Exportnation vor Rezession: Wirtschaftsexperte warnt vor Panik
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Herr Christ, das Schreckgespenst der Rezession geistert in diesen Tagen immer wieder durch die Medien. Ist die Angst begründet?
Wir hatten jetzt ein Quartal mit negativem Wirtschaftswachstum mit einem Minus von 0,1 Prozent. Daraus lässt sich noch nicht ableiten, dass wir uns in einer Rezession befinden. Aber es gibt einige Indikatoren, die dafürsprechen, beispielsweise die Kupferproduktion weltweit. Man kann von einer weltweiten Abkühlung der Konjunktur sprechen. Davon wäre Deutschland als Exportnation stark betroffen. In den nächsten Monaten muss sich zeigen, ob sich das zu einer Rezession auswächst. Die wirtschaftliche Situation ist auf jeden Fall schwierig.
Welche Risiken beeinflussen denn diese schwierige Situation?
Es gibt derzeit viele Unwägbarkeiten, eine große Unsicherheit. Und wenn es bei Unternehmen Unsicherheit gibt, sind sie bei Investitionen zurückhaltend. Wie geht es mit dem Brexit weiter, wie entwickelt sich der Handelsstreit zwischen USA und China? Auch die Gefahr eines Handelskonfliktes der USA mit Europa ist noch nicht ausgeräumt. Hinzu kommen kleinere Krisenherde, die noch größer werden können, beispielsweise rund um den Iran oder die Embargos gegenüber Russland. Das alles spiegelt sich in der Bewertung der wirtschaftlichen Lage.
In Europa fällt derzeit vor allem Deutschland ab, andere EU-Länder stehen besser da – lässt sich das allein mit der Export-Orientierung begründen?
Das hat andere Gründe. Deutschland hat eine gesättigte Volkswirtschaft. Das heißt, bei uns ist beispielsweise die Infrastruktur relativ weit entwickelt, andere Länder haben da einen erheblichen Nachholbedarf. Deswegen wird da derzeit viel investiert. Außerdem profitieren Länder in Osteuropa stärker vom europäischen Finanzausgleich für ihre Wachstumsprogramme.
Wurde also in Deutschland in den vergangenen Jahren zu wenig in Schulen, Brücken und Straßen investiert?
Aufgrund der Schuldenbremse haben wir die Konsolidierung des Haushaltes in den Vordergrund gestellt. Dagegen ist erstmal nichts zu sagen. Aber wir haben erkannt, dass wir in den vergangenen Jahren vor allem von der Substanz gelebt haben. Im Koalitionsvertrag wurde versucht, einige Dinge zu korrigieren. Mir geht das zwar nicht weit genug, aber alles zu seiner Zeit. Von Olaf Scholz ist es klug gewesen, nicht zu früh mit Investitionen zu starten, die die Konjunktur stimulieren. Wenn wir jetzt in eine schwierige Lage kommen sollten, haben wir also immer noch genug Feuerkraft. Ich bin da nicht pessimistisch.
Bei einer Rezession könnte aber die Europäische Zentralbank nicht mehr viel gegensteuern, die Zinsen sind ja bereits niedrig.
Die Zentralbank hat sich in den vergangenen Jahren als handlungsfähig erwiesen. Die Niedrigzinspolitik hat Europa trotz aller Kritik stabilisiert. Und die EZB hat nach wie vor Möglichkeiten zur Intervention. Es wäre aber fatal, jetzt schon zu handeln, im Gegenteil. Übrigens gibt es andererseits eine Reihe von positiven Tendenzen in Europa: Griechenland hat einen Überschuss erwirtschaftet, Portugal und Spanien haben sich stabilisiert. Italien ist meiner Meinung nach ein Sonderfall, der vor allem mit der instabilen Regierung zusammenhängt.
Also kein Grund zur Panik?
Nein, überhaupt nicht. Es ist viel zu früh, um in Aktionismus zu verfallen. Wir sollten einen kühlen Kopf bewahren, analysieren, beobachten – und erst wenn das Gesamtbild der Lage vorliegt, Entscheidungen treffen. Es gibt genügend Werkzeuge im Werkzeugkoffer. Derzeit reden wir außerdem nur von einer Abkühlung. Die ist nicht vergleichbar mit der Krise, die wir 2008 hatten. Derzeit sind alle Rahmenparameter noch intakt.