Um "Mythen und Fakten" zu trennen, trafen sich der stellvertretende Direktor des Zentrums für Migrationsforschung der Universität Warschau und die Geschäftsführerin des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration, Pawel Kaczmarczyk und Gunilla Fincke, in der Berliner Vertretung des grenznahen Landes Brandenburg, im Rahmen der Gesprächsreihe "Europa - ein unvollendetes Abenteuer".
Und siehe da: der Pole und die Deutsche waren sich in fast allem völlig einig. Sie ließen Fakten sprechen, und die liefern eindeutige Erkenntnisse. Die lassen sich in etwa so zusammenfassen:
Deutschland ist "seit Jahrhunderten" das Hauptziel polnischer Auswanderer gewesen - doch seit in Europa Arbeitnehmerfreizügigkeit herrscht, sind die angelsächsischen Länder das Sehnsuchtsziel Nummer Eins unternehmungslustiger, junger, gut ausgebildeter Polen. Oft arbeiten sie dort in Berufen unterhalb ihrer Qualifikation. Sie nehmen, was kommt. Das hilft den dortigen Volkswirtschaften.
Polen, die in Deutschland Arbeit suchen, haben sie hier auch vor dem 1. Mai schon gefunden. Sie kommen in der Mehrzahl vom Land und sind schlechter qualifiziert als die polnischen Englandfahrer.
Der kleine Grenzverkehr funktioniert - und zwar in beide Richtungen. Längst werden auch in Polen Fachkräfte oft verzweifelt gesucht. Deutsche Migranten machen sich das zunutze.
Die polnische Geburtenrate ist ähnlich niedrig wie die deutsche.
Ernsthaft auswanderungswillig ist nur eine winzige Minderheit der Polen.
Noch sind Löhne und Gehälter in Deutschland im Schnitt doppelt so hoch wie in Polen, Tendenz anpassend. Aber auch das Leben in Polen ist billiger. Und Geld ist potentiellen Emigranten nicht alles. Familienbindungen, Freundschaften, Heimatgefühle lassen sich in ökonomischen Statistiken schlecht erfassen.
Deutsche Hochschulen haben ihre einst starke Anziehungskraft auf die nachwachsende polnische Intelligenz verloren. Die USA und Großbritannien locken stärker.
Fazit: Die eigentlich seit 2004 geltende volle Freizügigkeit bis 2011 hinauszuschieben war ein Fehler. Die damalige Bundesregierung hat sich vor populistischen Angstmachern verbeugt. Der versuchte Grenzverschluss hat Migration nicht verhindert, aber Deutschlands Ansehen in Polen nachhaltig beschädigt - gerade unter jungen, gebildeten Polen. In ihren Augen hat Deutschland stark an Glanz verloren.
Dieser Fehler ist nicht wieder gutzumachen. Ähnliche Fehler in Zukunft zu vermeiden aber sollte möglich sein. Vorausgesetzt, Politiker zeigen Mut im Angesicht des Boulevards.