Inland

Flüchtlingshelfer: Wer sie sind, was sie antreibt

Ob München, Dortmund oder Rostock: Überall im Land engagieren sich Freiwillige für Flüchtlinge, springen dort ein, wo der Staat versagt. Eine Studie widmet sich den Engagierten und schließt mit einer pessimistischen Prognose für die kommenden Monate.
von Robert Kiesel · 14. Oktober 2015
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Der durchschnittliche Flüchtlingshelfer ist weiblich, mittleren Alters, gut gebildet und hat eine gute berufliche Position. Er oder sie ist über das freiwillige Engagement hinaus sehr aktiv, kulturell und insbesondere politisch interessiert und steht staatlichen Aktivitäten eher skeptisch gegenüber.

Viele Freiwillige sind prekär beschäftigt

Grob zusammengefasst sind das die Ergebnisse, die Soziologe Gerd Mutz und das Forschungsteam der Hochschule München sowie des Munich Institutes of Social Science zutage gefördert haben. Von April bis Juni haben sie Engagierte im Feld der Flüchtlingshilfe befragt. Herausgekommen ist ein differenziertes Bild einer in der Öffentlichkeit nur selten wahrgenommenen Gruppe.

„Überrascht hat mich der Anteil der Engagierten mit Hochschulzugang, das unterscheidet sich von den üblichen Engagementfeldern“, erklärt Mutz im Gespräch mit vorwärts.de. Etwa die Hälfte der freiwilligen Helfer verfüge über das Abitur oder einen Hochschulabschluss, ein hoher Wert im Vergleich zu Engagierten beispielsweise im Bereich Sport. Mutz ergänzt: „Der hohe Bildungsgrad lässt aber nicht zwangsläufig auf die soziale Lage schließen. Viele der Engagierten zählen zu den prekär Beschäftigten“, so der Studienleiter.

Persönlicher Einsatz als Reaktion auf „Staatsversagen“

Geeint wird die große Gruppe der Helfer durch ihre Motivationen und Ziele. Viele handeln aus „einem gesellschaftsbezogenen humanistischen Verständnis heraus“, wollen „gesellschaftliche Defizite ausgleichen und den Flüchtlingen den Weg in die deutsche Gesellschaft erleichtern“, so der Abschlussbericht. Fast alle eint die Enttäuschung über die teilweise als „Staatsversagen“ wahrgenommenen Fehlleistungen öffentlicher Behörden, also der Wille, staatliche Defizite auszugleichen.

„Eine entscheidende Rolle spielt aber auch, dass das soziale Umfeld der Freiwilligen ihr Engagement hoch anerkennt“, erklärt Mutz. Hilfe für Flüchtlinge gehöre fast schon „zum guten Ton“. Freiwillige könnten sich sicher sein, für ihr Engagement positive Rückmeldungen zu bekommen. In der Zusammenfassung der Studienergebnisse ist dabei von „selbstbezogenen Motiven“ und dem Streben nach dem Gefühl des „Gebrauchtwerdens“ die Rede.

Frust und Verzweiflung lassen Motivation schwinden

Sicher ist sich Mutz darin, dass die zwischendurch zu einer Art „Happening“ avancierte Flüchtlingshilfe wieder abnehmen wird. „Viele werden wegbrechen, andere in Felder gehen, die gerade in der kalten Jahreszeit gemütlicher sind.“ Der Besuch in Flüchtlingsunterkünften, die Vorlese-Stunde oder der Deutsch-Kurs könnten Angebote sein, welche die Akuthilfe auf offener Straße oder bei der Ankunft neuer Flüchtlinge ersetzen.

Die Gründe dafür lesen sich wie eine Aufforderung zum Handeln an Politik und Verwaltung: „Die Leute sind wütend, der Frust ist groß, viele sind verzweifelt“, erklärt Mutz. Angesichts der chaotischen Lage hätten viele Helfer das Gefühl, der Staat unternehme zu wenig, sitze die Lage aus. „Nicht wenige fühlen sich ausgenutzt und instrumentalisiert“, so der Abschlussbericht.

Für die vielen tausend hilfebedürftigen Flüchtlinge in Deutschland ist das ganz sicher keine gute Nachricht.

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Autor*in
Robert Kiesel

war bis März 2018 Redakteur des vorwärts.

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