"Wie viel Staat und wie viel Privates in der Familienpolitik? Französische und deutsche Perspektiven". Unter diesem Motto veranstalteten die Friedrich-Ebert-Stiftung und die Fondation Jean
Jaurès anlässlich des Deutsch-Französischen Forums eine gemeinsame Podiumsdiskussion in Berlin.
Deutschland und Frankreich sind in Sachen Familienpolitik jahrzehntelang verschiedene Wege gegangen. In Frankreich engagiert sich der Staat wesentlich mehr für Familienpolitik: Es werden
mehr Betreuungsplätze für Kinder angeboten, z.B. gehen Kinder ab dem dritten Lebensjahr in die Vorschule. Das französische Steuersystem entlastet Familien mit Kindern deutlicher. Im europäischen
Vergleich schneidet Frankreich mit einer hohen Geburtenrate und einer hohen Quote von erwerbstätigen Frauen mit Kindern sehr gut ab.
In Deutschland ist die Diskussion um die Rolle des Staates bei der Gestaltung von familienfreundlicheren Bedingungen in der Gesellschaft erst in den letzten Jahren wieder in Gang gekommen.
Zu den wichtigsten Themen gehören nach wie vor der Ausbau von Betreuungsmöglichkeiten, frühkindliche Bildung, Elternzeit und Betreuungsgeld. Wichtig für die deutsche Familienpolitik ist, wie viel
Verantwortung der Staat für Familien und bei der Erziehung tragen soll. Oder genauer gefragt: Wie viel Staat braucht die Familienpolitik? Und was lässt sich aus der französischen Erfahrung
lernen?
Staat schafft Rahmenbedingungen
Die deutsche Familienpolitik habe sich durch den europäischen Austausch in den letzten zehn Jahren verändert. Heute gäbe es eine völlig neue Debatte, argumentierte Kerstin Griese, MdB und
Vorsitzende des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu Beginn der Veranstaltung. Aufgabe der Politik sei es, für eine gute Kinderbetreuung zu sorgen. Der Staat müsse soziale
Leistungen und mehr Verantwortung im Bereich Gesundheit, Bildung und kulturelle Kompetenz übernehmen. Das Elterngeld sei hier schon ein wichtiger Schritt. Künftig sollten die Qualität der
Kinderbetreuung und die Zusammenarbeit zwischen Staat und Eltern gefördert werden. Denn der Ausbau der Kinderbetreuung wirke mitten in der Gesellschaft, so Griese weiter.
In Frankreich steht die Qualitätssicherung der Betreuungsmöglichkeiten an oberster Stelle. Dabei ist besonders wichtig, die Kompetenz und die Gleichberechtigung der Eltern zu fördern. Ziel
ist es, Kinder zu integrieren und deren Fähigkeiten zu fördern. Dem Staat fällt es zu, die Rahmenbedingungen zu schaffen: flexible Arbeitszeiten und zahlreiche Betreuungsmöglichkeiten. Es soll in
Frankreich sogar bald möglich sein, dass Eltern die Betreuung ihres unter drei Jahre alten Kindes einklagen können.
Auch Karin Jurczyk, Leiterin der Abteilung Familie und Familienpolitik am Deutschen Jugendinstitut, sprach sich für eine Rahmenvorgabe des Staates aus. Die Fürsorge von staatlicher Seite
müsse Familien und ihrer Situation konkret Rechnung tragen. Familien seien nicht heterogen, das bedeute, dass kein Unterschied z.B. zwischen verheirateten und unverheirateten Paaren mit Kindern
gemacht werden dürfe.
Gleichberechtigung müsse ein systematischer Bestandteil der Familienpolitik sein. Eine wichtige Aufgabe des Staates sei es, für eine gute Arbeitsmarktsituation zu sorgen. Denn gute Arbeit
entlaste die Familien und sichere die Lebensqualität, gab Jurczyk zu verstehen.
Familienpolitik im Wandel
Neben der politischen Demokratisierung der vergangenen Jahre habe eine Demokratisierung in den Familien stattgefunden, so die wissenschaftliche Einschätzung des Familiensoziologen, Jacques
Commaille, an der École Normale Supérieure de Cachan. Aufgrund sozialer Ungleichheiten, verursacht von Armut und Arbeitslosigkeit, könnten aber nicht alle Menschen an dieser Entwicklung
teilhaben. Der Staat müsse diese Ungleichheiten beachten und sie ausgleichen. Vor allem sei es Aufgabe der Politik, die individuelle Verantwortung jedes Einzelnen zu stärken. Ziel der
Familienpolitik müsse es sein, mit allen Teilen der Gesellschaft zusammenzuarbeiten, wenn nötig, einzugreifen und kompromissbereit zu sein, betonte Commaille abschließend.
Das Ergebnis der Diskussion ist eindeutig: Der Staat hat eine große Verantwortung gegenüber Familien und muss auch in der Zukunft fürsorglich sein. Dafür muss die Politik entsprechende
Rahmenbedingungen schaffen, die jede Familie individuell absichern.
Was also kann Deutschland von Frankreich lernen? Zuallererst ist festzustellen, dass in Frankreich über das Thema Familie leichter diskutiert werden kann. Hierzulande gilt Familienpolitik
immer noch als problematisch und wird allzu gern kontrovers diskutiert. Entweder "Himmel" oder "Hölle" ist die Devise, die jedoch keinem weiterhilft. Familie sei in Deutschland eben noch kein
normales Thema, so die etwas pessimistische Einschätzung von Karin Jurczyk. Bleibt nur zu hoffen, dass sich an dieser Grundeinstellung schleunigst etwas ändert. Erst dann wird die deutsche
Familienpolitik für neue Impulse offen sein.
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