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Flüchtlinge in Erlangen: Aus dem Hörsaal in ein besseres Leben

Im Sommer hat die Universität in Erlangen ein Projekt gestartet, das Flüchtlinge, deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist, auf ein Studium vorbereiten soll. Sie bekommen damit die Chance auf eine Zukunftsperspektive in Deutschland – und auf ein besseres Leben.
von Michael Kniess · 29. September 2015
Flüchtlinge an der Uni Erlangen
Flüchtlinge an der Uni Erlangen

Wenn Mitte Oktober die Vorlesungszeit beginnt, werden einige Gasthörer mehr als sonst in den Hörsälen der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) anzutreffen sein. Vor wenigen Wochen hat die Universität ein Projekt initiiert, das Asylbewerber und Flüchtlinge auf ein Studium vorbereiten und ihnen damit eine Zukunftsperspektive geben soll. „Wir wollen all jenen, die ihre Heimatländer verlassen mussten, den Zugang zur Bildung erleichtern – und das ohne große bürokratischen Hürden“, sagt Professor Günter Leugering, Vizepräsident für Internationale Angelegenheiten an der FAU.

Das Projekt umfasst Sprachkurse, eine intensive Studienberatung – aber auch eine Reihe von Vorlesungen in zulassungsfreien Fächern der Ingenieur- und Naturwissenschaften sowie Geistes- und Sozialwissenschaften. „Von der Resonanz der Asylbewerber bin ich selbst überwältigt“, sagt Brigitte Perlick, die das Projekt koordiniert. „Ich habe mit vielleicht 35 Interessenten gerechnet, nun sind es bereits rund 280 junge Menschen, die am Projekt teilnehmen.“

Nach der Deutschprüfung ins Regelstudium

Durch den enormen Zulauf ist dieses bereits an seine Kapazitätsgrenzen gestoßen. Die 13 Sprachkurse im Wintersemester in Nürnberg und Erlangen sind längst ausgebucht. Die jungen Asylbewerber lernen darin das, was wichtig ist, um in Deutschland Fuß fassen zu können. „Wir bieten die Sprachkurse extra in den Abendstunden an, damit die Projektteilnehmer tagsüber andere Integrations- und Sprachkurse besuchen können“, sagt Brigitte Perlick. „Denn eine Sprachschule kann die Universität natürlich nicht sein.“

Vielmehr sollen die jungen Menschen aus allen Teilen der Welt ein Sprachniveau erlangen, das ihnen ermöglicht, zügig an den von der Universität für alle ausländischen Studierenden angebotenen studienvorbereitenden Deutschkursen teilnehmen zu können. Das Ziel: Nach bestandener Deutschprüfung ein Regelstudium aufnehmen und damit auch ein Studentenvisum beantragen zu können.

Andere Studenten stehen den Flüchtlingen zur Seite

Bei der Frage, welche Studienfächer für sie in Frage kommen, benötigen die meisten Neu-Studierenden dagegen keine Unterstützung. Es sind vor allem die „MINT“-Fächer  Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, die von größtem Interesse sind. „Die jungen Leute interessieren sich tatsächlich zum überwiegenden Teil für solche Studienfächer, die gute berufliche Perspektiven bieten“, sagt Brigitte Perlick.

Zu wissen, wie an hiesigen Universitäten gelehrt und gelernt wird, wie man sich nicht zwischen ECTS-Punkten und dem umfangreichen Vorlesungs- und Kursangebot verliert – auch dafür sind die Schnuppervorlesungen gedacht. Außerdem haben sich Studierende der Universität bereit erklärt, den Flüchtlingen als Tandempartner beim Start an der Universität zur Seite zu stehen, ihnen bei der Sprache zu helfen und sie durch die erste Zeit in der für sie fremden Kultur zu begleiten.

Im Universitätsbetrieb sollen diejenigen, die in ihrem jungen Leben bereits unermesslich viel Leid haben erfahren müssen, ein Stück Normalität finden. „Der Grad der Ausbildung, das jeweilige Wissen und die Englischkenntnisse überraschen mich jeden Tag aufs Neue“, sagt Brigitte Perlick. Kaum einer der Studienbewerber habe abgelehnt werden müssen. Die Voraussetzung, ein bestandenes Abitur oder ein bereits begonnenes Studium, können die meisten Flüchtlinge mit Zeugnissen aus ihren Heimatländern nachweisen.

Keine Busverbindung, kein Deutschkurs

Probleme gibt es eher an anderen Stellen. Wo soll ich meine Kinder während der Sprachkurse oder Vorlesungen unterbringen? Wie soll ich überhaupt zur Universität kommen? Das sind die Fragen, die sich die Asylbewerber im Hörsaal immer wieder stellen. Auch Nazar Shenwari aus dem Norden von Afghanistan kennt diese nur zu gut. Sein Englisch ist fabelhaft.

In seiner Heimat hat er bereits ein Jahr Informatik an einer privaten Hochschule studiert. Sein Studium würde er nach seiner rund zweimonatigen Flucht vor den Taliban durch Europa nun gerne in Erlangen fortsetzen. Doch mit Bus oder Bahn nach 18 Uhr in seine Gemeinschaftsunterkunft in der Nähe von Bamberg zu gelangen, ist unmöglich. Die fehlende Verbindung steht seiner Teilnahme an einem Deutschkurs im Weg. Mehr als die Hoffnung, dass er schnell als Flüchtling anerkannt wird und das Fahrtproblem irgendwie selbst lösen kann, bleibt dem jungen Mann in diesen Tagen nicht.

Engagiert bis über die eigene Belastbarkeit hinaus

Noch kann Brigitte Perlick nicht all jene Probleme lösen. Ihr Budget von knapp 100 000 Euro, das vom Förderverein zur Internationalisierung der Universität Erlangen-Nürnberg getragen wird, reicht gerade aus, um das bisherige Angebot bis zum Ende des Wintersemesters aufrechterhalten zu können. Doch die Universitätsleitung denkt bereits darüber nach, das Projekt als festes Angebot für Flüchtlinge zu etablieren. Auch andere Universitäten sind bereits auf das Projekt aufmerksam geworden.

„Diesen Gedanken müssen nun Taten folgen“, sagt Brigitte Perlick. Schließlich könnten sich auch die Universitäten selbst glücklich schätzen, motivierte und gut ausgebildete Studierende für sich gewinnen zu können. „Ich bin überzeugt, dass die jungen Menschen diesen Einsatz unserem Land mehr als einmal zurückgeben werden“, sagt Perlick. Dass sie seit Monaten auch an den Grenzen der eigenen Belastbarkeit ist, nimmt sie dafür gerne in Kauf. „Die Euphorie in ihren Augen und ihr unbändiger Wille stecken einfach an.“

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Michael Kniess

ist freier Journalist und Autor.
www.michaelkniess.de

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