Inland

Explodierende Mieten: So wird bezahlbares Wohnen für alle möglich

Ob mit Blick auf das im städtischen Wohnungsbau vorbildliche Wien oder den Entwurf von 100-Euro-Wohnungen – auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum helfen kreative Ideen und eine neue Gemeinnützigkeit
von Kai Doering · 29. August 2016
Vorbild Wien? In Österreichs Hauptstadt sind rund 220.000 Wohnungen in städtischer Hand – wie etwa der Karl-Marx-Hof.
Vorbild Wien? In Österreichs Hauptstadt sind rund 220.000 Wohnungen in städtischer Hand – wie etwa der Karl-Marx-Hof.

Wer sich mit der Frage ­beschäftigt, wie Wohnen auch in Zukunft bezahlbar sein kann, sollte einen Blick in die Vergangenheit werfen. Als im Oktober 1930 der Karl-Marx-Hof in Wien eröffnet wurde, galt er schnell als das „Versailles der Arbeiter“. Allerdings erinnert der kolossale Bau im 19. Bezirk mit seinen Rundbögen, Türmen und Fahnenmasten weniger an den Palast der französischen Könige, als vielmehr an eine Festung. 1272 Wohnungen beherbergt das längste Wohnhaus der Welt noch heute. Es ist damit eins der Symbole des „Roten Wien“, jener Epoche zwischen 1918 und 1934, in der die Sozialdemokraten die absolute Mehrheit in der österreichischen Hauptstadt hatten und zahlreiche Reformen in der Sozial-, Gesundheits- und Bildungspolitik auf den Weg brachten.

Im Wohnungsbau Vorbild: Wien

Herzstück war ein umfangreiches Bauprogramm, um für die Wiener ­Bevölkerung menschenwürdige Wohnungen zu schaffen. 63.000 errichtete die Stadt Wien in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Die „Volkspaläste“ gelten noch heute architektonisch und sozial als herausragend – und haben Einfluss auf die Gegenwart. Der Anteil geförderter Wohnungen ist in Wien mit 62 Prozent so hoch wie in keiner anderen Stadt der Welt.

„Wien ist vorbildlich“, schwärmt Dietmar Schäfers. „Hier kann ein Arbeitnehmer mit durchschnittlichem Einkommen problemlos im Zentrum wohnen.“ In Frankfurt am Main, wo die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), deren Vize-Vorsitzender Schäfers ist, ihren Sitz hat, sei das hingegen fast unmöglich. Dabei seien bezahlbare Mieten auch wichtig für die soziale Durchmischung der Quartiere. Viele Konflikte würden so gar nicht erst entstehen.

Günstige Wohnungen mit neuer Gemeinnützigkeit

„In Wien sind rund 220.000 Wohnungen in städtischer Hand, weitere 200.000 hat die Stadt finanziell gefördert“, erklärt ­Lukas Siebenkotten, der Direktor des Deutschen Mieterbundes. Die Wohnungen gehörten gemeinnützigen Bauträgern oder Genossenschaften. Rund zwei Drittel aller Wiener lebten in einer geförderten, preisgebundenen Wohnung. „Wenn die Stadt baut oder die Mietpreise senkt, hat das direkte Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt.“ In deutschen Städten gebe es solche Möglichkeiten nicht. „Bei uns ist der Anteil der öffentlichen Wohnungen zu gering. Wien ist nicht mehr im großen Stil auf Deutschland übertragbar.“

Dass das so ist, hängt auch mit einer politischen Entscheidung zusammen: 1990 wurde das sogenannte Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz ­abgeschafft. Es hatte Unternehmen steuerliche Vergünstigungen garantiert, wenn diese sich verpflichteten, bezahlbaren Wohnraum dauerhaft anzubieten. „Gemeinnützige Wohnungsunternehmen haben maßgeblich dazu beigetragen, die Wohnungsnot in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg zu lindern“, erinnert sich Siebenkotten. Deshalb plädiert der Mieterbund für eine „neue Wohnungsgemeinnützigkeit“. Gemeinsam mit privaten Investoren lasse sich so „auf Dauer langfristig preiswerter und zukunftsgerechter Wohnraum in ausreichender Menge vorhalten“.

Die 100-­Euro-Wohnung

Van Bo Le-Mentzel  verfolgt einen anderen Ansatz.„Wi e können wir gerechter, friedlicher und besser zusammenleben?“, fragt sich der Berliner ­Architekt. Le-Mentzels Antwort ist zwei Meter breit und 3,20 lang. Der Architekt nennt sie „100-­Euro-Wohnung“. Die Idee: „Jeder soll sich Wohnen leisten können. Die Wohnung soll den Mieter maximal 100 Euro im Monat kosten, inklusive Strom, Heizung und Internet.“

Möglich macht das die geringe Grundfläche der Wohnung – gerade mal sechs Quadratmeter – bei einer Deckenhöhe von 3,60 Meter. Der Mieter wohnt nicht in der Breite, sondern in der Höhe: Die Decke des Badezimmers nutzt er als Stauraum, Schlaf- oder Arbeitsplatz. Zwölf solcher 100-Euro-Wohnungen sind in Le-Mentzels Skizzen pro Etage um einen 42 Quadratmeter großen Gemeinschaftsraum angeordnet, den „Co-Being-Space“. Diesen können die Bewohner nach ihren eigenen Bedürfnissen gestalten.

„Die 100-Euro-Wohnung ist kein so­ziales, sondern ein ganz normales Bauprojekt“, betont Le-Mentzel. Der Architekt kommt aus der „Tiny-House“-Bewegung, die das Leben in kleinen Häusern propagiert – gern auch auf ­Auto-Anhängern, um mobiler zu sein. Vor wenigen Jahren hat Van Bo Le-Mentzel selbst so ein Haus in Berlin gebaut, auf einem Anhänger mit vier Quadratmetern Grundfläche. Die 100-Euro-Wohnung ist da schon geräumiger.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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