Flisek: „Snowden bleibt ein interessanter Gesprächspartner“
Im NSA-Untersuchungsausschuss haben Sie gestern BND-Präsident Gerhard Schindler befragt. Gibt es neue Erkenntnisse?
Die Befragung hat zwei wesentliche Punkte ergeben. Im BND gab es über Jahre hinweg ein massives Problem bei der Prüfung der Selektoren, also der Suchbegriffe, die die amerikanischen Geheimdienste dem BND zur Verfügung stellen und mit denen der BND über die Station in Bad Aibling die Kommunikation in Krisengebieten wie Afghanistan ausspioniert. Der BND ist eigentlich dazu verpflichtet, nur solche Suchbegriffe einzusetzen, die mit deutschem Recht konform sind und die nicht deutschen Interessen widersprechen. Das ist aber nach allen Informationen, die wir haben, nicht gelungen. Bei der Selektorenprüfung sind dem BND zahlreiche Fehler unterlaufen. Bis heute haben wir keine Gewissheit, dass dieser Zustand beendet wurde. Die zweite Erkenntnis ist, dass es innerhalb des BNDs keine Fehlerkultur gibt. Das hat in diesem Fall dazu geführt, dass offenkundige Missstände nicht gemeldet wurden. Es gab stattdessen Strukturen, die dazu geführt haben, dass sie über Jahre unter den Teppich einer Unterabteilung gekehrt werden konnten. Das hinterlässt einen fatalen Eindruck.
Ist der BND-Präsident denn aus Ihrer Sicht bereit zur Aufklärung?
Ja. Die Bereitschaft ist da, Fehler in seiner Behörde zu benennen. Gerhard Schindler hat in der Befragung am Donnerstag auch klar Sollbruchstellen benannt, die es aus seiner Sicht gibt. Allerdings muss ich auch sagen, dass die Bereitschaft aufzuklären nur deshalb vorhanden ist, weil Bundestag und zum Teil auch Öffentlichkeit über Monate Druck aufgebaut haben. Sonst wäre wahrscheinlich nichts passiert.
Der Untersuchungsausschuss fordert seit Bekanntwerden, Einblick in die Selektorenlisten nehmen zu können. Wie ist der aktuelle Stand?
Es ist unabdingbar, dass wir als Ausschuss Kenntnis vom Inhalt der Selektorenlisten erlangen. Nur so können wir uns einen Eindruck vom Ausmaß der Affäre machen. Es geht dabei vor allem um die massiven Vorwürfe wie die Frage, ob der BND der NSA geholfen hat, Wirtschaftsspionage gegen deutsche Interessen zu betreiben. Die Selektorenlisten sind Eigentum der Amerikaner. Es gibt eine Vereinbarung, dass das Kanzleramt solch ein Material nicht einfach herausgeben darf, ohne vorher mit den Amerikanern zu sprechen. Allerdings bedeutet das nicht, dass ein Nein der amerikanischen Seite bindend für die Bundesregierung wäre. Sie muss eine souveräne Entscheidung treffen, bei der sie zwischen dem Aufklärungsinteresse des Parlaments und dem Staatswohl – in diesem Fall einer guten Zusammenarbeit der Geheimdienste – abwägen muss. In diesem Prozess befinden wir uns zurzeit. Klar ist aber: Im US-Parlament würde es niemand akzeptieren, dass die amerikanische Regierung deutsche Dokumente nicht vorlegt, nur weil die deutsche Regierung das nicht möchte. Insofern bin ich zuversichtlich, dass wir zu einer gemeinsamen Lösung kommen werden.
Streit gibt es zwischen Opposition und Regierungsfraktionen über die Art der Listeneinsicht. Welches Verfahren bevorzugen Sie?
Mir wäre am liebsten, wenn wir das „Treptow-Verfahren“ anwenden. Dabei können die Obleute aller Fraktionen des NSA-Untersuchungsausschusses im Kanzleramt Einblick in die Selektorenlisten nehmen. Die Listen werden also nicht dem Parlament übergeben, sondern bleiben im Kanzleramt. Eine andere Möglichkeit wäre die Berufung eines Ermittlungsbeauftragten, der für das Parlament Einsicht in die Selektorenlisten nimmt und anschließend dem Ausschuss berichtet. Natürlich kommt für solch eine Position nur eine Person infrage, die das Vertrauen aller Fraktionen genießt. Egal, welches Verfahren zum Zug kommt: Wichtig ist, dass wir erfahren, wo die Schwerpunkte der Überwachung liegen und ob wir Wirtschaftsspionage ausschließen können. Sollte solch ein Ermittlungsbeauftragter zu dem Ergebnis kommen, dass das Ausmaß der Affäre noch viel größer ist als bisher angenommen, behält sich der Ausschuss natürlich vor, weiterreichende Schritte einzuleiten.
Wer könnte so ein Ermittlungsbeauftragter sein?
Ich fände wichtig, dass es sich dabei um keinen aktiven und auch keinen ehemaligen Parlamentarier handelt. Selbst bei einem ehemaligen Abgeordneten könnte der Vorwurf im Raum stehen, dass er immer noch gewissen Loyalitäten verpflichtet ist. Deshalb sollte es eine Person von außen sein, die im Zweifel über einschlägige Kompetenzen verfügt und bereits sicherheitsüberprüft ist, damit wir mit diesem Prozedere nicht zusätzlich Zeit verlieren.
Sehen Sie Anzeichen für eine Verschleppungstaktik des Kanzleramts?
Nein. Eine Hinhaltetaktik sehe ich nicht. Die Entscheidung, Einblick in die Selektorenlisten zu gewähren, ist keine leichte. Die genannten Interessen müssen gegeneinander abgewogen werden. Solch ein Konsultationsverfahren zwischen deutscher und amerikanischer Regierung dauert seine Zeit. Das ist ganz klar. Allerdings ist es auch kein Freibrief, den Einblick in die Selektorenlisten bis zum Sankt Nimmerleinstag hinauszuzögern. Das Bundeskanzleramt muss letztendlich die Entscheidung treffen. Aber das kann sie nicht hemdsärmlig machen.
Könnte eine Befragung von Edward Snowden nochmal aktuell werden?
Eine Befragung von Edward Snowden ist immer aktuell. Er hat 2013 die Initialzündung der gesamten Untersuchungen gegeben. Wir können zwar kaum erwarten, dass er bei einer Befragung durch den Untersuchungsausschuss neue Dokumente mitbringen würde. Aber Edward Snowden ist und bleibt ein interessanter Gesprächspartner, weil er einer der wenigen aktiven NSA-Mitarbeiter ist, die unmittelbar aus ihrem Arbeitsalltag berichten. Das mögliche Versagen der deutschen Dienste ist ja nur die eine Seite der Medaille. Am Ende werden wir Bilanz ziehen und dann müssen wir auch die Frage beantworten, was die Vereinigten Staaten in Europa machen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.