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#FairErben: Was eine gerechte Erbschaftsteuer finanzieren könnte

Sechs Jahre lang ein 9-Euro-Ticket für alle? Kein Problem. Dafür bräuchte es nur eine faire Besteuerung großer Erbschaften, haben Expert*innen berechnet. Die Privilegien von Superreichen kosten jährlich Milliarden, eine Initiative will das ändern.
von Vera Rosigkeit · 1. Dezember 2022
10.000 Euro pro Minute, eine halbe Millionen Euro pro Stunde, 14 Millionen am Tag: Die Erbschaftsteueruhr zeigt die verlorenen Steuereinnahmen an
10.000 Euro pro Minute, eine halbe Millionen Euro pro Stunde, 14 Millionen am Tag: Die Erbschaftsteueruhr zeigt die verlorenen Steuereinnahmen an

Rund 74 Milliarden Euro gingen dem deutschen Staat seit 2009 durch erlassene Erb- und Schenkungssteuer verloren. Was aus diesen, der Gemeinschaft entgangenen Steuereinnahmen hätte finanziert werden können? Zum Beispiel das 9-Euro-Ticket für alle, und zwar sechs Jahre lang, alternativ auch rund 370.000 neue Sozialwohnungen oder knapp 1,5 Millionen Pflegekräfte im Jahr.

Deutschland ist Steueroase für Vermögende

Am Mittwoch hat das Bündnis „Erben verpflichtet. #FairErben“ der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) eine Erbschaftsteueruhr enthüllt, die analog der Schuldenuhr Deutschlands funktioniert. Während die Schuldenuhr des deutschen Steuerzahlerbundes den sekündlichen Schuldenzuwachs für Deutschland visualisiert, zeigt die Erbschaftssteueruhr an, wie teuer dem Gemeinwesen die Privilegien von Superreichen bei der Erbschaftsteuer zu stehen kommt.

Denn in Deutschland werden große Vermögen kleiner besteuert als kleinere Vermögen, sagt Julia Jirmann vom Netzwerk Steuergerechtigkeit. Die Ursache dafür seien die umfangreichen Ausnahmeregelungen für Firmenerb*innen, erklärt sie auf einer Veranstaltung der FES in Berlin. Auch im internationalen Vergleich sei Deutschland „eine Steueroase für Vermögen“, deshalb können eben diese Vermögenden ihren Reichtum weiter vermehren. Die Folge: Ein immer kleinerer Teil der Bevölkerung erhält immer größere Erbschaften.

„Die Hälfte des aktuell vorhandenen Vermögens wurde nicht selbst erarbeitet, sondern vererbt und verschenkt“, betont Jirmann. Das widerspreche nicht nur dem Leistungsfähigkeitsprinzip, es habe auch eine wachsende Kluft zwischen Mittelstand und den Superreichen zur Folge, begünstigt durch das deutsche Steuerrecht.

Es ist genau dieses Steuerrecht, das dazu führt, dass bis zu 88 Prozent der Firmenerb*innen keine Erbschaftsteuer zahlen müssen, ein Verlust von umgerechnet fünf bis zehn Milliarden Euro pro Jahr die größte Steuersubvention laut Subventionsbericht der Bundesregierung.

Norbert Walter-Borjans will Schieflage beenden

Eine Schieflage, die laut Norbert Walter-Borjans angesichts der aktuellen Krisen und der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft nicht so stehen bleiben kann. Die reichsten zehn Prozent der Gesellschaft erhalten heute schon die Hälfte all dessen, was in Deutschland vererbt und verschenkt werde, sagt der Ex-Parteivorsitzende der SPD. Als Vorsitzender der Finanzminister*innenkonferenz habe er um die Novellierung des Erbschaftsteuergesetzes gerungen und bemerkt, „was es heißt, einer sehr gut organsierten Lobby gegenüberzustehen“, erinnert sich der ehemalige Finanzminister Nordrhein-Westfalens.

Die SPD habe in ihrem Bundestagswahlprogramm von allen Parteien die klarste Aussage zur Erbschaftseuer getroffen. „Der Kompromiss von 2016 bevorzugt die ganz reichen Erben noch mehr als das vorher schon der Fall war“, sagt er und fordert Freibeträge, bei denen der ganz große Teil der Bevölkerung im Fall einer Erbschaft mit einer Erbschaftsteuer nichts zu tun hat“. Aber dann müsse auch klar sein, dass diejenigen, die über diesen Freibeträgen liegen, keinerlei Privilegien mehr bekommen, schon gar nicht, wenn es sich um ganz große Vermögen handelt, fügt er hinzu. Kurz gesagt, sollten größere Erbschaften auch höher besteuert werden als kleine. Auch jemand der ein Unternehmen erbt, könne aus den Gewinnen die Steuerschuld zurückzahlen, erklärt Jirmann. Arbeitsplätze würden so nicht gefährdet, ergänzt sie.

Erster Schritt getan

Gerade dieses Narrativ, dass eine Erbschaftsteuer für Unternehmen Arbeitsplätze gefährden könne, gelte es aufzubrechen, sagt Stefanie Bremer von „Taxmenow“, einer Initiative von Vermögenden, die sich aktiv für Steuergerechtigkeit einsetzt. Doch leider machten sich noch viel zu wenig Politiker*innen für eine Erbschaftseuer stark.

„Die Mehrheitsverhältnisse und die Einwirkungsmöglichkeiten auf die Politik sind immer so, dass man für die kleinen und mittleren Einkommen immer nur etwas durchgesetzt bekommt, wenn man dafür sorgt, dass die großen Einkommen mindestens genauso viel bekommen“, erklärt Walter-Borjans dazu im FES-Podcast „#FairErben – Ist die Erbschaftsteuer gerecht?“ Gleichzeitig ist er zuversichtlich, dass die Ereignisse des Angriffskrieges auf die Ukraine und die Folgen, die sich daraus ergeben haben, auch einen Bundesfinanzminister nachdenklich stimmen könnte.

Zudem weist er daraufhin, wie wichtig es sei, dass auch in diesem Politikfeld „viel mehr Druck auch aus der Zivilgesellschaft kommen muss, damit Steuerthemen nicht etwas sind, das man mit spitzen Fingern anfasst“.  Sich in Initiativen zusammenzuschließen und auf Missstände aufmerksam zu machen, sei ein erster Schritt.

Noch während der Veranstaltung am Mittwochabend in der „Alten Münze“, der ehemaligen Münzprägeanstalt am Berliner Alexanderplatz, läuft die Erbschaftsteueruhr. In 2022 werden sich laut Subventionsbericht der Bundesregierung die Steuermindereinnahmen, die Firmenerb*innen genießen, auf 5,1 Milliarden Euro belaufen. Das entspricht knapp 14 Millionen Euro pro Tag, einer halben Million Euro pro Stunde und rund 10.000 Euro pro Minute.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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