nicht nur Akzeptanz, sondern auch einen wachsenden Bekanntheitsgrad. Hinzu kommt, dass ich im Gespräch mit den Menschen immer versuche, keine Erwartungen zu wecken, die man nicht erfüllen kann. Aber das, was man zusagt, muss eingehalten und umgesetzt werden! Diese Verlässlichkeit erzeugt Vertrauen und sowas spricht sich rum. Dazu lege ich großen Wert auf einen dialogorientierten Politikstil, um mit den Wählerinnen und Wählern über verschiedene Formate über Politik und ihre Probleme zu sprechen.

All diese Angebote werden konsequent klassisch beworben. Das bringt permanente Sichtbarkeit im Wahlkreis in Zeiten, in denen politische Mitbewerber geschlafen haben. Genau dieser Zusammenhang lag z.B. auch meinem Wahlkampf zu Grunde, der trotz Corona mit dem 1. Januar begonnen hat. Hier haben wir natürlich auf digitale Dialogangebote umgestellt. Die wurden aber genauso klassisch beworben, wie in den Jahren zuvor. In Verbindung mit kleineren dezentralen Plakatkampagnen konnten wir dadurch exklusive Wahrnehmung in der Öffentlichkeit erzeugen, während die Mitbewerberinnen und -bewerber lange noch gar nicht zu sehen gewesen sind. Und schlussendlich hat sich natürlich auch die Beliebtheit von Olaf Scholz und Manuela Schwesig positiv auf mein Ergebnis ausgewirkt. Unterm Strich bin ich natürlich stolz auf das Ergebnis. Ich bin den Wählerinnen und Wählern aber auch unglaublich dankbar dafür. Ich werte das als Bestätigung meiner Arbeit, die ich genau so fortsetzen werde.

Sie schlagen vor, gerade mit Blick auf den bevorstehenden Umbau der Wirtschaft, einen „Vorsprung Ost“ zu organisieren. Wie soll der aussehen?

Wir stehen in unserer Gesellschaft in den Bereichen Wirtschaft und Mobilität vor einem riesigen Transformationsprozess. Mit einem Vorsprung Ost kann es uns gelingen, in bestimmten Feldern einen Vorsprung zu erhalten, damit ein eigenständiges und nachhaltiges Wirtschaftswachstum im Osten möglich ist.

Es geht z.B. darum, die Erneuerbaren Energien deutlich auszubauen. Die ostdeutschen Flächenländer bringen hierfür hervorragende Voraussetzungen mit. Auch die Wasserstofftechnologie sollte vorangebracht werden, da wir im Osten die entsprechende Infrastruktur, Forschung und Entwicklung bereits vor Ort haben. Wir können so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Wir würden bereits vorhandene Ressourcen nutzen und gleichzeitig eine Wirtschaftskraft entwickeln, die gut bezahlte Arbeitskräfte garantiert, bei denen Ostdeutschland ja leider immer noch Nachholbedarf hat. Und im Bereich der Mobilität muss ebenfalls viel passieren, damit dort die strukturellen Nachteile des Ostens ausgeglichen werden können.

SPD, Grüne und FDP haben ein Sondierungspapier für die Koalitionsverhandlungen vorgelegt. Wie bewerten Sie das Papier in Hinblick auf Ostdeutschland?

Ich finde das Sondierungspapier hervorragend. Zentrale Anliegen, die wir als Landesgruppe Ost in der vergangenen Legislatur sowie im Wahlkampf immer wieder gefordert haben, sind dort enthalten. Wir haben die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro sowie die Stärkung von Tarifautonomie, Tarifpartnern und Tarifbindung und stabile Renten festgeschrieben. Das sind ganz wichtige Punkte, die den Menschen in Ostdeutschland unmittelbar zugutekommen werden und dafür sorgen können, die Deutsche Einheit auch sozial zu vollenden.

