Fachkräftemangel: Warum junge Menschen in der Krise verlieren
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Auch wenn Deutschland bislang gut durch die Corona-Pandemie gekommen ist, fragt man sich doch, ob die Lasten der Krise gleich verteilt sind oder sich die soziale Ungleichheit verstärkt hat. Beim Herbstforum des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung „Solidarität in der Krise“ zeigt sich, dass die Entwicklungen beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt soziale Ungleichheiten zur Folge haben. So habe zwar die Ungleichheit bei den Einkommen zumindest kurzfristig nicht zugenommen, langfristig sei die Krise aber vor allem eine Krise der jungen Menschen. Aus diesem Grunde habe die Gesellschaft eine Bringschuld für die kommende Generation, sagt Bernd Fitzenberger vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) am Mittwoch in Berlin.
Junge Menschen besonders betroffen
Zunächst aber beschreibt er, dass es vor allem das Kurzarbeitergeld war, dass in der Krise nicht nur viele Beschäftigte vor der Arbeitslosigkeit bewahrt, sondern auch einen Einkommenseinbruch verhindert habe. So stockten mehr als die Hälfte der Betriebe das Kurzarbeitergeld über tarif- oder einzelvertragliche Regelungen auf, sagt er. „Kurzarbeit ist ein wunderbares Instrument, doch es hat auch seine Lücken“, fügt er hinzu. So sind Minijobber, Soloselbstständige wie auch Auszubildende nicht geschützt. „Die größte Herausforderung sehe ich bei den jungen Menschen“, betont er. Deutschland habe eine Ausbildungsmarktkrise, „die uns wirtschaftlich stark treffen wird, wenn Fachkräfte fehlen“.
Dieses Problem sieht auch Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Es gebe keinen Mangel an jungen Menschen mit akademischen Abschlüssen, sondern einen im Bereich der dualen Berufsausbildung. Das Problem sei zwar nicht neu, doch wenn sich hier durch Corona eine weitere Lücke auftue, verschärfe das die Situation im Bereich der Fachkräfteversorgung. Als Problem kennzeichnet Hüther vor allem den Ausfall an Bildungszeiten in den allgemeinbildenden Schulen. „Wir wissen, dass sich das auswirkt in einer Lebenseinkommensperspektive.“ Hier werde derzeit ein Schaden angerichtet, der die Startchancen in das System betreffe.
Bildungskrise trifft nicht alle gleich
Die Direktorin des WSI, Bettina Kohlrausch, betrachtet die Bildungskrise bei den jungen Menschen unter schichtspezifischem Blickwinkel. Nicht alle hätten gleich viel Unterricht verloren, in einigen Familien hätte das Homeschooling geklappt. „Die Schere geht hier auseinander. Diejenigen, die es am meisten gebraucht haben, haben am meisten darunter gelitten.“ Aus diesem Grunde gebe es jetzt noch mehr Schülerinnen und Schüler, die noch schlechter als vor der Krise auf das Ausbildungssystem vorbereitet seien. Möglicherweise seien jetzt diejenigen, die einen Fachkräftemangel reduzieren könnten, nicht mehr erreichbar, auch weil entsprechende Beratungsangebote gefehlt hätten. Für Kohlrauch spricht deshalb vor allem von einer Krise der gering qualifizierten jungen Menschen.
Wie lässt sich verhindern, dass Arbeitskräfte, die jetzt neu in den Arbeitsmarkt kommen, direkt in den Niedriglohnsektor gehen? Für Fitzenberger ist dafür folgendes notwendig: Eine Kompromissfähigkeit der Betriebe, auch geringqualifizierte Menschen reinzuholen, staatliche Unterstützung für Einstiegsqualifizierung und ein gesellschaftlicher Konsens, dass die Mittelschicht noch an die duale Ausbildung glaubt. Hüther will zudem in die Darstellung des dualen Berufssystem investieren, das „ganz tolle Einkommensperspektiven biete“.
Sorgearbeit stärker in den Blick nehmen
Während Fitzenberger zudem von einer weiteren Ausweitung der Minijobs abrät und Hüther fragt, wie die entstandenen Bildungslücken kompensiert werden sollen, richtet Kohlrausch ihren Blick auf eine weitere Gruppe, die ihrer Meinung nach in der Krise verloren habe: Für Kohlrauch ist die Corona-Krise auch eine Krise der Frauen.
Ihre Befürchtung ist, dass sich Frauen durch die Krise auch langfristig stärker vom Arbeitsmarkt zurückziehen, weil vielmehr Sorgearbeit geleistet werden musste. Zwar habe die Krise gezeigt, dass der Sozialstaat funktioniere. „Er vermittelt Sicherheit“, so Kohlrausch. Das sei eine gute Nachricht für eine Gesellschaft, die im Wandel ist. Gleichzeitig kritisiert sie ebenso wie Fitzenberger, dass Beschäftigungsformen wie Soloselbstständige und Minijobs aus der Sozialversicherungspflicht ausgeschlossen seien. Ihrer Meinung nach sei es aber auch notwendig, den Blick auf Frauen und eine geschlechtergerechte Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit zu richten. Solidarität müsse eben nicht nur für bezahlte, sondern auch für unbezahlte Arbeit wirksam werden. Auf der betrieblichen Ebene wären Vereinbarkeitsarrangements möglich, gesellschaftlich aber, sagt Kohlrasuch, müsse man generell über Arbeitszeiten nachdenken.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.