Inland

Flüchtlinge, ja bitte!

von Susanne Dohrn · 4. September 2014
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220 Asylbewerber im Hamburger Nobelviertel Harvestehude? Bevor sich Widerstand so richtig formieren konnte, gründete Hendrikje Blandow-Schlegel eine Unterstützerinitiative. Das Beispiel könnte Schule machen.

Wenn Hendrikje Blandow-Schlegel von etwas überzeugt ist, handelt sie. "Mir war sofort klar: Da sind Menschen, die alles verloren haben, die Hilfe brauchen." Im Februar 2014 gründete sie den "Verein Flüchtlingshilfe Harvestehude e.V." Das Wort "Verein" ist ihr wichtig. "Verein bedeutet, dass die Mitglieder – inzwischen sind es 62 – bereit sind, eine längerfristige Verpflichtung einzugehen", erklärt die 52-jährige Hamburger Rechtsanwältin und Sozialdemokratin. "Hier ist nachhaltiges Engagement gefragt, das über Jahre gehen wird." 

Die Zahlen geben ihr Recht. Im ersten Halbjahr 2014 wurden in Deutschland fast 60 Prozent mehr Asylanträge gestellt als im gleichen Zeitraum 2013. Kommunen suchen händeringend Unterkünfte, mieten Wohnungen an, stellen Container auf. 220 Hamburger Asylbewerber sollen deshalb im kommenden Jahr in eine ehemalige Bundeswehrliegenschaft im Nobelviertel Harvestehude unweit der Außenalster einziehen, was bundesweit für Schlagzeilen sorgte. 

Traumatherapeuten und Judo

"Wo, wenn nicht hier", wendet Blandow-Schlegel ein und meint damit einen Stadtteil, in dem Bildung und Wissen, internationale Erfahrung und Sprachkenntnisse, Beziehungen und Organisationstalent im Überfluss vorhanden sind, ganz abgesehen von den praktischen Dingen des täglichen Lebens wie Kleidung, Spielzeug, Fahrräder, die jemand, der alles verloren hat, für sich und seine Familie gut brauchen kann. Unter den Flüchtlingen werden mehr als 40 Prozent Kinder erwartet.

Inzwischen stapeln sich auf ihrem Dachboden Kartons mit Kinderspielzeug, prüfen alle Aktiven, Freunde und Bekannte nicht benötigte Fahrräder auf ihre Tauglichkeit, werden Netzwerke für die zukünftige Betreuung der Asylbewerber organisiert. Wer kann beim Übersetzen helfen, bei Behördengängen, Ausflüge in die Umgebung organisieren, den Weg zu preiswerten Supermärkten, zur Schule und zum Kindergarten zeigen? Wer ist bereit, mit den Kindern Deutsch zu üben, damit sie in der Schule besser mitkommen?

Drei Traumatherapeuten haben ihre Hilfe zugesagt, denn viele Flüchtlinge haben vor und während ihrer Flucht Entsetzliches erlebt. Vodafone will in der Unterkunft ein drahtloses Netzwerk sponsern, ein Judo-Verein aus Barmbek stiftet Matten und Kurse. "Mit jedem Artikel, der in einer Zeitung erscheint, finden sich weitere Unterstützer und Sponsoren", erzählt Blandow-Schlegel, die auch stellvertretende SPD-Distriktsvorsitzende im Stadtteil Harvestehude/Rotherbaum ist. Inzwischen gibt es 90 Unterstützer und Unterstützerinnen, die in die Vereinsaktivitäten eingebunden werden.

Mit »Willy wählen« fing es an

Der Verein "Flüchtlingshilfe Harvestehude" ist nicht die erste Initiative, die Hendrikje Blandow-Schlegel ergriff. Als nach dem Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens hunderttausende Asylbewerber nach Deutschland kamen, als Ausländer angegriffen wurden und Flüchtlingsunterkünfte brannten, kochte auch in Hamburg die Volksseele, weil Flüchtlinge im Stadtteil Eppendorf untergebracht werden sollten. "Viele Eppendorfer hielten Flüchtlinge für Kriminelle und wollten sie nicht in ihrem Stadtteil haben", erinnert sie sich und hielt dagegen. Mit den Kirchengemeinden, dem Bürgerverein und dem Kulturverein gründete sie damals als Studentin die "Initiative Containerdorf Loogestraße", die sie mehr als drei Jahre begleitet hat. Auf die Erfahrungen und die Kontakte von damals kann der Verein heute zurückgreifen. 

Das Eintreten für andere, zur eigenen Meinung stehen und sie auch bei Gegenwind vertreten – Hendrikje Blandow-Schlegel hat das früh gelernt. "Ich war die Kleinste von vier Kindern. Ich musste mich immer durchsetzen. Sonst wäre ich untergegangen." Ihre Eltern, selbst Flüchtlinge aus Breslau, galten im Nachkriegsstuttgart als "Neigschmeckte" (Zugezogene), wie es abfällig hieß. Der Vater war Künstler, "was gleichbedeutend war mit wenig Geld", so Blandow-Schlegel. Christlicher Glaube, Weltoffenheit und sozialdemokratische Überzeugungen prägten ihre Kindheit. Schon im 9. Lebensjahr habe sie mit Ihren Eltern Willy-wählen-Postkarten in die Briefkästen geworfen.

Das Engagement für die Asylbewerber ist für Blandow-Schlegel, die in zweiter Ehe mit einem Unternehmer verheiratet ist, Bürgerpflicht. "Ich halte es für einen Ausdruck der Verantwortung den Menschen gegenüber, die in Not sind, aber auch der Stadt gegenüber, Hilfe zu leisten", sagt Blandow-Schlegel und fügt mit Nachdruck hinzu: "Eigentum verpflichtet."

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Susanne Dohrn

ist freie Autorin und ehemalige Chefredakteurin des vorwärts.

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