Flüchtlingspolitik: Warum Pragmatismus allein nicht reicht
Sie kamen aus allen Ecken Deutschlands und sie kamen mit ihren Anliegen: Bei der ersten Kommunalkonferenz der SPD-Bundestagsfraktion zum Thema Flüchtlingspolitik ging es darum, wie die Kommunen mit den aktuellen Herausforderungen umgehen – und wie der Bund sie dabei unterstützen kann. Oder eher: muss.
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann lobte die Willkommenskultur in Deutschland, warnte jedoch auch: „Wir stoßen nicht an die Grenzen unseres Willens, aber an die Grenzen unserer faktischen Möglichkeiten.“ Flüchtlingspolitik sei zuerst eine nationale Aufgabe, keine kommunale. Deswegen müssten die Kommunen entlastet werden – denn es sei abzusehen, dass Deutschland auch in Zukunft mehr Flüchtlinge aufnehmen werde als andere europäische Länder. Oppermann plädierte für eine schnelle Integration der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge: „Wir dürfen die Fehler, die wir bei den Gastarbeitern in den 60er und 70er Jahren gemacht haben, nicht wiederholen.“
Atempause für Deutschland
Auch Parteichef Sigmar Gabriel betonte, das Problem sei Deutschlands fehlende nachhaltige Flüchtlingsinfrastruktur. Die drei Milliarden Euro Hilfen, die den Kommunen von der Bundesregierung jüngst zugesagt wurden, reichten nicht – die Höhe der Hilfen müsse sich danach richten, wie der Bedarf steigt. Die Wiedereinführung der Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze bezeichnete Gabriel als „schwierige Entscheidung“, sie sei aber eine, die Deutschland zumindest kurzfristig eine Atempause verschaffe.
Eine solche haben vor allem die Kommunen und Städte dringend nötig. Frank Baranowski, Oberbürgermeister in der Ruhrgebietsstadt Gelsenkirchen, war mit einer ordentlichen Portion Wut nach Berlin gereist. Nordrhein-Westfalen muss in den kommenden Tagen insgesamt 7500 Flüchtlinge aufnehmen und so wie Gelsenkirchen geht es vielen Städten in NRW: Sie sind am Limit. Es gibt zu wenig Unterbringungskapazitäten, zu wenig Geld und zu wenig Mitarbeiter. „Wir haben das Ding bisher gewuppt“, sagte Baranowski, „aber ihr dürft uns jetzt nicht im Regen stehen lassen.“
Fast täglich müssen Flüchtlinge kurzfristig untergebracht werden, in Gelsenkirchen werden nun u.a. Turnhallen und andere Freizeiteinrichtungen belegt. Die Stimmung in der Stadt sei noch gut, betonte Baranowski – aber sie könnte bald kippen: „Viele Leute kriegen plötzlich mit, wie Flüchtlinge in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft untergebracht werden. Die sagen: Die kommen uns zu nahe.“ Von der Bundespolitik, das wurde deutlich, erwartet Baranowski nun konkrete Hilfen.
Unterschiedliche Herausforderungen
Ähnlich sahen das seine Kollegen und Kolleginnen aus anderen Städten. Natürlich ist die Situation deutschlandweit nicht überall gleich: In Frankfurt am Main sind vor allem unbegleitete minderjährige Flüchtlinge eine Herausforderung, in Dortmund die hohen Zuwandererzahlen aus Rumänien und Bulgarien. Im Laufe der Diskussion zeigte sich trotzdem: Einige Probleme haben alle gemeinsam. Da ist das komplizierte und sperrige deutsche Baurecht, welches verhindert, dass schnell Flüchtlingsunterkünfte gebaut werden können. Da sind die Mitarbeiter und Ehrenamtlichen, die mit ihren Kräften schlicht und einfach am Ende sind.
Da ist die Tatsache, dass einerseits mehr Geld für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt werden muss, andererseits diese Ausgaben in den kommenden Jahren an anderer Stelle aber wieder eingespart werden sollen. Da sind die Menschen, die von der Flüchtlingskrise profitieren: Die Preise für Zelte und Container steigen. Das Geschäft mit dem Elend, es funktioniert. Und da ist die zunehmende Illegalität: Ein Politiker berichtete davon, einige Unternehmen würden bereits Flüchtlinge zum Dumpingpreis beschäftigen.
Man tut, was getan werden muss
München hat all diese Probleme und noch viele mehr. Die Münchener Sozialreferentin Brigitte Meier sprach auf der Konferenz als Letzte und es fiel ihr sichtlich schwer, die Ruhe zu bewahren. Sie berichtete von 55 000 Menschen, die in Zügen und Bussen am Münchener Hauptbahnhof angekommen sein. Sie berichtete von tausend Isomatten und Decken, die zur Olympiahalle transportiert wurden, wo Flüchtlinge kurzfristig untergebracht werden sollten – weil Personal fehlte, fiel die Halle als Unterbringung dann aus.
Zustände, die Politiker und Politikerinnen aus anderen Regionen Deutschlands sich kaum vorstellen können – und die wohl auch froh sind, dass es bei ihnen anders aussieht. Aber Brigitte Meier nahm auch sie in die Verantwortung: Der Rest Deutschlands lasse Bayern allein, außer Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen wende kein Bundesland den „Königsteiner Schlüssel“ zur Aufteilung der Flüchtlinge an. Es brauche deutschlandweit mehrere Drehkreuze. „Langfristig kann die Sicherheit in Bayern nicht mehr garantiert werden“, sagte Meier.
Es war ein wütender, aufgebrachter und verzweifelter Apell am Ende einer Konferenz, die reich an beunruhigenden Berichten aus der kommunalen Flüchtlingspolitik war. Dabei zeigten die Kommunalpolitiker und -politikerinnen durchweg eine pragmatische Haltung: Man tut, was getan werden muss. Aber allein mit Pragmatismus lassen sich die aktuellen Herausforderungen nicht bewältigen.
Flüchtlingspolitik als staatliche Aufgabe
Laut Oppermann und Gabriel wird es bald eine weitere Regionalkonferenz zur Flüchtlingspolitik geben. Sie ist dringend nötig: Die an alle Konferenzteilnehmer ausgeteilte sogenannte Berliner Erklärung sozialdemokratischer Kommunalpolitiker und Kommunalpolitikerinnen zur Flüchtlingspolitik in Deutschland stieß bei einigen auf Kritik. Zu unkonkret, kaum eine Erwähnung der ehrenamtlichen Helfer und sachliche Fehler – hier muss noch nachgebessert werden.
Trotzdem ist das Signal klar: Die flüchtlingspolitischen Herausforderungen werden in Zukunft noch zunehmen. Um sie zu bewältigen, muss Flüchtlingspolitik als staatliche Aufgabe verstanden werden und nicht nur als etwas, das auf die Kommunen abgewälzt wird.
Die „Berliner Erklärung“ im Wortlaut
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