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Fake News im Wahlkampf: Wo Wut über Wahrheit siegt

Soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter sind optimale Kanäle, um Falschmeldungen oder Fake News zu verbreiten. Buchautorin Ingrid Brodnig erklärt, worauf sich Parteien im Bundestagswahlkampf einstellen müssen.
von Robert Kiesel · 5. Juli 2017
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Frau Brodnig, von all den Falschmeldungen, die Sie für Ihr Buch „Lügen im Netz“ analysiert haben: Welche ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Ein Facebook-Post, der eine weibliche Leiche zeigte – die ganz offensichtlich vergewaltigt worden war. Es wurde behauptet, dass es sich dabei um eine deutsche Flüchtlingshelferin handeln würde. Das furchtbare Bild ist in sehr kurzer Zeit mehr als 2.000 Mal geteilt worden, hat 1600 Likes bekommen. In den Kommentarspalten wurde massiv gegen Flüchtlinge gehetzt. Tatsächlich geht das Bild auf einen Vergewaltigungsfall in Schweden zurück, der mehr als 6,5 Jahre zurückliegt. Mit der aktuellen Flüchtlingsdebatte hat das nicht das Geringste zu tun.

Welcher Mechanismus steckt dahinter?

Das Bild ist furchtbar emotionalisierend. Falschmeldung sind häufig so verfasst, dass sie Wut auslösen. Wut bringt Menschen zum Klicken, Teilen oder Kommentieren. Das passiert dann häufig im Affekt, ohne die Echtheit der Meldung zu hinterfragen. Hinzu kommt der Facebook-Algorithmus: Wenn ein Beitrag viele Likes bekommt, erhöht sich seine Reichweite. Falschmeldungen profitieren davon, dass Menschen in Wut sofort reagieren und die Software eine hohe Anzahl von Interaktionen belohnt.

Was bedeutet das für die politische Kommunikation im Netz?

Gerade Populisten empfehlen ihren Wählern eine Abschottungsstrategie im Netz. So bilden sich digitale Räume, deren Mitglieder stark unter sich bleiben. Das ist riskant, weil sich in abgeschlossenen Diskussionsrunden - egal welcher politischen Färbung - Meinungen verhärten. Der Ton wird härter und Falschmeldungen haben es in solchen Runden besonders einfach, weil niemand mehr ihren Ursprung hinterfragt. Statt miteinander zu diskutieren, grenzen sich die Gruppen immer stärker voneinander ab – die politische Debatte wird dadurch polarisiert.

Für etablierte Parteien ist die Präsenz in sozialen Netzwerken ein Spiel mit dem Feuer. Was raten Sie ihnen?

Als Partei komme ich an Facebook nicht vorbei, wenn ich in der politischen Debatte präsent sein will. Gleichzeitig besteht die Gefahr, Teil des dort herrschenden Empörungswettbewerbs zu werden. Ein Blick auf den US-Wahlkampf genügt: Untersuchungen haben gezeigt, dass auch bei eindeutig linken Facebook-Seiten eine von fünf Meldungen eine Falschmeldung war. Das sagt sehr viel über eine kaputte politische Debatte aus.

Was heißt das für die Bundestagswahl im September?

Man muss damit rechnen, dass auch ausländische Accounts versuchen werden, die Bundestagswahl zu beeinflussen. Im französischen Wahlkampf war genau das gut zu beobachten. Amerikanische Trump-Fans tauschten online Tipps aus, um wie französische Wutbürger zu wirken und Stimmung gegen Macron zu machen. Diese Nutzer fokussieren sich jetzt auf Deutschland, weil das Land als wichtiger globaler Player interessant ist und Angela Merkel für Flüchtlingsgegner ein internationales Feindbild darstellt.

Wie können Parteien darauf reagieren?

Erstens sollten etablierte Parteien ein Monitoring haben und dazu professionelle Software nutzen. Nur so können Falschmeldungen entdeckt und eingefangen werden, bevor sie viral gehen. Zweitens müssen sich Parteien gegen Hacker-Angriffe absichern. Gerade das Abgreifen von E-Mails ist bei Hackern sehr beliebt, weil sich daraus möglicherweise peinliche Details ableiten lassen. Wir leben leider in einer Zeit, in der sich Kampagnen gegen sogenannte „Schmutzwäsche“ und den Diebstahl von Interna absichern müssen.

Das neueste Buch „Lügen im Netz“ von Ingrid Brodnig ist im Brandstätter-Verlag erschienen. Es kann unter ISBN 978-3-7106-0160-6 zum Preis von 19,90 Euro bestellt werden (208 Seiten). 

Autor*in
Robert Kiesel

war bis März 2018 Redakteur des vorwärts.

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