Flüchtlingspolitik: Warum wir Zusammenhalt statt Abschottung brauchen
Thomas Imo/photothek.net
Als 1962 das faschistische Franco-Regime Spaniens maßgeblich wegen der Initiative europäischer Sozialdemokraten am Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft scheiterte, war dies ein unmissverständliches Bekenntnis zu einer Wertegemeinschaft. Zusammenhalt gegen die Wertezerrüttung!
Die europäische und deutsche Sozialdemokratie muss wieder Taktgeber einer Politik sein, die sich der Freiheit und Sicherheit aller Menschen verpflichtet sieht. Der Hebel ist denkbar simpel: Zusammenhalt statt Abschottung! Gerade jetzt in der Flüchtlingspolitik.
Wir überkleben unsere Verantwortung
Fluchtbewegungen entstehen nicht einfach so. Sie haben ihre Ursache in Defiziten. Ein Defizit an Ruhe, Frieden, Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit. Ein Defizit, an all den Umständen, die sich jeder Mensch für sein Leben wünscht und die wir irrig als Selbstverständlichkeiten empfinden. Ein Defizit, das in Tunesien, Marokko und Algerien ganz offensichtlich zu Tage tritt.
Mit dem Etikett der „sicheren Herkunftsländer“ soll es nun überklebt werden. Mit dem gleichen Etikett überkleben wir breitflächig auch unsere sichtbare Mitverantwortung im Entstehen solcher Defizite. Das Bewusstsein, die Beseitigung solch bestehender Defizite nicht gezielt gefördert zu haben. Unsere Angst davor, dass Rechtspopulisten weiterhin Menschen gegeneinander aufhetzen könnten; einfach überklebt und umetikettiert.
Die Sozialdemokratie muss Lösungen entwerfen
Auch wenn die Ängste nachvollziehbar sind, erweisen wir der Sozialdemokratie einen Bärendienst, wen wir dem Takt der Rechtspopulisten mittelbar Folge leisten. Hetzen werden sie ohnehin. Das ist Ihr Handwerk. Das Handwerk der Sozialdemokratie war und ist es jedoch tragbare Lösungen zu entwerfen.
Fordern und Fördern, das Mantra aktueller Denk- und Gesetzesansätze, darf nicht allein im innenpolitischen Rahmen gelten. Flüchtlingspolitik ohne die richtigen außen- und entwicklungspolitischen Ansätze zu denken, ist wie der Versuch, einen Chinaböller mit verlängerter, brennender Zündschnur so weit wie möglich entfernt zu platzieren. Nun in den Maghrebstaaten. Die eigentlichen Ursachen des Problems werden nicht angegangen. Der Knall kommt aber garantiert irgendwann.
Flüchtlinge verschwinden nicht einfach
Ja, der Staat muss Migration steuern. Und ja, die Einstufung der Westbalkanländer als „sichere Herkunftsländer“ und das Abkommen mit der Türkei haben die Fluchtbewegungen reduziert. Die Einstufung der Maghrebstaaten würde kurzfristig Druck aus dem Kessel nehmen. Die Gleichung geht aber nicht auf, da die Flüchtlinge nicht einfach verschwinden.
Ebenso wenig die Fluchtursachen oder die Verelendung ganzer Regionen. Auch verschwinden staatliche Willkür und Repression nicht einfach so. Die verstetigte Verrohung auf dem Balkan und die vom Auslandsjournalisten Hasnain Kazim zutreffend festgestellte „staatlich organisierte Obdachlosigkeit“ in der Türkei sind Beleg genug dafür.
Woher der Druck im Kessel kommt
Der Druck ist nicht erst mit den Fluchtbewegungen der vergangenen Monate entstanden. Er ist Konsequenz einer, beim blinden Ritt zur schwarzen Null, auf ein Minimum reduzierten Verwaltung. Einer Migration ablehnenden Grundhaltung und der jahrelang unbeirrt vorangehenden Abschottung europäischer Staaten. In zahlreichen nationalen Einzelgängen stellen diese den Zusammenhalt Europas auf eine gefährliche Probe.
Das Ergebnis dieser Druckkulisse in Deutschland sind tausende offene Asylverfahren. Die ausgesprochene Zielvorgabe der „vereinfachten Rückführungen“ in den Maghreb wird dies auch nicht schlagartig ändern können. Der so einfach ausgesprochene Satz trifft auf eine Realität sich rasant wandelnder Verhältnisse. Er trifft auf eine Komplexität, die vereinfachte Analysen gerade ausschließt. Einfache Antworten im Kontext der Fluchtbewegungen verbieten sich daher genauso, wie reflexartige staatliche Reaktionen. Letztgenannte wären ohnehin eher Manier der CSU.
Das Elend vor den Toren Europas geht weiter
Die Gesetzesinitiative als Ergebnis einer vermeintlich durchdachten Analyse jedoch, schafft auch nicht viel mehr. Weder verortet Sie das Problem richtig, noch ist sie in der Lage perspektivisch einen Kollaps des so geschaffenen Zustands in der Zukunft zu vermeiden. Das Elend vor den Toren Europas geht unvermindert weiter. Dies in einer Zeit, in der europäische Staaten unter verstärktem Druck stehen. Der steigende Druck nationalistischer und nationalkonservativer Bewegungen und Parteien wird nicht weniger. Aus Verzweiflung und Angst vor diesen Rechtspopulisten kann und darf sich Politik jedoch nicht entwickeln. Schon gar nicht sozialdemokratische Politik! Und schon gar nicht in dieser Form!
In einer globalisierten Welt bleibt kein falsches staatliches Handeln ohne Folgen. Nur die Verzögerungen lassen sich nicht mehr kalkulieren. Der Zeitpunkt, des Frieden und Sicherheit zerberstenden Aufschlags hat sich womöglich erheblich verkürzt. Setzen wir als „Getriebene“ jetzt weiterhin auf Abschottung, gefährden wir für die Zukunft unseren Zusammenhalt, wenn sich der Druck der Fluchtbewegungen erneut und in viel höherem Ausmaß Bahn bricht.
Es bedarf keiner prophetischen Fähigkeiten, um das Ausmaß der dann folgenden europäischen Zerrüttung vorherzusehen. Ohne Zusammenhalt und die Rückbesinnung auf fundamentale europäische Werte, wird es langfristig weder Sicherheit noch Frieden geben. Unsere einstige Wertegemeinschaft wäre dem ungebremsten Verfall preisgegeben.
Mehr zum Thema:
Lesen Sie hier, warum schnellere Asyl-Verfahren für die Maghreb-Staaten notwendig sind.
Lesen Sie hier, warum die Maghreb-Staaten keine sicheren Herkunftsländer sind.
Jahrgang 1981, ist stellvertretender Bundesvorsitzender der AG Migration und Vielfalt in der SPD. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Migration und Flucht. Er twittert unter @TunaFirat.