Inland

Flugverkehr in der Corona-Krise: „Ryanair zeigt erneut seine hässliche Fratze“

Unter dem Vorwand der Corona-Krise versucht Billigfluganbieter Ryanair tarifvertraglich vereinbarte Regeln zu umgehen. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe kritisiert das und fordert die Beschäftigten zu Solidarität auf.
von Jonas Jordan · 15. Juli 2020
Die Gewerkschaft ver.di demonstriert mit Beschäftigten aus dem Luftverkehr vor dem Bundestag.
Die Gewerkschaft ver.di demonstriert mit Beschäftigten aus dem Luftverkehr vor dem Bundestag.

Ryanair macht in der Corona-Krise mal wieder negative Schlagzeilen. Wie stellt sich die Situation aktuell dar?

Ryanair zeigt erneut seine hässliche Fratze und droht den Beschäftigten unter dem Vorwand der Corona-Pandemie mit Massenentlassungen, wenn auf deren Forderungen nicht eingegangen wird. Diese beinhalten, tarifvertragliche Vergütungen zu kürzen. Einen Tarifvertrag gibt es seit März 2019, aber es gibt immer wieder Fälle, in denen versucht wird, den Tarifvertrag zu unterlaufen. In der Krise zahlt Ryanair das Kurzarbeitergeld nicht vollständig. Zudem verhindert das Unternehmen bis heute die Gründung eines Betriebsrates.

Teilweise haben sich bereits Einzelgewerkschaften mit Ryanair geeinigt und beispielsweise Lohnverzicht zugestimmt. Besteht dadurch die Gefahr, dass die Beschäftigten gespalten werden?

Auf jeden Fall. Deswegen gab es kürzlich eine Kundgebung vor dem Bundestag von ver.di mit vielen Beschäftigten aus verschiedenen Bereichen des Flugverkehrs. Hier wurde noch einmal deutlich gemacht, dass die Belegschaft solidarisch sein sollte und sich nicht spalten lassen darf. Jegliche Spaltung schwächt die Position von ver.di und auch die der Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter. Ryanair droht, einen neuen Tarifvertrag mit anderen Organisationen abzuschließen, um den ausgehandelten Tarif zu unterlaufen. Das darf nicht passieren. Deswegen ist hier die Solidarität wichtig. Das haben wir auch von politischer Seite deutlich gemacht.

„Das Ziel von Ryanair ist es, über Sozialdumping die Rendite zu erhöhen“

Was kann man darüber hinaus tun, um den Beschäftigten in der jetzigen Situation den Rücken zu stärken?

Das Ziel von Ryanair ist es, über Sozialdumping die Rendite zu erhöhen. Diesen blutigen Preiskampf auf dem Rücken der Beschäftigten machen wir nicht mit. Er muss unterbunden, aber auch politisch begleitet werden. Ver.di hat bereits ein Luftverkehrskonzept erarbeitet. Daneben zeigt sich die Gewerkschaft kompromissbereit und macht der Arbeitgeberseite Angebote, zum Beispiel den jetzigen Tarifvertrag um ein halbes Jahr zu verlängern, die vorgesehene Lohnerhöhung zu verschieben oder auf einzelne Vergütungsbestandteile wie die Verkaufsprovision zu verzichten. Dafür verlangen die Gewerkschaften von der Politik ein Flugverkehrskonzept, das allen gerecht wird. Das haben wir als Politikerinnen und Politiker mitgenommen und unsere Verkehrsexpertinenn und -experten werden sich der Sache annehmen. Anfang September wird es zu Gesprächen kommen, wie wir als SPD die Beschäftigten weiter unterstützen können.

Inwieweit unterstützt der Staat die Beschäftigten bereits?

Mit dem Konjunkturpaket unterstützen wir Unternehmen mit Zuschüssen, erleichterten Kreditzusagen und Liquiditätshilfen. So wollen wir die Wirtschaft aufrecht erhalten und damit auch die Arbeitsplätze sichern. Mit dem wunderbaren Konzept des Kurzarbeitergeldes haben wir während der Finanzkrise schon gute Erfahrungen gemacht. Auch damit wird vielen, vielen Menschen geholfen. Wir sichern ihre Arbeitsplätze und nehmen ihnen die Angst, arbeitslos zu werden. Jetzt brauchen wir einen weiteren Schutz, gerade für den Flugverkehr.

„Wir brauchen Mindeststandards, die für alle Fluggesellschaften gelten“

Wie könnte der aussehen?

Wir müssen Mindeststandards definieren, die für alle Fluggesellschaften gelten. Staatliche Hilfen müssen daran geknüpft werden, dass kein Sozialdumping betrieben wird, dass Mitbestimmung und Tarifbindung eingehalten werden.

Hat man das bei der Rettung der Lufthansa versäumt?

Am Widerstand der Union ist es gescheitert, solche sozialen Kriterien direkt festzulegen. Die Kriterien für eine Staatsbeteiligung bei Lufthansa waren nur, dass es keine Dividenden- oder Boni-Auszahlung gibt. Kriterien wie Tarifbindung, Mitbestimmung oder Arbeitsplatzsicherung sind dort konkret nicht festgehalten worden. Deshalb müssen wir darauf schauen, dass der Staat als Anteilseigner sein Mitspracherecht auch geltend macht und in diesen Fragen eingreift.

Ryanair hat die Staatsbeteiligung bei Lufthansa heftig kritisiert. Zurecht?

Ryanair ist ein irisches Unternehmen. Irland kann genauso ein Rettungspaket schnüren. Es ist aber in Zeiten der Globalisierung auch eine europäische Frage. Ryanair behauptet, in Deutschland keine Betriebsstätte zu haben, weil es ein Unternehmen mit Sitz in Irland ist. Nach dieser Logik würden die deutschen Mitbestimmungsregeln auch nicht greifen. Unsere Haltung ist: Ryanair hat in Deutschland eine Betriebsstätte. Deshalb greift das Betriebsverfassungsgesetz und es dürfen auch Betriebsräte gegründet werden. Ergo gilt deutsches Arbeitsrecht in Mitbestimmugnsfragen.

„Eher friert die Hölle zu, als dass wir den Tarifvertrag aufs Spiel setzen.“

Aus Perspektive der Verbraucher*innen – ist es moralisch vertretbar, mit Ryanair zu fliegen?

Ich würde es nicht tun. Die Dumpingpreise von Ryanair sind auch mit Blick auf den Klimawandel schädlich. Außerdem entstehen sie auf dem Rücken der Belegschaft. Wir wissen von den Beschäftigten, dass massiver Druck auf sie ausgeübt wird. 70 Prozent der Belegschaft sind prekär beschäftigt. Deswegen finde ich es ethisch sehr problematisch, mit Ryanair zu fliegen.

Aber schadet ein Ryanair-Boykott nicht wiederum den Beschäftigten?

Das ist eine berechtigte Frage, aber wenn man dauerhaft mit Ryanair fliegt, unterstützt man auch dieses Unternehmen. Deshalb müssen wir für gute Arbeitsbedingungen und faire Löhne kämpfen, damit Sozialdumping verhindert wird. Michael O’Leary, der Chef von Ryanair, hat vor einigen Jahren mal gesagt, eher friere die Hölle zu, als dass er bei Ryanair Gewerkschaften zuließe. Wir sagen: Eher friert die Hölle zu, als dass wir den Tarifvertrag aufs Spiel setzen.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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