Besonders freue ich mich darüber, dass das Thema Ostdeutschland sehr prominent direkt auf Seite 2 abgebildet wird. Wir sagen im Sondierungspapier, dass es auch 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution unveränderte Aufgabe ist, die innere Einheit sozial und wirtschaftlich zu vollenden und die Menschen, die im Wandel nach der Wende bereits Erfahrungen mit Brüchen und Enttäuschungen gemacht haben, im anstehenden Transformationsprozess zu begleiten, damit sich derartiges nicht wiederholt. Diese Klarheit begrüße ich ausdrücklich.

Nun starten die Koalitionsverhandlungen. Sie leiten für die SPD die Arbeitsgruppe „Gute Lebensverhältnisse in Stadt und Land“. Wie laufen die Verhandlungen ab und was wollen Sie für den Koalitionsvertrag erreichen?

Die Möglichkeit, diese wichtige Arbeitsgruppe zu leiten, macht mich stolz. Mit mir zusammen verhandeln Elisabeth Kaiser aus Thüringen, Sabine Bätzing-Lichtenthäler aus Rheinland-Pfalz und Sören Link aus Nordrhein-Westfalen für die SPD.

Wir müssen dafür sorgen, etwas für die strukturschwachen Regionen und die Lebensverhältnisse zwischen Stadt und Land anzugleichen. Das betrifft das ganze Bundesgebiet. Allerdings besitzt das Thema aus ostdeutscher Sicht natürlich eine herausgehobene Bedeutung, um die Lebensverhältnisse in den neuen Bundesländern weiter zu verbessern. Denn hier werden wir uns den Fragen widmen müssen, wie wir die kommunale Finanzkraft stärken, in der Strukturpolitik Verbesserungen erreichen oder auch das ehrenamtliche Engagement und die Gesundheitsversorgung vor Ort stärken können.

Wie alle anderen Arbeitsgruppen auch haben wir nun bis zum 10. November Zeit, unsere Verhandlungsergebnisse zu Papier zu bringen. Das ist ein straffer Zeitplan, aber ich bin optimistisch, dass wir das schaffen. Wenn alles klappt, soll Olaf Scholz im Dezember zum Kanzler gewählt werden.

Die Anhebung des Mindestlohns und stabile Renten waren auch wichtigen Themen der SPD im Wahlkampf. Sehen Sie darin den Grund dafür, dass die SPD in Ostdeutschland so gut abgeschnitten hat?

Ja, absolut. Dazu kommt, dass Olaf Scholz als kompetenter und verlässlicher Kanzlerkandidat in Ostdeutschland super angekommen ist. Auch seine Respekt-Kampagne hat hier die Herzen der Menschen erreicht. Hinzu kommen verlässliche Landespolitikerinnen und Landespolitiker der SPD in Ostdeutschland, die mit ihrer Arbeit die Menschen seit Jahren überzeugen. Das waren für mich die entscheidenden Faktoren, dass die SPD die Bundestagswahl im Osten so deutlich für sich entschieden hat und sie dadurch auch insgesamt gewonnen hat. Deshalb hoffe ich sehr, dass die künftige Bundesregierung auf die besonderen Problemlagen des Ostens eingehen wird.

Sollte die Rolle des Ostbeauftragten der Bundesregierung in dieser Richtung gestärkt werden?

Ja, das ist dringend notwendig. Den Ostbeauftragten in der Bundesregierung brauchen wir weiterhin. Solange wir erhebliche Unterschiede bei den Lebensverhältnissen zwischen Ost und West haben, brauchen wir eine Stelle, bei der das Ganze institutionalisiert ist. Denn nur ein Ostbeauftragter hat bei allen Gesetzen über die verschiedenen Ministerien hinweg den Blick dafür, welche Auswirkungen bestimmte Gesetze auf Ostdeutschland haben. Ich habe ja bereits von der Bekämpfung der Strukturschwäche gesprochen. Was wäre es für ein Signal an die Menschen in Ostdeutschland, wenn wir die wichtige Funktion des Ostbeauftragten nun abschaffen würden, obwohl es noch so viel zu tun gibt?

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