Flüchtlinge bei der „Tafel“: Integration an der Brottheke
Tim Riediger / nordpool
Aslan kommt spät. Seit einer halben Stunde hat die Flensburger Tafel geöffnet. Sonst war er immer schon vormittags da, sortierte angelieferte Lebensmittel, schleppte Kisten aus dem Lager nach vorn in die Essensausgabe, gab Essen aus. Seit er bis 12 Uhr einen Deutschkurs besucht, schafft er es nur noch zweimal die Woche ab 12:30 Uhr in die Waldstraße zu seinem Integrationspraktikum, aber diese beiden Tage sind ihm wichtig.
„Ich mag helfen. Alle Menschen, Deutsche Menschen, Ausländer“, sagt der 19-jährige. Bei der Tafel hat er angefangen Deutsch zu lernen. Wörter wie „Kartoffeln“ und „Kohlrabi“, „Wurst“ und „Marmelade“, „Multivitaminsaft“ und „Pflaumen“. Das habe ihm Klaus beigebracht. Gemeint ist Klaus Grebbin (60). Seit 2013 leitet er die Tafel der Johanniter und sorgt dafür, dass alles „ruhig und sinnig abläuft“, auch wenn der Andrang mit der steigenden Zahl der Asylbewerber zunimmt. „Bei uns kriegt jeder was, wenn er bedürftig ist, egal wie er aussieht“, sagt Grebbin.
Mit Freundlichkeit und klaren Regeln
Im Vorraum der Essensausgabe ist es voll, draußen stehen noch mehr Menschen, aber es herrscht kein Gedränge. Etwa ein Viertel der Wartenden sind Asylbewerber, erklärt Klaus Grebbin. Streit und Stress gibt es trotzdem nicht, aus mehreren Gründen. Einen nennt Klaus Grebbin schon während der Fahrt in die Waldstraße: „Klaus hat ein großes Herz und einen Eisenbesen.“ Das große Herz spürt ein taubstummer Asylbewerber, als Grebbin sich neben ihn hockt und mit Händen und Füße erklärt, wann er dran ist. Das große Herz spürte der ungeduldige kleine Junge, für den er ein Stofftier hervorzaubert.
Den Eisenbesen holt er heraus, wenn Ärger droht. Zum Beispiel als eine Kundin der Tafel sich über „Ölaugen“ – sprich Asylbewerber – beschwerte, die bei der Tafel Ware erhalten. „Solche Sprüche will ich hier nicht haben“, sagt Grebbin dann. Wer sich nicht daran hält, wird für vier Wochen gesperrt. Wer danach noch einmal auffällig wird, erhält Hausverbot. So wie ein Mann, der sich ungerecht behandelt fühlte, des Hauses verwiesen wurde und mit Verstärkung zurückkehrte, um sein Recht einzufordern. Grebbin holte die Polizei, die Tafel wurde für den Tag komplett geschlossen. „Seitdem klappt es hervorragend“, sagt Grebbin.
60-Stunden-Woche statt Ruhestand
Dass alles so ruhig und friedlich abläuft, liegt auch an der hervorragenden Organisation. Grebbin, der in seinem vorherigen Leben in der Logistik gearbeitet hat, kennt sich mit so etwas aus. Als er ihm Februar 2013 die Leitung der Tafel angetragen wurde, hatte er sich eigentlich schon in den Ruhestand verabschiedet. Ihm war auch nicht klar, was für einen Job er damit übernommen hatte. 50 bis 60 Stunden hat seine Woche, Urlaub gab es schon lange nicht mehr, erzählt er und klingt dabei nicht unzufrieden. Seine Frau sehe er wieder häufiger, seit sie in Kleiderkammer der Johanniter helfe, sagt er und lacht.
Bei der Tafel ist Grebbin in seinem Element, organisieren sein Geschäft: Wer ist da, wer übernimmt welchen Job an welcher Ausgabe, wer organisiert den Nachschub, wer sitzt an der Kasse? Das System ist ausgeklügelt. Jeder Berechtigte erhält eine Karte mit einer Kundennummer und der Zahl der Familienmitglieder. Einkaufen darf jeder einmal die Woche, entweder mittwochs oder freitags. Der Computer weiß, wer schon da war, wer noch nicht und wer an welchem Tag einkaufen darf.
Der Computer sortiert auch die Kundennummern so, dass jeder regelmäßig zu Anfang an der Reihe ist und auch mal später, wenn das Angebot möglicherweise schon etwas ausgedünnt ist. Jeder Einkauf kostet zwei Euro pro Familie. „Dafür erhalten sie Waren im Wert von 50 bis 60 Euro“, so Grebbin. Das Fleisch ist sortiert, koscher für Juden und halal für Moslems. Aber nicht jedem sei das wichtig, sagt Grebbin.
Ein Syrer wird zum Flensburger Jung
Rund 60 Mitarbeiter hat sein Team, einige Ein-Euro-Kräfte sind dabei, die Mehrheit jedoch arbeitet ehrenamtlich, darunter sind noch drei weitere Asylbewerber einer aus Syrien, einer aus Armenien und einer aus dem Libanon, außerdem zwei Polen und eine Iranerin, die schon länger in Kiel lebt. Jeden Tag fahren die beiden Kühlfahrzeuge der Tafel 22 bis 23 Supermärkte in Flensburg und im Umkreis von 40 Kilometern an. Für die Waren gibt es Kühlräume und ein Tiefkühlhaus. Dreimal die Woche, dienstags, donnerstags und samstags, bereitet Clemens Clementsen, der Koch der Tafel und Ein-Euro-Kraft, einen Mittagstisch zu. Eine Portion kostet einen Euro. Die Haare kann man sich regelmäßig schneiden lassen und Tierfutter gibt es einmal im Monat in Kooperation mit einem Schnäppchenmarkt.
Aslan ist heute für die Brotausgabe zuständig, dazu für Saft und Nudeln. Er arbeitet konzentriert und schnell. Holt Nachschub. Übersetzt. Warnt „das ist Vollkorn“, für alle die, die so etwas vielleicht nicht mögen. „Aslan, geht’s gut?“, fragt eine Kundin. „Gut, und dir?“, fragt der junge Syrer zurück. Seit sieben Monaten ist er in Flensburg, seit vier Monaten hilft er bei der Flensburger Tafel und klingt schon fast wie ein Flensburger Jung.